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Konflikt, Entwicklung, Frieden. Emanzipatorische Perspektiven in einer zerrissenen Welt.

Eine Festschrift für Werner Ruf.

Michael Berndt, Ingrid El Masry (Hrsg.): Konflikt, Entwicklung, Frieden. Emanzipatorische Perspektiven in einer zerrissenen Welt. Eine Festschrift für Werner Ruf
Verlag Winfried Jenior: Kassel 2003 (Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 8); 432 Seiten; Preis 20 Euro

Aus der Einleitung von Michael Berndt und Ingrid El Masry:

Die Beiträge im vorliegenden Band beschäftigen sich in vier Teilen mit verschiedenen Problemen aus dem Kontext der bisherigen Arbeit von Werner Ruf. Dabei skizzieren sie einerseits ganz unterschiedliche Facetten einer zerrissenen Welt. Andererseits legen sie Desiderate wie Perspektiven emanzipatorischer Forschungen frei und zeigen die Orte gesellschaftlichen Handlungsbedarfs auf.

Im ersten Teil – "Entwicklung und Konflikt" – werden unterschiedliche Dimensionen nachholender und ganzheitlicher Entwicklung unter den Bedingungen der weltweiten Hegemonie des kapitalistischen Modells diskutiert. Den Ausgangspunkt bilden mit der Westsahara und Algerien zwei Fallstudien aus dem Nordafrikanischen Raum. An diesen Beispielen werden exemplarisch intra-gesellschaftliche, inter-gesellschaftliche und internationale Bedingungen und Folgen fehlgeschlagener Entwicklungsprozesse untersucht.

Zunächst beschäftigt sich Axel Goldau mit verschiedenen Dimensionen des Konfliktes um die ehemalige spanische Kolonie Westsahara. Er arbeitet einerseits heraus, dass die marokkanische Besetzung der Westsahara nicht nur eine eigenstaatliche Entwicklung ihrer angestammten Bevölkerung verhindert, sondern auch deren Lebensgrundlagen zerstört. Er zeigt anderseits auf, wie die schonungslose Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara durch die Besatzer in Zusammenarbeit mit westlichen Unternehmen und unter der Duldung westlicher Regierungen das ökologische Gleichgewicht der Region dauerhaft schädigt, und illustriert damit auch ein extremes Beispiel für die Unterminierung der 1992 in Rio vereinbarten Richtlinien nachhaltiger Entwicklung.

Salima Mellah und Rémy Leveau widmen sich sodann der Entwicklung in Algerien seit dem offenen Ausbruch des innergesellschaftlichen Machtkampfes 1992.

Salima Mellah entfaltet die Dimensionen des Konfliktes als eines durch einen Militärputsch eingeleiteten, blutigen und grausamen Bürgerkrieges, skizziert seine Etappen und entlarvt die Verschleierung seiner Fronten. Sie zeigt auf, wie sowohl im Kontext der Umschuldungsverhandlungen mit dem IWF 1994 als auch in den Verhandlungen über die Plattform von Rom 1995 Handlungsmöglichkeiten der europäischen und internationalen Gemeinschaft, und damit Chancen auf einen gerechten und friedlichen Interessenausgleich verpasst wurden, ja die Lockerung der ökonomischen Zwangslage des Regimes diesem die blutige Zerschlagung der Opposition ermöglichte. Ihre Analyse verweist letztlich auf einen bedenklichen Menschenrechtsrelativismus in einer internationalen Politik, welche Stabilitätsinteressen insbesondere dann Priorität einzuräumen scheint, wenn es um islamische Artikulationen von Opposition geht.

Rémy Leveau untersucht anknüpfend und vertiefend die Entwicklung der algerischen Gesellschaft seit dem Abbruch des Demokratisierungsprozesses auf einer makropolitischen Ebene. Er analysiert die Interessen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen im Spannungsfeld zwischen einer Aufrechterhaltung des rentenökonomischen, zentralistischen Systems und dem in den neunziger Jahren begonnenen Prozess der ökonomischen Liberalisierung und Öffnung. Den status quo der gegenwärtigen algerischen Gesellschaft sieht er nach der Zerschlagung der islamischen Opposition geprägt durch die Herausbildung eines neuen Gleichgewichts, welches auf dem Fluss der Ölrente, einem nationalistischen, international lavierendem Kurs und einem Bündnis zwischen Militäreliten und städtischer Mittelklasse basiert. Die Perspektive einer produktiven Diversifizierung der algerischen Ökonomie sieht er gebunden an Kompromisse mit den Profiteuren der gegenwärtigen Renten- und Basarökonomie.

Ingrid El Masry greift die Problematik der rentenökonomischen Entwicklung auf gesamtarabischer Ebene auf, und bettet sie in den Kontext der Herausforderungen ein, welchen die Region durch die neoliberale Globalisierungspolitik ausgesetzt ist. Am Maßstab des Human Development Konzeptes entfaltet sie einerseits Entwicklungserfolge und Entwicklungsdefizite der rentenökonomischen Entwicklung, andererseits Chancen und Gefahren der Globalisierung für die Region.

Dieter Boris, Norman Paech und Christoph Scherrer analysieren schließlich die Entwicklungsfrage auf globaler bzw. internationaler Ebene.

Dieter Boris untersucht Erklärungsvarianten und Auswirkungen von Finanzkrisen in Schwellenländern im lateinamerikanisch-ostasiatischen Vergleich. Insbesondere geht er auf die innergesellschaftlichen Konflikte ein, die sich in Folge der Bearbeitung der Finanzkrisen nach den Kriterien von IMF und Weltbank ergeben. Zur Konfliktprävention und auch zur Abwendung von Finanzkrisen stellt er schließlich Anforderungen an die Politik der Industrieländer.

Norman Paech diskutiert das Verhältnis zwischen Entwicklung und Menschenrechtsinterpretation im Kontext der Herausbildung einer neuen Welthandelsordnung. Hier kritisiert er, dass die Menschenrechte von den westlichen Industriestaaten zunehmend im neoliberalen Sinn ausgelegt und auf Marktfreiheiten reduziert werden. Dies führt zu neuem Konfliktstoff – z.B. als Folge von Strukturanpassungsprogrammen – und zu erheblichen Einschränkungen anderer politischer und sozialer Menschenrechte. Abschließend fordert er, dass Maßnahmen von WTO, Weltbank und IMF im Vorfeld daraufhin zu überprüfen sind, welche negativen Auswirkungen sie auf die Gesamtheit (und somit vor allem auch auf die sozialen) völkerrechtlich vereinbarten Menschenrechte haben.

Schließlich setzt sich Christoph Scherrer kritisch mit der Diskussion über Good Governance als Bedingungsfaktor für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung auseinander. Den Protagonisten von Good Governance, die letztlich Bad Governance als Grund dafür angeben, warum erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung nicht stattgefunden hat, hält er entgegen, dass sie nicht nur die jeweils konkreten unterschiedlichen historischen Ausgangsbedingungen des jeweiligen Landes, sondern auch die "systemischen Grenzen für eine Verallgemeinerung exportorientierter Entwicklungsstrategien", schließlich vor allem auch das Verhalten der nordwestlichen Industriestaaten und nordwestlicher ökonomischer Akteure vernachlässigen.

Im zweiten Teil werden "Wahrnehmungen" diskutiert. Diese Frage ist insofern von besonderer Relevanz, als sie letztlich nicht nur Hinweise darauf gibt, wie Wahrnehmungen sich in konkreter Politik niederschlagen, sondern auch darauf, dass Wahrnehmungen und ihre (Re-)Produktionen auch Ergebnisse von Politik – und damit veränderbar – sind. Zunächst widmen sich Friedemann Büttner und Alexander Flores wechselseitigen Wahrnehmungen zwischen Europa und der arabischen Welt.

Friedemann Büttner konzentriert sich auf die Wahrnehmungen und Umsetzungen des Verhältnisses von Religion und Politik im Islam und in islamischen Gesellschaften. Ausgehend vom Wahlsieg der islamisch geprägten, säkularen AKP in der Türkei im November 2002 hinterfragt er das Verhältnis von Religion und Politik in den religiösen Quellen des Islam und in der frühen Geschichte der islamischen ‚umma‘, und arbeitet Ähnlichkeiten und Unterschiede zum Christentum in der weiteren Entwicklung heraus. Er entlarvt schließlich die immer wieder behauptete Einheit von Religion und Staat im Islam als ein Ideologem, dessen Zukunft ganz wesentlich von den globalen und regionalen Politikgestaltungen geprägt sein dürfte. Daran anschließend stellt Alexander Flores am Beispiel des 1922 gestorbenen syrischen Schriftstellers Farah Antun dar, wie innerhalb der arabischen Welt Fragen der Modernisierung – insbesondere mit Bezug auf Entwicklungen in Europa – diskutiert wurden. Dabei geht es ihm darum herauszuarbeiten, dass die Diskussionen innerhalb der arabischen Welt immer von verschiedenen (miteinander im Dialog stehenden) Strängen geprägt waren (und sind) und die verbreitete westliche Fokussierung auf scheinbar monolitische, religiös fundamentalistische Stränge zu kurz greift.

Den (Re-)Produktionen von Wahrnehmungen im Kontext schulischer Bildung in der Bundesrepublik Deutschland widmen sich sodann Gerd Steffens und Susanne Fiedler.

Gerd Steffens analysiert die Wandlungen der Lehrpläne für das Fach "Politik/Sozialkunde/Gesellschaftslehre" in Hessen von 1949 bis 2002 und konstatiert bezüglich des letzten Lehrplans von 2002 eine Regression. Anstatt in Zeiten von Globalisierung, Weltvergesellschaftung und damit Komplexitätszuwachs Momente von Emanzipation und Demokratiekompetenz weiterzuentwickeln – wie sie in früheren Lehrplänen vorhanden waren –, fällt dieser Lehrplan zurück in nationalstaatliches Denken und "Outputorientierung". Sollte sich diese Regression gesellschaftlich und politisch niederschlagen, so ist davon auszugehen, dass "die anstehenden (welt-) gesellschaftlichen Lernprozesse länger, riskanter und verlustreicher" sein werden.

Susanne Fiedler untersucht dann die Darstellung des Palästina-Konfliktes in bundesdeutschen Schulbüchern des Faches Geschichte. Schulbücher sind deshalb von besonderem Interesse, weil sie ein Spiegel des gesellschaftlich vorherrschenden Geschichtsbewusstseins sind. Die Art, wie in ihnen Akteure und ihr Konfliktverhalten dargestellt wird, ist aber nicht nur relevant für das Bild der Gesellschaft vom konkreten Konflikt und seiner Austragung, sondern auch für die Wahrnehmung und Bearbeitung aktueller Konflikte. Susanne Fiedler folgt dabei der These, dass nur eine vorurteilsfreie und ausgewogene Konfliktdarstellung letztlich zum Abbau von Feindbildern und so zu interkultureller Kommunikation führen kann.

Dieter Oberndörfer beschäftigt sich zum Abschluss dieses Teils mit der bundesdeutschen Diskussion um ein Zuwanderungsgesetz und kritisiert dabei, dass in der konservativen Argumentation letztlich ein Staatsverständnis als "völkische Nation" vorherrscht. Demgegenüber fordert er die Aneignung der Prinzipien eines demokratischen Verfassungsstaats, der einerseits versucht durch Maßnahmen der Integration Divergenzen auszugleichen und Konflikte zu bearbeiten, andererseits aber auch fähig ist, die Kultur der "Anderen" als Teil des Ganzen anzuerkennen.

Der dritte Teil widmet sich schließlich dem Thema "Konflikt und Frieden". Der These, dass Konflikte immer vorhanden sind und es deshalb nicht um Konfliktlösung im Sinne einer Abschaffung von Konflikten, sondern immer nur um friedliche Formen der Konfliktbearbeitung gehen kann, wird hier (wie auch schon im ersten Teil) die These gegenüber gestellt, dass bestimmte Konflikte systemimmanent sind und in immer neuen Formen nach gewaltsamer Austragung drängen. In diesem Sinne muss dann davon ausgegangen werden, dass bestimmte Konfliktebenen gelöst werden müssen, um andere Konflikte friedlich bearbeiten zu können.

Zu Beginn dieses Teils umreißt Peter Lock neue Erscheinungsformen von Gewalt. Sie artikulieren sich einerseits als nichtstaatliche "regulative Gewalt" im Kontext einer "Schattenglobalisierung" sowohl in den globalen Städten des Nordens wie des Südens als auch in transnationalen Beziehungen. Andererseits drücken sie sich aus als staatliche militärische Gewalt unterhalb der Schwelle klassischer Kriege. Vor diesem Hintergrund fordert er von der Friedensforschung eine Abkehr vom klassischen Kriegsbegriff und eine Hinwendung zum Gewaltbegriff, um die aus dem "neoliberalen Globalismus" resultierenden Gewaltverhältnisse und deren organisierte, bewaffnete und (auch) militärische Artikulationen adäquat untersuchen zu können. Nur so kann die Friedensforschung ihrem normativen Anspruch gerecht werden.

Danach widmen sich Christoph Butterwegge und Eike Hennig vertieft den konflikthaften Entwicklungen in Metropolen der westlichen Industriestaaten.

Christoph Butterwegge betrachtet dabei die gesellschaftlichen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen. Hier geht er insbesondere auf neue Polarisierungsprozesse im Kontext einer Entsolidarisierung ein, die im Rahmen einer neoliberalen Globalisierung zum Programm wird und skizziert die sich daraus ergebenden Konfliktpotentiale.

Sodann analysiert Eike Hennig vertieft die Entwicklung US-amerikanischer Metropolen bezüglich der Frage, inwieweit die Stadtentwicklungen eher von Integration oder Abgrenzung verschiedener Lebenswelten geprägt waren und sind. Obwohl Abgrenzung zwischen "ethnic communities" immer ein hervorstechendes Merkmal war, kommt er zu dem Ergebnis, dass in alten Industriestädten (Chicago) diese Abgrenzung auch von partiellen Integrationen geprägt war, während die neuen "Global Cities" in viel stärkerem Maße von manifester und dauerhafter "ethnischer Separierung" gekennzeichnet sind. Nach dieser Betrachtung neuer Konfliktpotentiale im lokalen / lebensweltlichen Umfeld wird dann der Konfliktgehalt gegenwärtiger internationaler Entwicklungen in den Blick genommen.

Peter Strutynski setzt sich mit den Konsequenzen einer zunehmend unilateralen Außenpolitik der USA auseinander. Er folgt der Frage, welche internationalen Konfliktdimensionen aus ihr erwachsen. Hier diagnostiziert er nicht nur eine Zunahme von Konflikten (auch zwischen den westlichen Industriestaaten bzw. innerhalb der Triade EU-USA-Japan), sondern auch die Gefahr der zunehmenden militärischen Austragung dieser Konflikte.

Dies vertiefend, widmen sich Rainer Rilling und Jan Benedix den USA als zentralem Akteur.
Rainer Rilling analysiert die regierungsamtlichen und regierungsnahen Konzeptionen des "American Empire". Im Kontext einer Skizzierung der Akteure und der Entwicklung der Konzeption arbeitet er heraus, dass viele dort artikulierte Gedanken nicht neu, mit dem Regierungswechsel 2001 aber mehrheitsfähig geworden sind. War die bisherige Außenpolitik der USA geprägt von Hegemonie – basierte sie also immer auch auf einem Konsens mit den Verbündeten – so wird sie nun geprägt von "indefinite dominance", die sich gerade auch als uneingeschränkte militärische Dominanz inkl. der Reartikulierung eines Rechts auf Präventivkrieg ausdrückt.

Jan Benedix beschäftigt sich mit den aktuellen Legitimationen und Entwicklungen der Informations- und Kommunikations-Technologie (IuK) für militärische Zwecke in den USA. Hier skizziert er sowohl die Bedrohungsszenarien, die herangezogen werden, um bestimmte Entwicklungsvorhaben zu begründen, wie auch die (potentiellen) negativen gesellschaftlichen Auswirkungen der Umsetzung von Entwicklungsvorhaben auf demokratische Kontrolle und Partizipation. Daraus leitet er schließlich Implikationen und neue Aufgabenstellungen für die (Friedens-)Forschung ab. Mit den zeitlich parallelen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und den sich daraus ergebenden Handlungsperspektiven für die Friedensbewegung setzten sich Willi van Ooyen und Bernd Guß auseinander.

Willi van Ooyen skizziert zunächst die Entwicklung der bundesdeutschen Friedensbewegung im zeitgeschichtlichen Kontext von 1945 bis heute. Dabei vertritt er die These, dass der oftmals in den Medien zu vernehmende Abgesang auf die Friedensbewegung – insbesondere über die Vergleiche von aktuellen TeilnehmerInnenzahlen an Demonstrationen mit Zahlen aus den 1980er Jahren – zu kurz greift, denn er vernachlässigt sowohl die internen Strukturen der Friedensbewegung und ihre Wandlungen, die jeweils konkreten politischen Entwicklungen, wie auch das Selbstverständnis der Friedensbewegung. Stattdessen sollte erkannt werden, dass die Friedensbewegung – gemessen in DemonstrationsteilnehmerInnenzahlen – nur in Ausnahmefällen eine Massenbewegung war, allerdings hat sie es immer wieder vermocht, durch Überzeugungsarbeit kritische Potentiale in der Gesellschaft (und in der Politik) wach zu halten. Hier liegt ihr Schwerpunkt und angesichts der aktuellen Entwicklungen scheint dies auch weiterhin notwendig zu sein.

Bernd Guß setzt sich mit den gegenwärtigen und perspektivischen Aufgaben der bundesdeutschen Friedensbewegung vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen der deutschen Außen- und Militärpolitik nach dem 11.9.2001 auseinander. Er fordert dabei ein Festhalten an pazifistischen Positionen, denn nur so erscheint Frieden als soziale Gerechtigkeit (im globalen Rahmen) erreichbar zu sein.

Christiane Lammers und Michael Berndt widmen sich zum Abschluss dieses Teils notwendigen neuen Forschungsperspektiven einer kritischen Friedensforschung.
Christiane Lammers skizziert dabei die Notwendigkeiten theoretischer und empirischer Neuorientierungen der bundesdeutschen Friedensforschung vor dem Hintergrund einer sich herausbildenden neuen Weltordnung. Auf der Basis einer Darstellung der Entwicklung der bundesdeutschen Friedensforschung seit den 1970er Jahren fordert sie eine kritische Weiterentwicklung der Ansätze vom Beginn der 1970er Jahre, insbesondere bezüglich des Zusammenhangs zwischen Frieden und Entwicklung.

Michael Berndt greift dies auf und beschäftigt sich mit dem Interessenbegriff der polit-ökonomisch orientierten "kritischen Friedensforschung" der 1970er Jahre. Hier kritisiert er die damalige Fixierung auf objektive Interessenlagen. Erweiternd fordert er die Einbeziehung aktueller kritischer IB-Theoriediskussionen und damit eine gleichwertige Betrachtung objektiver Interessenlagen und subjektiver Interessenartikulationen. Dies könnte nicht nur ein Schritt zur Revitalisierung der kritischen Friedensforschung sein. Die gleichwertige Betrachtung objektiver Interessenlagen und subjektiver Interessenartikulationen erscheint auch notwendig, um die sich herausbildenden (neuen) hegemonialen Gewaltverhältnisse adäquat in den Griff zu bekommen.

Abschließend wird im vierten Teil der Frage nach dem "Projekt Menschheit und seinen Perspektiven" nachgegangen. Die in den vorangegangenen Teilen artikulierte Kritik der herrschenden Verhältnisse bezüglich Konflikt, Entwicklung und Frieden, die das Bild einer zerrissenen Welt hervorbrachte, endet hier nun nicht in einer apokalyptischen Perspektive. Diese – als Welt vor dem Abgrund – wäre zwar durchaus skizzierbar, doch da Geschichte von Menschen gestaltet wird, ergeben sich auch alternative emanzipatorischen Perspektiven für Entwicklung, Frieden, Konfliktlösung und -bearbeitung. Zunächst setzt sich Wolfdietrich Schmied-Kowarzik mit der Frage nach der Rolle und Aufgabe der Philosophie vor dem Hintergrund, dass die menschlichen Zerstörungskräfte zunehmend drohen, die Menschheit zu vernichten, auseinander. Als Beitrag dies abzuwenden, kann sich Philosophie nur als kritische Philosophie gesellschaftlicher Praxis artikulieren, deren Ziel es sein muss, zur Bildung von Mündigkeit und politischer Emanzipation beizutragen. Um dies zu konzeptionalisieren fordert er eine Weiterentwicklung früherer Ansätze kritischer Gesellschaftsphilosophie, insbesondere des Marxistischen.

Mohamed Turki vertieft und konkretisiert diesen Gedanken. Er folgt der Frage, welche Konsequenzen der "Weltveränderung" aus dem "Weltverstehen" der Globalisierung zu ziehen wären, wenn nicht die apokalyptische Prognose eines "weiter so" als unabwendbar hingenommen werden soll. So fordert er die Abkehr von einer instrumentellen und die Hinwendung zu einer emanzipatorischen Vernunft, denn nur mir ihr erscheint es möglich "die neue gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrem globalen Ausmaß wahrnehmen zu können, und darauf hinzuwirken, dass sie für die Menschheit gerechter und humaner gestaltet werden kann."

Dass zur Abwendung der apokalyptischen Perspektive die Welt nicht neu erfunden werden muss, darauf weist Ulrich Albrecht zum Abschluss hin. Über eine Skizzierung der Herkunftsgeschichte von Runden Tischen zeigt er auf, dass es historische Traditionen nicht-machtförmiger politischer Entscheidungsfindungsinstanzen gibt, die reaktiviert werden können. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass Konfliktbearbeitung nicht zwangsläufig machtgestützt und gewaltförmig ablaufen muss.

Abschließend sei daran erinnert, dass kommunikative Prozesse im 21. Jahrhundert ihre eigenen Voraussetzungen haben. Ralph M. Luedkte bearbeitet in seinem sofort ruf auf humoreske Weise Chancen und Risiken menschlichen Handelns im Zeitalter des Internets: Notabene!

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  • Universität Kassel, FB 10, Frau Teichert, Tel. 0561/804-3135; e.mail: ateicher@uni-kassel.de


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