"Nach dem Krieg ist vor dem Krieg"
Abschlusserklärung der Marburger Konferenz
Marburg, 03. März 2002
"Nach dem Krieg ist vor dem Krieg" - unter diesem Titel veranstalteten
Wissen-schafts- und Hochschulverbände vom 02.-03. März 2002 eine
Konferenz an der Universität Marburg, um eine friedenswissenschaftliche
"Zwischen"bilanz der durch die terroristischen Massenmorde des 11.
September 2001 ausgelösten poli-tischen und militärischen Reaktionen zu
ziehen.
Diese Entwicklungen berühren unmittelbar die gesellschaftliche
Verantwortung der Wissenschaft ebenso wie das Zusammenleben und -wirken
aller Hochschulan-gehörigen und Statusgruppen. Hochschulen sind keine
unkritisch funktionieren-den Dienstleistungsbetriebe, sondern ein
öffentlicher Raum der wissenschaftli-chen, kulturellen und politischen
Debatte. Zugleich ist es ihr Auftrag, einen Bei-trag zur Zivilisierung
von Konflikten und zum Abbau von Feindbildern zu leisten. Dazu gehört
auch die Erforschung der Ursachen und Zusammenhänge terroristi-scher
Gewalt.
Auch die offiziellen Repräsentanten der Hochschulen erklärten, dass nach
dem 11.9. nicht einfach zur Tagesordnung eines Wissenschaftsbetriebes
"as usual" ü-bergegangen werden könne. Dies hatte jedoch seitens der
Verantwortlichen kaum Konsequenzen. Stattdessen dominierte ein Klima des
Verdachtes, der Gefolgschaft gegenüber der staatlichen Obrigkeit und der
Passivität gegenüber sog. präventi-ven sicherheitspolizeilichen
Maßnahmen bisher nicht gekannten Ausmaßes bzw. der bedenkenlosen
Weitergabe von Daten. Derartige Maßnahmen, die etwa alle ausländischen
StudentInnen einem Pauschalverdacht aussetzten, wirkten tief in das
Zusammenleben der Hochschulmitglieder ein. Es waren nicht die
Hochschul-leitungen, sondern die Studierendenvertretungen, individuell
engagierte Hoch-schullehrerInnen und Gewerkschaften, welche, zum Teil
erfolgreich, politisch und juristisch gegen die Rasterfahndung
vorgingen, während sich die Hochschulrekto-renkonferenz, HRK, vor allem
den Kopf um die internationale Attraktivität des "Studienstandortes
Deutschland" zerbrach.
Die gegenwärtige Militarisierung von Konflikten, welche auch in den
genannten flächendeckenden Überwachungs- und Überprüfungsmaßnahmen zum
Ausdruck kommt, behindert zugleich die freie Kommunikation und ist damit
in letzter Kon-sequenz auch wissenschaftsfeindlich: In einem Klima der
Einschüchterung, der Vereinzelung und der blinden Anpassung gegenüber
staatlichen Erwartungsnor-men werden kritische Fragen abgeschnitten,
kann kein wissenschaftlicher Aus-tausch zustanden kommen, wird eine
problemadäquate Ursachenanalyse von so-zialen Konflikten, Krieg und
Gewalt verhindert.
Es ist daher unsere Aufgabe, aktuell wie zukünftig, durch
Eigeninitiative und de-mokratische Selbstorganisation ein solches Klima
zu durchbrechen, Solidarität mit allen Hochschulangehörigen zu üben und
Frieden zum Thema an den Hochschu-len zu machen. Wir werden uns dafür
einsetzen, dass
-
WissenschaftlerInnen gemeinsam mit Studierendenvertretungen
Ringvorlesun-gen zu friedenspolitischen Themen organisieren;
- am 21. Juni, dem Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die
Sowjetunion, der Lehrbetrieb ruht und stattdessen ein dies academicus
stattfindet, der der Thematik Krieg und Frieden gewidmet ist;
- den Hochschulgremien (Fachbereichsräte, Senate, Konzile)
Entschließungsan-träge vorgelegt werden, die sich eindeutig von der
gegenwärtigen militärischen Gewalteskalation der Hegemonialmacht sowie
der Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten im Hochschulbereich
distanzieren
- Wir werden uns dafür einsetzen, dass Patenschaften mit den Hochschulen
in den Ländern ergriffen werden, die unter dem Deckmantel des Kampfes
gegen den Terrorismus von kriegerischen Angriffen betroffen sind. Wir
werden uns bemühen, in diese Länder Anti-Kriegsdelegationen zu
entsenden, die unsere Solidarität mit den Anti-Kriegsorganisationen und
Initiativen in diesen Ländern besonders an den Universitäten und
wissenschaftlichen Institutionen ausdrü-cken sollen.
In diesem Sinne betrachten wir die Marburger Konferenz als einen
Auftakt. Die veranstaltenden Verbände erklären, dass sie auch weiterhin
bei der öffentlichen Bearbeitung der auf dieser Tagung aufgeworfenen
Fragestellungen zusammenar-beiten und ihre politische Zusammenarbeit
intensivieren werden.
UnterzeichnerInnen:
Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
freier zusammenschluss der studentInnenschaften
Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit - NaturwissenschaftlerInnen-Initiative
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