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Hintergrund. "Zivil-militärische Zusammenarbeit" an bundesdeutschen Hochschulen

. Von Peer Heinelt *

Teil I: Unis auf Kriegskurs

Zentrales Thema der Münchner »Sicherheitskonferenz«, die vom 5. bis 7. Februar in München stattfand, war die »Versorgungssicherheit« der westlichen Metropolen im allgemeinen und Deutschlands im besonderen; apodiktisch wird der Anspruch erhoben, nicht nur über alle für die Warenproduktion notwendigen industriellen Rohstoffe nach Belieben verfügen zu können, sondern diese auch zu Preisen zu erhalten, die den jeweiligen Abnehmern in ihr kommerzielles Verwertungskonzept passen. Um ein solches imperialistisches Programm in die Tat umzusetzen, bedarf es einer jederzeit weltweit einsatzfähigen Interventions- und Besatzungsarmee, die immer dann in Marsch gesetzt werden kann, wenn Rohstoffproduzenten irgendwo auf dieser Welt nicht spuren. Ein dieser Art funktionales Militär wiederum bedarf der Unterstützung zahlreicher ziviler Experten – »Entwicklungshilfe« etwa gilt heutzutage längst als Pendant erfolgreicher Aufstandsbekämpfung. So erklärte der für »wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« zuständige Minister Dirk Niebel (FDP) unlängst mit Blick auf Afghanistan, daß in Zukunft die »Aktivitäten unserer Hilfsorganisationen« – er nannte die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – »dort konzentriert werden, wo die Bundeswehr aktiv ist«.

Wie eng die hier ministeriell verfügte »zivil-militärische Zusammenarbeit« auf der politisch-administrativen Ebene bereits ist, wurde ebenfalls einmal mehr anläßlich der Münchner »Sicherheitskonferenz« 2010 deutlich: Hier trafen sich unter anderem die »Munich Young Leaders«, ihrem Selbstverständnis nach ein »Netzwerk für den außen- und sicherheitspolitischen Führungsnachwuchs«. Wer dazugehören darf, bestimmt die Hamburger Körber-Stiftung; explizites Ziel ist die Rekrutierung eines »exklusiven Kreis (es) jüngerer Mitarbeiter aus den Büros von Bundestagsabgeordneten und Fraktionen, dem Bundeskanzleramt, dem Auswärtigem Amt, dem Bundesministerium der Verteidigung sowie aus Berliner Botschaften und Think Tanks«. Welche Positionen der »exklusive Kreis« zu vertreten hat, ist in den »Policy Papers« der Stiftung nachzulesen. Darin heißt es unter anderem, daß Deutschland zur »Großmacht« berufen sei, weshalb es sich endlich von seinem aus dem Erbe des Nazifaschismus resultierenden »Minderwertigkeitskomplex« frei machen müsse.

Intelligente Kampfmaschinen

Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, daß auch die deutschen Universitäten zunehmend zum Exerzierfeld »zivil-militärischer Zusammenarbeit« werden, dienen sie doch ebenso der wissenschaftlichen Forschung wie der Ausbildung von Spezialisten und Führungspersonal aller Art. Wie sich die Kooperation der Bundeswehr mit den technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen des Wissenschaftsbetriebs darstellt, soll im folgenden am Beispiel der Entwicklung von Kampfrobotern oder »Unmanned Ground Vehicles« (UGVs) aufgezeigt werden, die für die deutschen Streitkräfte von strategischer Bedeutung sind. Dem deutschen Militär gelten UGVs als »Lebensversicherung« für die eigenen Soldaten, jedoch ist auch an weitergehende Einsatzszenarien gedacht: Ein Roboter sei »viel preiswerter als ein Panzer« und könne »viel mehr als nur Fahren und Schießen«, heißt es. Insgesamt verfügt die Bundeswehr mittlerweile über 40 UGVs, die von dem US-Konzern iRobot unter dem Markennamen »Packbot« vertrieben werden. Die »intelligenten« Kampfmaschinen firmieren unter der Bezeichnung »tEODor« (»telerob Explosive Ordnance Disposal and observation robot«) und werden in Afghanistan insbesondere zum Aufspüren und Entschärfen von Sprengsätzen eingesetzt. Sie zeichnen sich durch besondere Geländegängigkeit aus und sind in der Lage, ebenso in Schlamm und Schnee wie auf Sand und Asphalt zu operieren.

Federführend bei der Entwicklung von UGVs für die deutschen Streitkräfte ist der Wissenschaftler Hans Joachim Wünsche, Leiter des Bereichs »Technik Autonomer Systeme« an der Münchner Bundeswehr-Universität. Im Rahmen der Leistungsschau »European Land Robot Trial« (ELROB), die 2007 auf einem Truppenübungsplatz in der formal neutralen Schweiz stattfand, hatte Wünsche erstmals einen fahrerlosen Pkw vom Typ »VW Touareg« präsentiert. Seiner Aussage nach gelang es dem Fahrzeug, »in Bestzeit« nahezu autonom eine Strecke von acht Kilometern zurückzulegen; »enge Waldwege, steile Abhänge und in den Weg hineinragende Bäume« hätten dabei »kein Problem« dargestellt. Aber auch die Konkurrenz konnte sich sehen lassen: So schickten Forscherteams der Universitäten Hannover, Kaiserslautern und Siegen UGVs ins Rennen, die teilweise mit hervorragenden Bewertungen abschnitten.

Wie eng die »wehrtechnische« Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Universitäten ist, wird anhand der Person Wünsches deutlich. Neben seiner Tätigkeit für die Münchner Bundeswehr-Universität fungiert der Wissenschaftler als Teil des »Exzellenzclusters CoTeSys« (»Cognition for Technical Systems«), in das neben den Münchner Hochschulen auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das Max-Planck-Institut für Neurobiologie integriert sind. Des weiteren gehört Wünsche zu den Leitern des »Sonderforschungsbereichs Kognitive Automobile«, der mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am »Karlsruhe Institute for Technology« (KIT) eingerichtet wurde. Ziel, so die Münchner Bundeswehr-Universität, sei jeweils die Entwicklung von unbemannten Fahrzeugen, die sowohl mit Sensoren ausgestattet sind als auch über »kognitive Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Überlegung, Lernen und Planen« verfügen.

Partner der Wirtschaft

Wie das KIT wirbt auch das »strategische Forschungscluster« CoTeSys mit »erstklassigen« Arbeitsbedingungen um wissenschaftlichen Nachwuchs. In einer Selbstdarstellung werden »Absolventen und Absolventinnen technischer, sozialwissenschaftlicher oder naturwissenschaftlicher Studiengänge« explizit aufgefordert, »bei CoTeSys ein (zu)steigen«; die eigens für sie gegründeten »Independent Young Research Groups« böten ihnen »die Möglichkeit, im Team eigene themenübergreifende Forschungsvorhaben sehr frei zu planen und umzusetzen«. Die »Nachhaltigkeit des Clusters«, heißt es weiter, werde zudem durch ein »neues interdisziplinäres Lehrkonzept« sichergestellt; es umfasse »neue Bachelor- und Masterstudiengänge sowie Summer Schools für Doktoranden« und sei »darauf ausgerichtet, Studenten und junge Wissenschaftler am Standort zu fördern sowie Forscher exzellenter Einrichtungen weltweit nach München zu bringen« – zum Beispiel durch das Angebot einer »neue (n) Professur für strategisch bedeutsame Kompetenzbereiche«.

Aber das 120 Wissenschaftler umfassende »Exzellenzcluster«, das sich selbst als »Partner der Wirtschaft« versteht, hat auch denjenigen, die lieber in der Rüstungsindustrie als an der Universität arbeiten möchten, einiges zu bieten: Ein hauseigener »Career Service« zur Vermittlung von wissenschaftlichen Mitarbeitern an interessierte Unternehmen gehört ebenso dazu wie die »Qualifizierung« durch »Abordnung« an firmeneigene Forschungsgruppen »zum Erwerb eines Diploms, eines Masters oder zwecks Promotion«. Die »Verzahnung« mit der International Graduate School of Science and Engineering (IGSSE), einer weiteren »Exzellenzinitiative« der Technischen Universität München, biete außerdem die Möglichkeit, so heißt es, zahlreiche »Soft skills« wie etwa die Fähigkeit zur Teamarbeit zu schulen, da diese »für eine Tätigkeit in der Wirtschaft von hoher Relevanz« seien.

Strategische Forschung

Bei Waffenschmieden wie Rheinmetall, Diehl und Thales dürften Angebote wie diese auf fruchtbaren Boden fallen; erst unlängst hat ein von den drei Konzernen gebildetes Konsortium von der »Europäischen Verteidigungsagentur« (»European Defence Agency«/EDA) den Auftrag erhalten, ein »geländegängiges« UGV von der Größe eines vierrädrigen Motorrads, eines Quads, zu entwickeln. Das Fahrzeug soll eine Reichweite von 400 Kilometern haben und ohne Unterbrechung bis zu 24 Stunden lang einsetzbar sein. Zu den Aufgaben des projektierten UGV zählen »Langzeitpatrouillen« und »Überwachungsszenarien« ebenso wie »ABC-Spüreinsätze in möglicherweise kontaminiertem Gebiet« und die »Suche nach improvisierten Sprengladungen«.

Daß es sich hierbei nicht um technische Spielereien, sondern um strategische Forschungsvorhaben handelt, wird spätestens deutlich, wenn die beteiligten Rüstungsfirmen die »inhaltliche Orien­tierung« des Projekts erläutern. Diese, erklärt etwa Rheinmetall, beziehe das Entwicklungsvorhaben aus »aktuellen und künftigen militärischen Szenarien mit einer ernstzunehmenden Bedrohungssituation«, die allerdings »nur schwer einzuschätzen« sei: »Ob nun in Afghanistan, im Irak oder in zukünftigen Einsatzgebieten, überall stellt sich die Situation für die Einsatzkräfte ähnlich dar: Keine festen Frontverläufe, der Gegner ist nur schwer oder gar nicht zu erkennen und hat meist keine Skrupel, auch Unbeteiligte zu schädigen.« Darüber hinaus wollten die an »internationalen Missionen« beteiligten Militärmächte »die Verluste möglichst gering halten, um die Einsätze innenpolitisch weiter vertreten zu können«, heißt es. Die Lösung des Problems, so Rheinmetall weiter, seien »unbemannte Systeme, die autonom agieren und wichtige Aufgaben übernehmen können, während die Einsatzkräfte in sicherer Entfernung bleiben können und etwaigen Gefahren nicht unnötig exponiert werden«.

Unter dem Schutz der Truppe

Welche Dimensionen die »zivil-militärische Zusammenarbeit« im Wissenschaftsbetrieb mittlerweile angenommen hat, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß einer Studie der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) zufolge an 60 deutschen Universitäten »wehrtechnische« oder »wehrmedizinische« Forschung betrieben wird – die Hochschulen der Bundeswehr nicht mitgerechnet. Allerdings geraten nicht nur Ärzte, Ingenieure und Techniker, sondern auch Geistes- und Sozialwissenschaftler zunehmend ins Blickfeld von Militär und Militärpolitik. Jüngst in dieser Hinsicht aufgefallen ist der Sonderforschungsbereich 700 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« der Freien Universität Berlin (SFB 700), der zahlreiche Juniorprofessoren und Doktoranden beschäftigt (siehe jW-Thema vom 15.9.2008). Zwei der am SFB 700 tätigen Forscher wurden bereits direkt von der Bundeswehr unter Vertrag genommen: Jan Koehler und Christoph Zürcher befassen sich in einer vom Verteidigungsministerium bestellten Studie mit »rasch sichtbaren Maßnahmen des Wiederaufbaus«, sogenannten Quick Impact Projects, im Nordosten Afghanistans. Diese werden von der für die staatliche »Entwicklungshilfe« zuständigen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführt und sollen angesichts zunehmender Aufstandsaktivitäten dazu beitragen, die »Akzeptanz« der deutschen Besatzungstruppen bei der afghanischen Bevölkerung zu erhöhen.

Laut Aufgabenstellung war in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwieweit Bundeswehr-einheiten für »Operative Information« zu einer entsprechenden begleitenden »Öffentlichkeitsarbeit« herangezogen werden können. Nach ausgiebigen »Feldforschungen« unter dem Schutz der Truppe kamen die beiden Wissenschaftler zu folgenden Schlüssen: Zum einen müsse die Bundeswehr die GTZ »noch stärker (…) hinsichtlich Informationsbeschaffung und Analyse unterstützen«; dies liege »im militärischen Eigeninteresse«, da die Kooperation mit der Entwicklungsagentur helfe, »das Lagebild zu verbessern« und die Verbindung zur afghanischen Bevölkerung »zu verstetigen«. Zum anderen solle die auf psychologische Kriegführung spezialisierte Truppe für »Operative Information« eine »gezielte PR-Begleitung« der GTZ-Projektarbeit übernehmen, schließlich stünden hierfür ein von den Psycho-Kriegern betriebener Radiosender und eine von diesen publizierte Zeitung zur Verfügung.

Psychologische Kriegführung

Mit Aufstandsbekämpfung befassen sich auch die an etlichen deutschen Universitäten aktiven »Außen- und sicherheitspolitischen Studienkreise« (ASS). Der eingetragene Verein versammelt nach eigenen Angaben Politikwissenschaftler, Historiker, Islamwissenschaftler und »Geopolitiker« mit dem Ziel, »politischen, gesellschaftlichen und militärischen Kompetenzträger (n)« das »Handwerkszeug« für den Umgang mit Widerstandskämpfern, Partisanen und »Terroristen« zu liefern. Jüngstes Ergebnis der Expertenberatungen ist die Publikation »Asymmetrische Konflikte im Spiegel der Zeit«; hier wird unter anderem erklärt, daß sowohl die »Schwierigkeiten« als auch die »Problemlösungsansätze« des US-amerikanischen und des britischen Militärs bei der Bekämpfung von Aufständischen in Vietnam und in Malaysia »mannigfaltige Gemeinsamkeiten mit der heutigen Situation in Afghanistan und dem Irak« aufwiesen. Die Strategie »massivste (r) Bombardements«, wie sie die USA in Vietnam anwandten und wie sie heute in Afghanistan praktiziert werden, so heißt es weiter, habe sich als »kontraproduktiv« erwiesen: Da die zahlreichen Opfer unter der Zivilbevölkerung zu einem »Legitimitätsverlust« auf seiten der Besatzungstruppen führten, sei »ein gezieltes Eingreifen durch Spezialeinheiten am Boden, wie von den Briten in Malay (si)a systematisiert, sowohl militärisch als auch psychologisch vorzuziehen«.

Analog den Forschungsergebnissen des SFB 700 sieht der Autor Daniel Kramer die Grundlage für eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung in der »funktionierende (n) Informationsgewinnung« über Nachschubrouten, Rückzugsgebiete und militärische Strukturen der Insurgenten. Einer solchen »Informationsgewinnung« wiederum diene die psychologische Kriegführung, deren Aufgabe die »Gewinnung der Herzen und Köpfe« der Bevölkerung sei; dieser müsse man materielle Vorteile versprechen, um sie dazu zu bringen, sich von den Aufständischen zu »trennen«, heißt es. In Afghanistan etwa seien die offiziell für den »Wiederaufbau« des kriegszerstörten Landes zuständigen »Provincial Reconstruction Teams« der Bundeswehr das geeignete »zivil-militärische Instrument«, um »direkt an die lokale Bevölkerung anzudocken«.

Kampf um Ressourcen

Wie der »Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen« (BSH), der mittlerweile in 38 deutschen Universitätsstädten präsent ist, zählen auch die »Außen- und Sicherheitspolitischen Studienkreise« zu den »Zentralen Arbeitskreisen« des »Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr«. Ende April 2008 präsentierte der Reservistenverband im Rahmen einer Feierstunde in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Kaserne ein gemeinsam mit den ASS erarbeitetes »Praxis-Handbuch Energiesicherheit«. Wie der Gastgeber und Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, Oberst Franz Arnold, bei dieser Gelegenheit erklärte, sei heutzutage von einem »erweiterten Sicherheitsbegriff« auszugehen, der selbstverständlich beinhalte, daß »Streitkräfte weltweit eingesetzt werden, um Energiesicherheit zu gewährleisten«. Dementsprechend soll das »Handbuch« nach Mitteilung der Herausgeber dazu beitragen, die deutsche Bevölkerung auf einen »künftig mit Härte und Gewalt geführten Wettbewerb um Ressourcen, Verteilung und Transport« vorzubereiten; explizites Ziel ist die Lancierung einer politischen »Kampagne«, die die militärische Absicherung der deutschen Energieversorgung begleitet und von Reservisten organisiert wird.

Zu der sich an zivilen deutschen Universitäten etablierenden »Strategic Community« zählt neben den ASS und dem BSH auch die »Akademische Gesellschaft für sicherheitspolitische Kommunikation« (AGfsK). Die von dem Nachwuchspolitiker Ingo Wetter (CDU) und dem Reservisten Rouven Maid geleitete Organisation will nach eigener Aussage eine »breite, gesellschaftliche Debatte über Sicherheit, Sicherheitspolitik und Sicherheitsinteressen« initiieren und setzt zu diesem Zweck auf eine enge »Kooperation« mit den einschlägigen »Institutionen des politisch-administrativen Systems«. Man wolle zur »Sicherung des Friedens und der Freiheit in und außerhalb (sic!) Europas« beitragen, teilt die AGfsK unter Bezug auf traditionelle Floskeln expansionistischer Propaganda mit und kündigt an, dabei ganz bewußt »über klassische Modelle und Denktraditionen hinaus (zugreifen)«.

Die erste von der akademischen Gesellschaft organisierte Veranstaltung fand Ende Februar 2009 an der Universität Marburg statt und war der Beurteilung von »Bedrohungsszenarien« gewidmet. Erklärtes Ziel der Veranstalter war es, anhand von Planspielen das »Katastrophenpotential« und die »Eintrittswahrscheinlichkeit« von gegen deutsche Interessen gerichteten Angriffen einzuschätzen, um auf dieser Grundlage »geeignete Abwehrmaßnahmen« zu entwickeln – etwa im Bereich der »Terrorismusbekämpfung«. Ganz im Sinne des Selbstverständnisses einer »Strategic Community« waren zu dem Marburger »Workshop« nicht nur Studierende und Wissenschaftler geladen, sondern ebenso »Personen aus der strategisch-operativen Praxis«.

Allerhand »Bedrohungen«

Zu letzteren zählte unter anderem Stephan Böckenförde, der im Programm des »Workshops« als »Vertretungsdozent an der Universität Marburg« firmierte. Verschwiegen wurde dabei, daß Böckenförde hauptberuflich für die deutschen Streitkräfte tätig ist: Im Auftrag der »Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation« (AIK) in Strausberg bei Berlin, der Nachfolgeeinrichtung der »Schule für Psychologische Verteidigung«, bietet Böckenförde regelmäßig mehrtägige Seminare für Journalisten an. Dabei geht es seiner Aussage nach vorrangig um das »Bekanntmachen mit der Arbeit des Presse- und Informationsstabes des Bundesministeriums der Verteidigung« mit dem Ziel, entsprechendes »Hintergrundwissen« samt der zugehörigen »Kontakte« zu vermitteln. Grundsätzlich gelten Medienvertreter der AIK eigenen Angaben zufolge als »Multiplikatoren« von Propagandabotschaften; ihnen ist insbesondere die Rolle zugedacht, in der Öffentlichkeit immer wieder auf die vermeintliche Notwendigkeit und Alternativlosigkeit des Umbaus der Bundeswehr zu einer Armee im permanenten »Auslandseinsatz« hinzuweisen.

Die AIK wiederum hat Böckenförde an die Universität Potsdam abgeordnet, wo er als Dozent des Masterstudiengangs »Military Studies« wirkt. Angeleitet von ihm sowie Mitarbeitern des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr und des Militärgeschichtlichen Forschungsamts erfahren hier Interessierte der Eigenwerbung zufolge alles Wissenswerte über die »Themenfelder Militär, Krieg und organisierte Gewalt«. Der Studiengang ist den Fakultäten für Philosophie sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zugeordnet; Ziel ist es laut Prüfungsordnung, die Absolventen zu befähigen, »in Politik, Medien und Kultureinrichtungen militärhistorische und militärsoziologische Zusammenhänge zu vermitteln«. Daß damit die Rekrutierung von »Multiplikatoren« im Sinne eines gleichermaßen imperialistischen wie wohlstandschauvinistischen Programms gemeint ist, wird deutlich, wenn man liest, was Dozent Böckenförde in seinen Seminaren zum besten gibt: Diskutiert werden hier allerhand »Bedrohungen« für die »Sicherheit« Deutschlands – von der »Unerreichbarkeit von Märkten« und der »Verringerung von Angebotsmengen« über die Ausbreitung von Pandemien bis zu »Migrationsbewegungen« aus den Armutszonen des Südens.

Teil II: Besatzungswissenschaft

Die Einflußnahme der Bundeswehr auf den zivilen Wissenschaftsbetrieb – euphemistisch als »zivil-militärische Zusammenarbeit« bezeichnet – erstreckt sich nicht nur auf den Bereich der Forschung, sondern ebenso auf die akademische Lehre. So organisieren die vorrangig für die militärpolitische Propaganda gegenüber Schülern zuständigen Jugendoffiziere der deutschen Streitkräfte an zahlreichen Universitäten regelmäßig Vortragsreihen und Seminare oder spielen mit Studenten das Simulationsspiel POL&IS (Politik und Internationale Sicherheit), das den Teilnehmern die Fähigkeit zu »geostrategischem Denken« vermitteln soll. Besonders gute Kontakte unterhalten die Jugendoffiziere gemäß ihrem »Jahresbericht 2008« zu den zivilen Universitäten in Bremen, Hannover, Augsburg, Duisburg-Essen, Köln, Erlangen-Nürnberg und Erfurt sowie zu den Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg.

In bezug auf die Universität Potsdam erschien der Bundeswehrführung der Einsatz von Jugendoffizieren jedoch offenbar nicht als ausreichend; hier wurde 2006 der Masterstudiengang »Military Studies« implementiert, dessen Lehrangebot zum Großteil direkt von Militärs gestaltet wird. Im laufenden Wintersemester etwa offeriert der in den Diensten der deutschen Streitkräfte stehende Dozent Stephan Böckenförde (siehe Teil I) ein Seminar über die »Grundlagen der internationalen Sicherheitspolitik«. Die »Leitfrage« der Veranstaltung bezieht sich zum einen auf die »Angemessenheit« diverser »Lösungsstrategien« für aktuelle »sicherheitspolitische Herausforderungen« und zum anderen auf einen konstatierten »Wandel des Sicherheitsverständnisses«. Einen Hinweis darauf, was hiermit gemeint sein könnte, gibt der letzte Punkt im Ablaufplan des Seminars: »Den Abschluß … bildet eine »Exkursion Afghanistan« in die verschiedenen, in das zivile und militärische Afghanistan-Engagement Deutschlands eingebundenen Ministerien.«

Daß Böckenförde militärische Intervention, Besatzung und Krieg für diskutable »Lösungsstrategien« aktueller »sicherheitspolitischer Herausforderungen« hält, zeigt sein Buch »Deutsche Sicherheitspolitik«, das er seinen Studenten als Basislektüre verordnet hat. Das »Sicherheitsverständnis in Deutschland«, so der Autor, beziehe sich nicht mehr nur auf »klassische zwischenstaatliche – symmetrische – Kriege«, sondern ebenso auf »asymmetrisch ausgetragene Konflikte zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren«, also auf die aktuellen und künftigen Kriege der westlichen Metropolen gegen Aufstandsbewegungen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. Zudem würden mittlerweile auch »tiefgreifende Störungen des internationalen Systems« in den Blick genommen, da diese das Potential besäßen, »Deutschlands Fähigkeit zu souveränem Handeln und zu einer selbstbestimmten Eigenentwicklung in erheblichem Maße zu beeinträchtigen«, heißt es weiter. Eine solche »tiefgreifende Störung« liegt nach Ansicht von Böckenförde immer dann vor, wenn die »Versorgungssicherheit« Deutschlands mit industriellen Rohstoffen gefährdet ist – bedingt durch die »Unerreichbarkeit von Märkten«, die »Verringerung von Angebotsmengen« oder »Preissteigerungen«. Zu den vielfältigen »Bedrohungen«, denen Deutschland seiner Auffassung nach weltweit ausgesetzt ist, zählt Böckenförde außerdem die »Ausbreitung und Auswirkung von HIV/AIDS in Teilen Afrikas« sowie »Migrationsbewegungen«.

Imperialistisches Programm

Böckenfördes Auffassungen finden sich nahezu wortgleich im vom Bundesverteidigungsministerium herausgegebenen »Weißbuch 2006« und in Veröffentlichungen der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, dem militärpolitischen Think-tank des Bundes. Insbesondere seine Rede von der je nach Bedarf militärisch zu gewährleistenden »Versorgungssicherheit«, die als hergestellt gilt, wenn Deutschland die für seine ökonomische Entwicklung notwendigen Waren und Rohstoffe zu den Preisen erhält, die es bereit ist zu zahlen, zeigt, daß es hier nicht um wissenschaftliche Forschung, sondern um die Propagierung eines imperialistischen Programms geht. Während Deutschland einerseits weltweite Zugriffsrechte auf Waren, Rohstoffe und Märkte eingeräumt werden, erscheinen andererseits Armutsflüchtlinge aus den Ländern des Südens als Bedrohung einer »selbstbestimmten Eigenentwicklung«, als ökonomische Belastung: Das imperialistische Programm erhält seine wohlstandschauvinistische Grundierung.

Hauptberuflich arbeitet Dozent Böckenförde für die seit 1994 in Strausberg bei Berlin beheimatete »Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation« (AIK), die Nachfolgeeinrichtung der »Schule für Psychologische Verteidigung«. Ursprünglich hatte man hier noch analog der Naziterminologie von »Psychologischer Kampfführung« oder »Wehrpropaganda« gesprochen und damit die »planmäßige Aufklärung und Erziehung des Volkes, besonders der Jugend, zur Wehrbereitschaft« gemeint. Aus Anlaß der 1990 erfolgten Umbenennung der Ausbildungsstätte erläuterte die vormalige Nazipropagandistin Elisabeth Noelle-Neumann, Leiterin des Allensbacher Instituts für Demoskopie, in einer Grundsatzrede die Funktionen der vermeintlich neuen Einrichtung und der dort durchzuführenden sozialwissenschaftlichen Forschungsarbeiten: »Es geht nicht an, daß im Bereich der Verteidigung zwar höchste Anforderungen gestellt werden an militärische und ingenieurwissenschaftliche Grundlagen, Technik in Planung und Ausführung, daß aber die Sozialwissenschaften als ›weiche Wissenschaften‹ denen überlassen werden, denen militärische Werte an sich ein Ärgernis sind, denen die konservativen Werte wie Disziplin, Gehorsam, Patriotismus, Nationalgefühl an sich ein Greuel sind, weil sie (…) in ihrer Lebensnotwendigkeit und Notwendigkeit zur Existenzsicherung nicht verstanden werden.« Noelle-Neumann zufolge sollten die genannten Werte deshalb »geistig und gefühlsmäßig« in der Bevölkerung »verankert« werden – zumal in einer gesellschaftlichen Situation, in der, wie sie formulierte, »das Bedrohungsgefühl als Legitimation der Bundeswehr völlig verschwunden ist«.

»Neue Herausforderungen«

Genau zu diesem Zweck dürfte die AIK ihren Mitarbeiter Böckenförde an den Potsdamer Studiengang »Military Studies« abgeordnet haben, als dessen »Träger« einerseits die Fakultäten für Philosophie sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaft der Universität Potsdam und andererseits das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) und das Sozialwissenschaftliche Institut (SoWi) der Bundeswehr fungieren. Voraussetzung für die Teilnahme ist ein »berufsqualifizierender Hochschulabschluß«, der mindestens mit der Note »gut« bewertet wurde. Lediglich solcherart qualifizierte Studierende sind berechtigt, während vier Semestern alles Wissenswerte über die »Themenfelder Militär, Krieg und organisierte Gewalt« zu erfahren, wie es in der Prüfungsordnung heißt.

Gegliedert ist der Studiengang in sogenannte Module, also aufeinander aufbauende Lerneinheiten. Bereits in der Beschreibung der Lehrinhalte für das Modul »Sicherheitspolitik und Konfliktforschung« wird deutlich, daß hier von den Dozenten eine Sichtweise auf die Realität eingenommen wird, die im Sinne eines vermeintlichen Common sense als unhinterfragbar gilt: »Im Modul werden Entwicklungslinien gezeigt, die zur Transformation der sicherheitspolitischen Koordinaten nach der Epochenwende 1989/1990 geführt haben und die neuen Herausforderungen der Weltgemeinschaft durch Globalisierung, asymmetrische Konflikte und den internationalen Terrorismus bedingen.« Allein die Rede von den »neuen Herausforderungen«, mit denen sich die »Weltgemeinschaft« auseinanderzusetzen habe, unterstellt ein globales Regime, das im Sinne eines umfassenden Gemeinwohls handelt – und abstrahiert damit bewußt von den sozialen und politischen Verhältnissen zugunsten einer ideologischen Konstruktion.

Die für die Teilnehmer des Studienganges verpflichtenden Praktika wiederum, heißt es in einer Selbstdarstellung, »sollen gezielt in die verschiedenen Berufsfelder einführen«. Dazu würden die Studierenden »an Institutionen vermittelt, die sich mit der Erforschung und medialen sowie der musealen Vermittlung militärischer und sicherheitspolitischer Themen befassen«, sowie »an Einrichtungen, die im Bereich der Politikberatung tätig sind«. Unter den dann genannten acht potentiellen Praktikumsgebern finden sich fünf Einrichtungen, die in unmittelbarer Beziehung zur Bundeswehr stehen oder direkt von dieser unterhalten werden: die »Träger« des Studienganges MGFA und SoWi; das wie das SoWi und die AIK auf dem »Campus Strausberg« der Bundeswehr untergebrachte »Zentrum für Transformation«, das nach eigener Aussage den Umbau der deutschen Streitkräfte zu einer Armee im permanenten »Auslandseinsatz« wissenschaftlich »begleitet«; das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden und die bereits erwähnte Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Explizites Ziel der Lehrveranstaltungen und Praktika des Studienganges ist es laut Prüfungsordnung, die Absolventen zu befähigen, »in Politik, Medien und Kultureinrichtungen militärhistorische und militärsoziologische Zusammenhänge zu vermitteln«. Da diese Befähigung zu einem großen Teil durch Angehörige der Bundeswehr und deren Institutionen vermittelt wird, dürfte sich das Lernergebnis kaum von dem anderer »Multiplikatorenseminare« unterscheiden, wie sie etwa regelmäßig vom Dozenten Böckenförde an der AIK angeboten werden. Als »Multiplikatoren« gelten hier all diejenigen, die geeignet scheinen, das Image der Bundeswehr in der Öffentlichkeit positiv zu beeinflussen – seien es Journalisten, Lehrer, Geistliche, Richter oder Polizisten. Ihnen ist insbesondere die Rolle zugedacht, sowohl die Notwendigkeit als auch die Alternativlosigkeit des Umbaus der Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz« zu propagieren.

Eingebettete Forscher

Nicht nur im Falle Böckenfördes, auch bei dem Dozenten Heiko Biehl, der vom SoWi an die Universität Potsdam abgeordnet wurde, zeigt sich eine starke thematische Nähe seiner im Rahmen der »Military Studies« vermittelten Lehrinhalte zu den von ihm betreuten militärischen Forschungsprojekten. Befaßt sich sein Seminar an der Potsdamer Hochschule mit dem »Umbau der Streitkräfte« zu »Armeen im Einsatz«, untersucht er im Auftrag der Bundeswehr die Möglichkeiten des Aufbaus »multinationaler Streitkräftestrukturen« im Rahmen »europäischer Streitkräfte«. In einer Selbstdarstellung des SoWi heißt es hierzu: »Der Forschungsschwerpunkt ›Multinationalität/Europäische Streitkräfte‹ ist vor dem Hintergrund der Herausbildung einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelt worden. Im Zentrum des Forschungsschwerpunktes stehen vor allem Fragen zu den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen einer gemeinsamen europäischen Streitkräfteintegration mit dem Ziel, aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die Entwicklungen systematisch zu erfassen und zu analysieren, um entsprechende Handlungsvorschläge zu erarbeiten und organisationswissenschaftliche Unterstützung für die beteiligten Akteure und Führungskräfte zu leisten.«

Die beteiligten Akteure und Führungskräfte zu unterstützen, ist auch der Zweck der vom SoWi wahrgenommenen »sozialwissenschaftlichen Begleitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr«, in die Biehl ebenfalls involviert ist. Seit mehr als zehn Jahren untersucht die Forschungseinrichtung die Lage der Soldaten in den Operationsgebieten des deutschen Militärs und die Situation ihrer Familien in der Heimat, wobei der Schwerpunkt mittlerweile auf dem Krieg in Afghanistan liegt. Zur Begründung führt das SoWi folgendes aus: »Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wird auf Jahre eine große Herausforderung deutscher Sicherheitspolitik bleiben. Angesichts des komplexen und hochpolitischen Charakters der Mission und der besonderen Gefährdungslage für die Soldatinnen und Soldaten besteht für die politisch und militärisch Verantwortlichen in der Bundeswehr und darüber hinaus ein besonderer Informationsbedarf. Fundierte Kenntnisse über die Einstellungen und Belastungen der deutschen Soldatinnen und Soldaten sind vonnöten, um die Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr realistisch beurteilen zu können.«

Einen »authentischen Eindruck von der Situation der Soldaten vor Ort« erhielten die Forscher, so heißt es weiter, »wenn sie selbst an der einsatzvorbereitenden Ausbildung, den laufenden Einsätzen und den Nachbereitungsseminaren teilnehmen«. Deshalb begleiteten die Wissenschaftler ein deutsches Kontingent der ISAF-Truppen und gingen dabei folgenden »Leitfragen« nach: »Wie bewerten die Soldatinnen und Soldaten die Einsatzvorbereitung einschließlich seelsorgerischer Begleitung und truppenpsychologischer Unterstützung? Wie ist die Motivation und das Rollenverständnis der Soldatinnen und Soldaten? Welche Haltung haben diese zur Anwendung von Gewalt und zum aktiven Kampfeinsatz? Was sind die wesentlichen Belastungen der Soldatinnen und Soldaten sowie der Familien und wie können diese reduziert werden? Wie ausgeprägt ist die interkulturelle Kompetenz – auch hinsichtlich des Dienstes in multinationalen Verbänden und des Umgangs mit der Bevölkerung im Einsatzland?« Sozialwissenschaftliche Forschung mutiert zur Besatzungswissenschaft, deren Erkenntnisinteresse in erster Linie darauf ausgerichtet ist, die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr – ihre »Einsatz- und Durchhaltefähigkeit« auf fremdem Territorium – einzuschätzen und zu verbessern.

»Einsatzunterstützung«

Der neben dem SoWi zweite militärische »Träger« des Studienganges »Military Studies«, das Militärgeschichtliche Forschungsamt, wurde um die Jahreswende 1956/57 unter Leitung des vormaligen Nazioffiziers Hans Meier-Welcker ins Leben gerufen und versteht sich selbst als »zentrale militärgeschichtliche Forschungseinrichtung des Bundes«. Analog dem SoWi definiert der Chef der Einrichtung, Oberst Hans Ehlert, die Aufgaben des MGFA mit Blick auf den Umbau der Bundeswehr zur »Armee im Einsatz«: »Die gesamte Bundeswehr befindet sich in einem Transformationsprozeß, der die Streitkräfte den veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen und neuen Aufträgen anpassen wird. In dieser Lage gewinnen die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (­MGFA) wahrgenommenen Aufgaben zusätzliche Bedeutung. Unsere Dienststelle leistet einen wichtigen Beitrag für die historische Bildung in der Bundeswehr auf der Basis einer breit angelegten militärhistorischen Forschung. Hinzu kommt die Bereitstellung von Expertisen für die politische Leitung und militärische Führung sowie für die wissenschaftliche und allgemeine Öffentlichkeit im In- und Ausland. Das MGFA, zugehörig der Streitkräftebasis, trägt zur Verortung der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft bei und wird sich auch in Zukunft verstärkt in die Ausbildung der Soldaten einbringen.«

Die Ausbildung der Soldaten beinhaltet deren Vorbereitung auf Kriegs- und Besatzungsaufgaben; das MGFA hat in diesem Zusammenhang die Funktion übernommen, die Ausstattung der Bundeswehrangehörigen mit historisch-landeskundlichem Schulungsmaterial zu kontrollieren und zu diesem Zweck eigens einen »Wissenschaftlichen Beirat Einsatzunterstützung« gegründet: »Der 2005 ins Leben gerufene Wissenschaftliche Beirat Einsatzunterstützung stellt die Qualitätssicherung neuer Produkte durch Prüfung von Manuskripten und durch die Beratung in konzeptionellen Fragen sicher. Der Wissenschaftliche Beirat Einsatzunterstützung begleitet zur Zeit Produkte zu den Regionen Balkan, Afghanistan, Afrika und Naher Osten. Im Falle neuer inhaltlicher Schwerpunkte werden geeignete Spezialisten zusätzlich kooptiert.«

Es verwundert somit nicht, daß sich das ­MGFA als »Teil der ›scientific community‹« betrachtet, ist doch laut einer Selbstdarstellung die »Verankerung in der Wissenschaftslandschaft« – und die damit verbundene Möglichkeit zur Personalrekrutierung – für die »Erfüllung neuer Aufträge« von »entscheidender Bedeutung«. Aktuell umfaßt der »Wissenschaftliche Beirat Einsatzunterstützung« zwei Militärs (Oberst Karl Ernst Graf Strachwitz, Kommandeur der Heeresaufklärungsschule in Munster, und Oberst Jörg Aschenbrenner, Chefredakteur der vom österreichischen Verteidigungsministerium herausgegebenen Zeitschrift Truppendienst), zwei Osteuropaforscher (Holm Sundhaussen vom Osteuropa-Institut der FU Berlin und Konrad Clewing vom mittlerweile in Regensburg beheimateten Südost-Institut), einen Experten für Entwicklungsländer (Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn) sowie einen weiteren für den afrikanischen Kontinent (Volker Matthies von der Führungsakademie der Bundeswehr, Mitglied im Kuratorium des Instituts für Afrika-Kunde der Universität Hamburg). Das Gremium ist damit wie der Studiengang »Military Studies« ein Beispiel für die zivil-militärische Zusammenarbeit im Wissenschaftsbetrieb, dient aber im Unterschied zu diesem unmittelbar der Kriegführung.

»Erweiterter Sicherheitsbegriff«

Um »Einsatzunterstützung« bemüht sich auch Wolfgang Schmidt, in den Jahren 2007 und 2008 Lehrbeauftragter des Studienganges »Military Studies«. Er wechselte 2008 vom MGFA zur Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, wo er als »Leitdozent Militärgeschichte« im Fachbereich »Sicherheitspolitik und Strategie« tätig ist. Nach eigener Aussage arbeitet er hier an der »konzeptionellen Weiterentwicklung« der militärhistorischen Curricula und bietet Seminare zur »Geschichte des strategischen Denkens« für künftige Generalstabsoffiziere an. Zum »Kern der Lehre« am Fachbereich »Sicherheitspolitik und Strategie« zählen darüber hinaus »Geopolitik« und »Geostrategie«; die Lehrgangsteilnehmer befassen sich sowohl mit der Frage der »Ressourcensicherheit« als auch mit dem Problem der »Piraterie«. Es gilt ein »erweiterter Sicherheitsbegriff«, wie die Führungsakademie erklärt: »Deutsche Sicherheitspolitik wird durch nationale Politik bestimmt. (…) Wirtschaftspolitik wirkt sich ebenso auf deutsche Sicherheitsinteressen aus wie Verteidigungs- und Außenpolitik.«

Für das laufende Wintersemester hat das ­MGFA Oberstleutnant Matthias Rogg als Dozenten an die Universität Potsdam abgeordnet; im Rahmen des Studienganges »Military Studies« bietet er ein Seminar über das »Grenzregime der DDR« an. Dies läßt sich zwar schwerlich als »Einsatzunterstützung« im Sinne der Bundeswehr werten, allerdings dürften Roggs diesbezügliche Qualitäten auch mehr auf dem Gebiet der Geschichtspolitik liegen. So arbeitet der Historiker an einem Buch über die »Geschichte der deutschen militärischen Luftfahrt«, über das er selbst folgendes sagt: »Der Band bietet einen komprimierten Überblick über die Entwicklung der deutschen militärischen Luftfahrt von der Ballonfliegertruppe bis zu den jüngsten Aufgaben der Luftwaffe im Einsatz. Neben den militär- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen sowie den wichtigsten technischen und organisatorischen Veränderungen zeigt die Darstellung auch die Bedeutung wirtschaftlicher und kultureller Entwicklungen.« Einmal mehr wird der Umbau der Bundeswehr zur jederzeit weltweit einsatzfähigen Interventions- und Besatzungsarmee, zur »Armee im Einsatz«, rein affirmativ betrachtet. Wirklich angst und bange wird einem vor diesem Hintergrund allerdings bei dem Gedanken, daß Rogg offenbar den Zweiten Weltkrieg, einen in der Menschheitsgeschichte einzigartigen deutschen Vernichtungskrieg, unter »militär- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen« abgelegt hat. Sollten die Absolventen des Studienganges »Military Studies« in ihrem Berufsleben als »Multiplikatoren« solcher Auffassungen wirken, besteht in der Tat die Gefahr, daß sich Geschichte wiederholt.

* Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in Frankfurt/Main

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen am 16. und 17. Februar 2010 in der "jungen Welt"



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