Ein großer linker Ökonom
Zum Tod von Jörg Huffschmid, Mitbegründer der "Memorandum-Gruppe"
Von Heinz-J. Bontrup
Jörg Huffschmid (1940 bis 2009) ist nicht mehr unter uns. Er ist nur 69 Jahre alt geworden. Persönlich verliere ich mit Jörg meinen hochgeschätzten Lehrer und Doktorvater und einen guten Freund.
Die Herausgeber seiner Festschrift zum 60. Geburtstag schrieben über ihn zu Recht, dass drei Kriterien sein erkenntnisleitendes Interesse als Wissenschaftler bestimmten: »analytische Fundierung, umfassende empirische Begründung sowie ökonomieübergreifende historische Horizonterweiterung«. Dabei hat er immer nach einem holistischen Ordnungsweg in der Ökonomie, nach Alternativen zu einer einseitigen kapitalzentrierten (Profit-)Interes- senlösung gesucht, die für ihn nur suboptimal war.
Jörg Huffschmid war ein herausragender Ökonom, nicht nur in Deutschland hoch anerkannt. Viele Gastvorträge und Gastprofessuren im Ausland haben ihn auch außerhalb unserer Landesgrenzen bekannt gemacht. Im Sommersemester 2009 lehrte er noch an der Universität in Wien über Finanzmärkte und deren Krise. Jörgs Rat als Wissenschaftler hatte auch in der Politik und bei den Gewerkschaften einen hohen Stellenwert. 2000 war er Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft«.
Ganz wichtig war ihm die Arbeitsgruppe »European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe«, die in den nächsten Tagen ihr »EuroMemorandum 2009« vorstellen wird. 1995 hat er diese Gruppe von Ökonomen verschiedener europäischer Hochschulen mit gegründet und hier wichtige Arbeit geleistet.
Mindestens genauso am Herzen lag Jörg die »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«, die er u.a. mit Rudolf Hickel und Herbert Schui vor etwa 35 Jahren als Gegenpol zum wirtschaftspolitischen Beratungsgremium des Sachverständigenrats der »Fünf Weisen« konstituierte. In der »Memorandum-Gruppe« hat Jörg sehr tiefe Spuren hinterlassen. Neben seinen vielen makroökonomischen Beiträgen möchte ich nur die von ihm 1988 maßgeblich initiierte und bearbeitete mikroökonomische Sonderveröffentlichung »Wirtschaftsmacht in der Marktwirtschaft. Zur ökonomischen Konzentration in der Bundesrepublik« hervorheben, aber auch die bedeutenden Arbeiten für ein »Stahlpolitisches Programm« sowie die theoretische Fundierung und Unterstützung der IG Metall bei der Umsetzung der 35-Stunden-Woche erwähnen.
Jörg Huffschmid war wirtschaftswissenschaftlich vielseitig interessiert. Viele Bücher und Aufsätze zeugen davon. Bereits mit 29 Jahren veröffentlichte er sein erstes großes Werk »Die Politik des Kapitals. Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik«. Zwei wesentliche Forschungsstränge werden mit ihm eng verbunden bleiben: die Wettbewerbs-, Monopol- und Konzentrationsforschung sowie in den 1980er Jahren die Fragen von Rüstung, Staat und Ökonomie sowie Rüstungskonversion. Wie kaum ein anderer deutscher Ökonom hat sich Jörg Huffschmid in den Zeiten des »Kalten Krieges« mit der Gefahr eines Hochrüstungskurses und einer ökonomisch kontraproduktiven, weil nicht reproduktiven Rüstungswirtschaft kritisch auseinandergesetzt. Allein hier sind unter seiner Herausgeberschaft vier wegweisende Bücher entstanden.
In den letzten zehn Jahren hat sich Jörg Huffschmid intensiv mit Europa und den Finanzmärkten beschäftigt und das herausragende Buch »Politische Ökonomie der Finanzmärkte« im VSA-Verlag veröffentlicht. Hier warnte er bereits 1999 in der ersten Auflage vor der großen Gefahr »explodierender Finanzmärkte«, deren Folgen wir jetzt in der schlimmsten Weltwirtschaftskrise seit 80 Jahren erleben.
Jörg Huffschmid wird nicht nur der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik« fehlen und stets in Erinnerung bleiben. Wir werden unsere Arbeit in der »Memo-Gruppe« in seinem Sinne fortführen. Für eine bessere und gerechtere Ökonomie.
* Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup ist Sprecher der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«.
Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2009
Wir trauern um Jörg Huffschmid
Die Nachricht traf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des "Friedensratschlags" wie ein Schlag: Am Samstag (5. Dezember) starb der bekannte Ökonomie-Professor Jörg Huffschmid nach einer schweren Krankheit. Sein Studium der Philosophie und Wirtschaftswissenschaft in Freiburg, Paris und Berlin (Freie Universität) schloss Huffschmid als Diplom-Volkswirt ab. 1967 promovierte er in Berlin. Sein 1969 bei Suhrkamp erschienenes Buch: "Die Politik des Kapitals. Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik" wurde eines der meist gelesenen Bücher der damaligen linken Studentenbewegung. 1973 erfolgte ein Ruf an die Uni Bremen für den Fachbereich "Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik".
Zusammen mit Rudolf Hickel und Herbert Schui gründete Huffschmid 1975 die "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik", die seither jedes Jahr ein viel beachtetes "Memorandum" vorlegt; zuletzt (2009) unter dem Titel: "Von der Krise in den Absturz". 1995 war Huffschmid Gründungsmitglied und treibende Kraft der "Arbeitsgruppe European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe", die seither ebenfalls ein jährliches "EuroMemorandum" herausbringt. Im Jahr 2000 wurde Jörg Huffschmid Mitglied der Enquête-Kommission "Globalisierung" des Bundestages. In den 80er Jahren war er Mitarbeiter des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF). Jahrzehntelang war er Mitherausgeber der politischen Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik", seit ihrer Gründung in der 90er Jahren auch Herausgeber von Z.Zeitschrift für marxistische Erneuerung. Huffschmid war Mitglied der wissenschaftlichen Beiräte von ATTAC und der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion.
Der Friedensbewegung war Huffschmid sehr eng verbunden. Von unschätzbarem Wert waren seine Analysen der Rüstungswirtschaft, des Militär-Industrie-Komplexes und der Notwendigkeit und Machbarkeit von Rüstungskonversion. Seine Vorträge bei den "Friedensratschlägen" gehörten jeweils zu deren Höhepunkten.
Jörg Huffschmid wurde nur 69 Jahre alt. Er wird uns unendlich fehlen.
Werner Ruf und Peter Strutynski für die AG Friedensforschung,
Lühr Henken, Willi van Ooyen, Horst Trapp und Bärbel Schindler Saefkow für den Bundesausschuss Friedensratschlag
Weitere Nachrufe auf Jörg Huffschmid - geb. 19.2.1940, gest.: 5.12.2009
Die "junge Welt" veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 12. Dezember 2009 eine Reihe weiterer Nachrufe auf Prof. Dr. Jürg Huffschmid ("Motor linker Ökonomik"), die wir im Folgenden dokumentieren.
Unerbittlicher Kritiker des Kapitalismus
Von André Leisewitz und Jörg Goldberg für die Redaktion Zeitschrift Marxistische Erneuerung in Frankfurt/Main
Mit Jörg Huffschmid hat die bundesdeutsche und europäische Linke einen ihrer profiliertesten marxistischen Ökonomen verloren. Er war zuallererst ein nüchterner, kritischer und von Wunschdenken freier Forscher und Analytiker, der in seinen Arbeiten deutlich gemacht hat, daß marxistische Ansätze fruchtbar und zugleich unabdingbar zum Verständnis der modernen kapitalistischen Produktionsweise sind. Wissenschaftliche Redlichkeit war für ihn untrennbar verbunden mit dem Eintreten für die Interessen der arbeitenden Menschen, für die wirtschaftlich Schwachen und Abhängigen.
Kritik der politischen Ökonomie hieß für ihn zugleich politisches Engagement, wissenschaftliche und politische Organisation von Gegenkräften. Jörg Huffschmid war kein Wissenschaftler im Elfenbeinturm. Kaum einer war in der Lage, so klar, eindringlich und verständlich wie er empirische Befunde und theoretische Analysen zum heutigen Kapitalismus vorzutragen und die für seine akademischen, gewerkschaftlichen und politischen Adressaten notwendigen Handlungsalternativen aufzuzeigen. Diese Klarheit erklärt die große Resonanz, die er mit seinen Publikationen, Vorlesungen und Seminaren und bei ungezählten Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen gefunden hatte. Zugleich war er ein unbeirrbarer Realist, erpicht auf konkrete Analysen, kritisch gegenüber realitätsabgehobener Ideologie, oft unbequem in der Diskussion und zugleich fähig zu kritischem Umgang mit den eigenen Ansichten, Hoffnungen und Fehlurteilen.
Der Suhrkamp-Verlag kündigte 1969 das Buch »Die Politik des Kapitals« des damals 29jährigen Assistenten am Institut für Konzentrationsforschung der FU Berlin wie folgt an: »Diese empirische Studie ist unseres Wissens der erste Versuch, die Querverbindungen zwischen Wirtschaftskonzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik im Rahmen einer sozialökonomischen Sach- und Faktenanalyse aufzuweisen. Huffschmid untersucht Besitzverhältnisse und Herrschaftsstrukturen; er zeigt an konkreten Fällen, wie industrielles Wachstum, Einkommensverteilung, Steuerpolitik, Konzentration der Banken und Großbetriebe, Konsumwirtschaft und Wohlfahrtsideologie untereinander zusammenhängen und worauf das Wechselspiel zwischen den Mächtigen des Geschäfts und den geschäftigen Verwaltern der Macht sich gründet.« Damit waren zentrale Themen der Analyse des bundesdeutschen Kapitalismus angesprochen, die Huffschmid in den nächsten Jahrzehnten bearbeitete: Kapitalakkumulation, Restauration des Monopolkapitals und Veränderungen seiner Verwertungsbedingungen, zyklische und strukturelle Krisen, Rüstung und Rüstungskonversion, innere Verflechtungsstrukturen (»staatsmonopolistische Komplexe«) und von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen beeinflußbare Entwicklungsvarianten des Kapitalismus. Huffschmid bearbeitete diese Themen insbesondere im Rahmen der von ihm 1975 mitbegründeten Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und, in den 70er und 80er Jahren, im Rahmen vieler Projekte des Frankfurter Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF), zu dessen Beirat und Autoren er gehörte. Zusammen mit Heinz Jung verfocht er 1988/89 in der DKP – beide gehörten damals deren Parteivorstand an – das programmatische Konzept einer marxistischen Reformalternative als schrittweiser Transformationsstrategie, das sich jedoch nicht durchsetzen konnte.
In den 90er Jahren wandte sich Huffschmid stärker den internationalen Strukturen des Kapitalismus und Weltwirtschaftsproblemen zu. Dies betraf die Rolle der USA – hier war er skeptisch gegenüber den Erwartungen eines raschen »decline« – und der EU als einer aus kapitalistischer Vergesellschaftung hervorwachsenden supranationalen Ebene mit quasistaatlichen Strukturen. Huffschmid war Motor der Europäischen Memorandum-Gruppe. Insbesondere widmete er sich dem internationalen Finanzmarktkapitalismus und den sich seit den 90er Jahren häufenden Finanzmarktkrisen. »Unter Geiern« hatte er ursprünglich seine 1999 erschienene »Politische Ökonomie der Finanzmärkte« nennen wollen, in deren Zentrum die Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte, die Banken und Finanzunternehmen als deren entscheidende Akteure sowie die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten stehen. Früh erkannte er die Dominanz der Finanzmärkte als wichtigstes Merkmal der aktuellen Variante des heutigen Kapitalismus. Trotzdem sah er in einem seiner letzten wissenschaftlichen Artikel (Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Juni 2009) nüchtern voraus, daß der schwerste ökonomische Einbruch seit Ende des Zweiten Weltkrieges den Finanzmarktkapitalismus nicht zum Zusammenbruch bringen würde – weil die politischen Machtstrukturen unverändert geblieben und die sozialen Bewegungen im Bewußtsein der Bevölkerung unzureichend verankert sind.
Globalisierungskritik formulieren
Von Ulrich Brand für den Wissenschaftlichen Beirat von ATTAC
Regelmäßig bot Jörg Huffschmid Seminare auf der ATTAC-Sommerakademie an, und als ich ihn einmal in der Mittagspause darauf ansprach wie der Vormittag gelaufen sei, antwortete er, noch schwitzend von der gerade unterbrochenen Anstrengung des Erklärens komplizierter Sachverhalte: »Ganz viele junge und interessierte Leute, hervorragende Diskussion. Das liebe ich.« ATTAC war für ihn Aufbruch, es war eine reale Bewegung, mit der die Kritik an neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik praktisch wurde. Sein Buch »Politische Ökonomie der Finanzmärkte« war 1999 erschienen und enorm wichtig für die sich konstituierende Bewegung. Für den Europäer Jörg Huffschmid war zudem die internationale Ausrichtung von ATTAC ganz zentral.
Nach einer kurzen Zusammenarbeit in der Memorandum-Gruppe zu Beginn der 90er Jahre traf ich ihn in einem entstehenden Arbeitszusammenhang im April 2002 in Hannover wieder (zwischenzeitlich hatte ich ihn auf vielen Veranstaltungen gehört). Gut ein Jahr nach der Gründung von ATTAC Deutschland wurde ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. Jörg Huffschmid war einer der Initiatoren des Beirates, und man spürte förmlich, daß er der beginnenden globalisierungskritischen Bewegung inhaltliches Fundament geben wollte. Dafür war zentral, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erarbeiten und zu vermitteln.
Anfangs wuchs der Beirat, der inzwischen über einhundert Mitglieder hat, quantitativ rasch an. Um diese Arbeit zu strukturieren, richteten wir einen internen Kreis ein. »Natürlich« gehörte Jörg dazu. Er bereitete einige Stellungnahmen mit vor, publizierte für den Beirat zum Thema Privatisierung, war öffentlich für ATTAC präsent. Und er war eine treibende Kraft des ATTAC-»Nein« zum Lissabon-Vertrag.
In vielen Diskussionen reflektierten wir die Rolle kritischer Wissenschaft und engagierter Intellektueller für ATTAC und die neue Bewegung insgesamt. Und warum das Engagement vieler anderer doch eher verhalten war. Dabei war er bewußt nie jemand, der ATTAC nur als Umsetzungsmechanismus seiner Kritik und Ideen verstand. Er anerkannte die aufwendige demokratische Lern- und Organisierungsarbeit, war sensibel für berechtigte Vorbehalte gegen allzu schnelle »Strategien« der vermeintlich Erfahrenen, meist Männer, und insbesondere der Wissenschaftler.
Jörg war sich nie zu schade, bei lokalen Gruppen vorzutragen. Globalisierungskritik hieß für ihn zuallererst und ganz uneitel Aufklärungsarbeit. Effektive praktische Kritik ist nicht nur eine Frage von politischer und ökonomischer Macht, sondern sie muß viele Menschen überzeugen, muß den neoliberalen Alltagsverstand durch präzise Analysen knacken. Und sie muß quasi zum Tun mitreißen. Trotz der komplexen Themen mündeten seine Vorträge und Texte häufig und ganz schlüssig in die Anregung, sich zu engagieren.
Er sah die Gefahren eines zu staatsreformistischen Kurses, doch er erachtete ihn unter den gegebenen Kräfteverhältnissen als alternativlos. Umso neugieriger nahm er Diskussionen beim Weltsozialforum auf, an dem wir einige Male gemeinsam im Rahmen der Delegation der Rosa-Luxemburg-Stiftung teilnahmen. Er war anfangs auch optimistisch bei der Gründung der Linkspartei, die er als Transmissionsmöglichkeit von globalisierungs- und neoliberalismuskritischen Themen ins politisch-institutionelle System verstand.
Im Sommersemester 2009 habe ich Jörg einige Monate zu zwei Universitätsseminaren nach Wien eingeladen. Er trat auch in einigen öffentlichen Veranstaltungen auf, in der er seine Kritik an der EU, an den Privatisierungen und am Finanzmarktkapitalismus jeweils präzise und aktualisiert formulierte. Es war eine gute Zeit, auch gesundheitlich. Der neugierige, gründlich nachdenkende und kritisierende, immer zum gehaltvollen Austragen von inhaltlichen Differenzen bereite und dabei freundschaftliche Wissenschaftler und Mensch wird der globalisierungskritischen Bewegung fehlen.
Ein universaler Politischer Ökonom
Rudolf Hickel, Leiter des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen
Im letzten Jahr der großen Koalition mit Karl Schiller (SPD) als Wirtschaftsminister und Franz Josef Strauß (CSU) als Finanzminister erschien in der edition suhrkamp 1969 ein Buch mit dem programmatischen Titel »Politik des Kapitals«. Darin wurde messerscharf nachgewiesen, daß auch im Zuge der wachsenden ökonomischen Konzentration das »Allgemeininteresse« den Gewinninteressen von machtvollen Großunternehmen untergeordnet wird. Der Wettbewerbstheoretiker entlarvte die hochgelobte Marktwirtschaft als monopolistisch vermachtetes System. Dieses Buch wurde schnell zur »Bibel« weit über die Studentenbewegung hinaus. Es stammt aus der Feder von Jörg Huffschmid, der am letzten Samstag nach einer schweren Erkrankung verstorben ist. Aus der großen Fülle seiner Publikationen sollte ein zweites Buch epochale Bedeutung erhalten. 1999 legte er seine »Politische Ökonomie der Finanzmärkte« vor. Damit gehörte Jörg Huffschmid zu den wenigen, die den Absturz des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und damit die heutige Finanzmarktkrise vorhergesehen haben. Schade, daß das Buch von den politisch Verantwortlichen und vor allem von Bankern ignoriert worden ist.
Jörg Huffschmid steht für eine kompromißlose, exzellent fundierte Analyse der ökonomisch, sozial und ökologisch selbstzerstörerischen Kräfte einer entfesselten Profitwirtschaft. Dieser Einsatz als Forscher und Publizist hat ihn weit über die Grenzen Deutschlands berühmt gemacht. Der sprachbegabte Wissenschaftler genoß auch große Anerkennung im Ausland.
Er bleibt aber auch vielen Studierenden als begnadeter Hochschullehrer in Erinnerung. 1973 wurde er Professor für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik. Ich erinnere mich, wie nach der Anhörung der Tübinger Literat und Rhetorikprofessor Walter Jens, der dem Senat der Universität Bremen angehörte, auf mich zustürmte, um mir seine Begeisterung über diesen Wirtschaftswissenschaftler mitzuteilen. Maßgeblich hat Jörg Huffschmid am Aufbau des Studiengangs »Wirtschaftswissenschaft« mitgearbeitet. Das anfangs durchgeführte »Integrierte sozialwissenschaftliche Studium« (ISES) ist durch ihn inhaltlich vorangetrieben worden. In jeder Vorlesung, in jedem Seminar legte er vor Beginn eine Orientierungsskizze sowie viel begleitendes Material vor. Seine so produktive, interdisziplinäre Ausrichtung glich gelegentlich einem Studium generale, das heute ein Fremdwort an deutschen Universitäten ist. Tausende Studierende haben bei ihm gelernt, und viele Diplomarbeiten und Dissertationen hat er intensiv betreut. Einige Jahre war er Direktor des Instituts für Europäische Wirtschaft, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im Fachbereich »Wirtschaftswissenschaft«, dem auch Heide Gerstenberger und ich angehörten.
Im Jahr 1975 hatte er maßgeblich die Idee, die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik zusammen mit Herbert Schui und mir zu gründen. Diese sogenannte Alternativökonomen sind immer wieder ausgegrenzt worden. Dennoch, ohne staatliche Finanzierung und ohne Sponsoring aus der Wirtschaft, wurden ihre Memoranden zu einem wichtigen Zentrum kritischer Wirtschaftswissenschaft. Von Jörg Huffschmid stammte das Credo: Es gibt Alternativen gegen die soziale Spaltung der Gesellschaft und die Umweltvernichtung. Dabei kommt ihm einzig und allein das Verdienst zu, eine Europa-Memogruppe gegründet zu haben. Diese konzentriert sich auf die Fehlentwicklungen der EU unter der Dominanz der Liberalisierung der Märkte. Sein Wissen und sein politisches Engagement hat er auch bei ATTAC als führendes Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat eingebracht.
Der Ökonom Huffschmid nahm die Erkennungsmarke »politisch« sehr ernst. Er ließ sich trotz inhaltlicher Anfeindungen nicht entmutigen, auch auf der politischen Bühne in Bonn und dann Berlin Einfluß zu nehmen. Seine wohl wichtigste Beratertätigkeit brachte er in die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zur »Globalisierung der Wirtschaft« ein. In den vielen E-Mails, die unmittelbar nach seinem Ableben im Internet kursieren, fällt mir eine Wertschätzung besonders auf. Eine Kollegin aus Berlin lobt ihn dafür, daß er in den Abschlußbericht dieser Bundestagskommission an vielen Stellen die Position der Frauen in der Globalisierung eingebracht hatte.
Jörg Huffschmid war mit seinem unerbittlichen Einsatz für eine gerechtere Welt im persönlichen Umgang hartnäckig und damit nicht immer einfach. Wer ihn jedoch näher kannte, der schätzte seine Freundlichkeit. Seine Lust zum Kochen konnten die Gäste auf seinem Bauernhof bei Bassum genießen.
Friede dem guten Gelehrten
Simon Zeise für den Bundesvorstand Die Linke.SDS
Am Samstag vor einer Woche ist Jörg Huffschmid mit 69 Jahren gestorben. Er war einer der bedeutendsten marxistischen Ökonomen unserer Tage. 1969 erschien sein unter Studenten viel beachtetes Werk »Die Politik des Kapitals«. Damals war er gerade 29 Jahre alt.
Es gab nicht viele neben Huffschmid, die die Funktionsweisen des Kapitalismus detailliert benennen und seine Krisenerscheinungen offenlegen konnten. Hätten die führenden Politiker hierzulande die Erkenntnisse Huffschmids aufgegriffen, wären sie nicht in die heutige Wirtschaftskrise geraten. Denn bereits 1999 warnte er in seinem gleichnamigen Werk vor der »Politik der Finanzmärkte«.
Huffschmid lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Bremen, die 1971 mit dem Anspruch einer Reformuniversität gegründet wurde. Auch ihm war es zu verdanken, daß die Universität lange als »rote Kaderschmiede« galt. Um dem in der neoklassischen Ökonomie verhafteten »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage« etwas entgegenzusetzen, gründete Huffschmid, zusammen mit Rudolf Hickel und Herbert Schui, die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftpolitik. Jedes Jahr veröffentlichten sie ein Memorandum gegen den wirtschaftspolitischen Mainstream. Zu Zeiten kritischer Medienberichterstattung fand das jährliche Gutachten auch Erwähnung in überregionalen Tageszeitungen.
Aber Jörg Huffschmid war nicht allein Ökonom, er mischte sich ein. Er war Mitglied im Parteivorstand der DKP, aus der er Ende der 80er Jahre austrat, um sich etwas später dem globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC anzuschließen.
Zwar erkannte Huffschmid die globalen Zusammenhänge der politischen Ökonomie, doch zeigte er auch konkrete Handlungsoptionen auf. In seinem Buch »Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer« trat er 1988 für »Abrüstung, Friedensfähigkeit, Verantwortung für die globalen Probleme, soziale Modernisierung und Demokratisierung« vor dem Hintergrund eines »authentischen Marxismus« ein. »Der Klassenkampf von unten, der soziale, ökonomische und demokratische Interessenkampf« sollte stets »eine realistische Perspektive« vor Augen haben.
Im Mai 2007 rief Huffschmid zusammen mit 100 Intellektuellen und Wissenschaftlern öffentlich dazu auf, einen neuen sozialistischen Hochschulverband zu gründen. Einige Tage später wurde Die Linke.SDS aus der Taufe gehoben. Der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband ist noch jung. Im letzten Jahr starteten wir eine bundesweite »Kapital«-Lesebewegung. Wir lasen den ersten Band des »Kapitals« von Karl Marx, um den globalen Kapitalismus später einmal an der Wurzel fassen zu können und junge kritische Wissenschaftler zurück an die Universitäten zu bringen – kritische Wissenschaftler wie Jörg Huffschmid. Sein Werk wird uns noch viele Fragen erläutern. Sein politisches Wort wird uns fehlen. Friede diesem guten Gelehrten.
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