Bevölkerung gewinnen statt Kriege führen
Die fünf großen Friedensforschungsinstitute legen ihr Friedensgutachten 2009 vor - Pressemitteilung der Institute - Zusammenfassungen der Einzelbeiträge
Am 26. Mai wurde das Friedensgutachten 2009 in Berlin der Presse vorgestellt. Es wird jedes Jahr gemeinsam von den fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstituten herausgegeben: vom Bonn International Center for Conversion (BICC), der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und dem Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF), das in diesem Jahr die Federführung innehatte.
Im Folgenden dokumentieren wir die Pressemitteilung der Institute sowie die Zusammenfassungen der Einzelbeiträge.
Als pdf-Datei dokumentieren wir außerdem Inhaltsverzeichnis, Vorwort und gemeinsame Stellungnahme der Herausgeberinnen und Herausgeber.
Friedensgutachten 2009
Friedensforscher und -forscherinnen fordern: Bevölkerung gewinnen statt Kriege führen.
Presseerklärung
Die meisten gegenwärtigen Kriege lassen sich nicht ohne legitime und funktionierende Staatlichkeit
an der Basis der Gesellschaft nachhaltig beenden. Zu diesem Ergebnis gelangt das Friedensgutachten
2009. Die Schauplätze dieser Kriege und Gewaltkonflikte sind schwache oder gescheiterte Staaten.
Umkämpft sind die Gesellschaften. Es geht um politische Ordnungsvorstellungen und um die
politische Unterstützung durch die Bevölkerung. Militärische Gewalt ist dafür selten
kriegsentscheidend. Trotz der Debatten um „neue Kriege“ oder „gescheiterte Staaten“ wird immer
noch unterstellt, dass mehr Truppen zu mehr Sicherheit führten und sich Kriege durch militärische
Überlegenheit beenden ließen. Die Betonung militärischer Machtmittel überspielt häufig nur die
politische Konzeptionslosigkeit. Strategien zur Kriegsbeendigung müssen vielmehr die politischen
Integrations- und Entscheidungsprozesse der jeweiligen Gesellschaften umgestalten.
Die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, im Sudan und im Kongo werden gründlich missverstanden,
wenn man sie primär als militärische Auseinandersetzungen betrachtet. Die Kriege in Afghanistan
und Pakistan sind durch militärische Schlachten und Truppenverstärkungen nicht zu entscheiden.
Schwache oder fehlende staatliche Institutionen und der Zusammenbruch gesellschaftlicher
Regelungsmechanismen schaffen ein Vakuum, das die Taliban und andere Aufständische füllen. Die
Gewalt in Afghanistan und Pakistan kann nur beendet werden, wenn eine bürgernahe Staatlichkeit
aufgebaut wird, deren Leistungen die Bevölkerung anerkennt. Ein wirksames und faires Rechts- und
Polizeiwesen ist dafür entscheidend. Die Bundesregierung sollte die Übergewichtung des
Militärischen in Afghanistan aufgeben und der Stabilisierung der Atommacht Pakistan Vorrang
einräumen.
Das Friedensgutachten fordert zudem, die atomare und konventionelle Abrüstung voranzutreiben.
Die Ankündigung Präsident Obamas, sich für eine Welt ohne Atomwaffen einzusetzen, setzt
unversehens Forderungen auf die Tagesordnung, die wir seit Jahren erheben. Diese historische
Chance gilt es zu nutzen. Wir fordern Bundesregierung und Europäische Union auf, zur Umsetzung
dieser Vision die atomare und konventionelle Abrüstung vorantreiben. Mit einer Rolle als Zaungast
ist es nicht getan. Das gilt ebenso für die Bemühungen, die Friedensprozesse im Nahen und Mittleren
Osten, im Kongo und im Sudan voranzutreiben. Die europäischen Regierungen sollten gegenüber
Washington auf die rechtsstaatlich einwandfreie Auflösung aller völkerrechtswidrigen
Gefangenenlager – besonders in Guantanamo und Baghram - drängen und durch die Bereitschaft zur
Aufnahme entlassener Gefangener ihren Teil dazu beitragen, dass am Ende dieses dunklen Kapitels
im „war on terror“ die Würde des Menschen wieder zählt.
Jochen Hippler, INEF (Duisburg)
Christiane Fröhlich, FEST (Heidelberg)
Margret Johannsen, IFSH (Hamburg)
Bruno Schoch, HSFK (Frankfurt a.M.)
Andreas Heinemann-Grüder, BICC (Bonn)
Zusammenfassungen der Einzelbeiträge
1.1. „The Decisive Battle is for the People’s Minds“ – Der Wandel
des Krieges: Folgerungen für die Friedens-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik (Jochen Hippler)
Zwischenstaatliche oder Bürgerkriege zwischen regulären Streitkräften sind selten geworden.
Die meisten Kriege werden heute innerhalb von Staaten um politische Macht
oder Ressourcen geführt und nehmen die Form von Aufständen oder Gewaltkonflikten
zwischen Bevölkerungsgruppen an. Zu ihren Gewaltakteuren gehören Guerillas,
bewaffnete Zivilisten oder nur teilweise zu kontrollierende Milizen, die sich offenen
Schlachten entziehen. Solche Kriege werden deshalb nicht durch militärische Gewalt
entschieden, sondern durch die Gewinnung der Loyalität der Bevölkerung. Sie können
nur selten durch Mittel militärischer „Sicherheit“ oder durch entwicklungspolitische
Maßnahmen beendet werden. In vielen Fällen erweist sich die Herstellung von funktionierenden,
bürgernahen Governance-Strukturen als entscheidend. Erst in Verbindungmit
ihnen können sicherheits- oder entwicklungspolitischeMittel zur Befriedung
beitragen.
1.2. Wege aus dem Krieg – Historische Perspektiven (Jost Dülffer)
In vormodernen Zeiten spielte die öffentliche Auseinandersetzung um die Loyalität
der Bevölkerung eine geringe Rolle. Kriege endeten im 19. und 20. Jahrhundert
oft mit militärischen Siegen einer Seite und beruhten damit auf überlegenen materiellen
und mentalen Ressourcen. Während des Kalten Krieges erlangte die Zustimmung
der Bevölkerung eine neue Bedeutung. Allerdings zeigte sich während des Ost-
West-Konflikts auch, dass militärisch gestützte, offenkundige Sendungsbestrebungen
Gegenkräfte hervorriefen, die das Gegenteil bewirkten, nämlich hartnäckigen Widerstand.
Nationale Kräfte, seit Ende der siebziger Jahre auch religiöse Motive, verstärkten
den mentalen Widerstand der strukturell oder militärisch schwächeren Seite, eine
militärische Niederlage zu akzeptieren.
1.3. Kriegsbeendigung in Afghanistan? Konsequenzen für das
deutsche Engagement (Michael Brzoska und Hans-Georg
Ehrhart)
Angesichts eskalierender Gewalt in Afghanistan wirft die Beendigung des Krieges
zahlreiche Fragen auf, unter anderem nach der Rolle von zivilen und militärischen
Mitteln, den Zielen externer Akteure sowie der Wirkung der verwendeten Strategien.
Sie werden vor dem Hintergrund des Machtwechsels in den USA und der Fokussierung
der US-Strategie auf Counterinsurgency diskutiert. Mit dem Afghanistan-
Konzept der Bundesregierung ist diese Strategie kaumzu vereinbaren und es ist höchst
zweifelhaft, ob sie geeignet ist, den Krieg in Afghanistan zu beenden. Die Bundesregierung
sollte darum die Lage und die US-amerikanischen Vorschläge einer illusionslosen
Prüfung unterziehen. Statt die neue US-Strategie zu übernehmen, sollte sie auf
eine Politik setzen, die nicht nur taktisch, sondern auch strategisch zivil ausgerichtet
ist.
1.4. Ende in Sicht? Das sinkende Gewaltniveau im Irakkrieg und die
Chancen einer dauerhaften Stabilisierung (Jochen Hippler)
Die Gewalt im Irak ist seit Ende 2006 deutlich zurückgegangen. Die Ursache liegt
nicht in der mäßigen Verstärkung der US-Truppen zwischen Frühjahr und Herbst
2007, sondern in politischen Faktoren. Aufgrund strategischer Fehler hat sich al-
Qaida politisch isoliert, und sunnitische Stämme haben den Kampf gegen sie aufgenommen.
Darüber hinaus geriet die Schiitenmiliz des Muqtada Sadr in eine Krise, die
sie schließlich zur Ausrufung einesWaffenstillstands zwang. Die Option einer Beendigung
des Krieges hängt nicht so sehr von der Zahl ausländischer Truppen ab, sondern
von der weiteren Reintegration der arabischen Sunniten, der Möglichkeit, die innerschiitischen
Machtkämpfe politisch zu regeln, und von der zukünftigen Vermeidung
von Konflikten zwischen der Zentralregierung und den kurdischen Parteien. Auch die
Verbesserung der derzeit noch katastrophalen Lebensbedingungen entscheidet über
die Chancen der Stabilisierung mit.
1.5. Frieden durch die normative Kraft militärischer Gewalt? Der
Südkaukasus nach dem Augustkrieg (Egbert Jahn)
Der Versuch Georgiens, mit einem Blitzkrieg gegen Südossetien seine territoriale Integrität
wiederherzustellen, mündete in der Vertreibung der georgischen Truppen aus
den bis dahin von ihnen noch kontrollierten Teilen Südossetiens und auch Abchasiens
sowie in deren völkerrechtlicher Anerkennung durch Russland. Mit einer freiwilligen
Rückkehr der beiden de facto-Staaten in den georgischen Staatsverband ist nicht mehr
zu rechnen, auch wird sich Russland nicht aus diesen Gebieten zurückziehen. Ein dauerhafter
Frieden erfordert, dass Russland die Unabhängigkeit Kosovos und umgekehrt
derWesten diejenige Abchasiens und Südossetiens anerkennen – eines Tages könnten
das dann auch Serbien und Georgien tun. Das würde die Aufnahme Kern-Serbiens
und Kern-Georgiens in die NATO, mit einer Perspektive der Mitgliedschaft bzw. der
engen Anbindung an die EU, erleichtern.
1.6. Der Gaza-Krieg: Jüngstes Kapitel in einem endlosen Konflikt
(Margret Johannsen)
Der jüngste Krieg um Gaza hat die Bedingungen für eine Regelung des Palästina-
Konflikts verschlechtert, da in seiner Folge auf israelischer wie palästinensischer Seite
die Kräfte weiter erstarkt sind, die als Gegner eines Verhandlungsfriedens gelten oder
Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen favorisieren. Zwar ist die Zweistaatenlösung
immer noch der erfolgversprechendste Weg zur Beendigung des Konflikts. Aber angesichts
der internen Blockaden auf beiden Seiten ist eine Einigung am Verhandlungstisch
über die reale Umsetzung dieses Konzepts ohne erheblichen Druck von Seiten
der USA nicht zu erwarten. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Obama-Administration,
innenpolitischen Rücksichtnahmen zum Trotz, den erforderlichen Zwang ausüben
wird. Die politischen Kosten wären für den Präsidenten, der die schwersteWirtschaftskrise
seit 1929 bewältigen will, vermutlich zu hoch.
1.7. Frieden schaffen durch Demokratisierung? Erfahrungen auf dem
Westbalkan (Thorsten Gromes und Bruno Schoch)
Demokratisierung gilt als probate Friedensstrategie. Die UN und westliche Staaten
fordern und betreiben sie, wie skeptisch das Unterfangen in der Wissenschaft
auch beurteilt wird. Nach der mehr oder weniger erzwungenen Beendigung des
ethno-nationalistischen Mordens und Vertreibens wurde der Westbalkan geradezu
zu einem Laboratorium der Befriedung mittels Demokratisierung. 18 Jahre nach
dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens zeigen die Nachfolgestaaten darin unterschiedliche
Fortschritte: Slowenien ist als liberale Demokratie bereits EU-Mitglied,
Kroatien wird es wahrscheinlich 2011, Bosnien und Herzegowina, das Kosovo und
Makedonien hingegen sind trotz Verbesserungen erst Teil-Demokratien. Immerhin
ist ethnisch motivierte Gewalt überall signifikant zurückgegangen. So erscheint uns
Demokratisierung trotz all ihrer Mängel und immenser Kosten als Weg, Frieden zu
schaffen.
1.8. Die langen Kriege im Sudan – Keine (schnelle) Lösung in Sicht
(Annette Weber)
Im aktuellen Kriegsgeschehen im Sudan tragen weder die Zentralregierung noch die
Staatengemeinschaft dem Recht des Individuums auf Schutz in einer Konfliktsituation
Rechnung. Anstatt sich wie in Darfur auf Peacekeeping als Politikersatz zu verlassen,
ist ein umfassendes Konzept wie das der „Schutzverantwortung“ (R2P) erforderlich,
in dessen Rahmen auch aktiv und präventiv gegen eine mögliche Konflikteskalation
im Südsudan und anderen Landesteilen vorzugehen ist. Angesichts der Fragmentierung
der Akteure im Sudan und der regionalen Verflechtungen muss sich der
Westen auf ein langfristiges diplomatisches Engagement in der Region einstellen.
Hierzu gehören die Unterstützung des Staatsaufbaus in der Peripherie und verstärkte
diplomatische Bemühungen unter Einbeziehung nicht-westlicher externer Akteure
wie China, der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga.
1.9. War on Terror – Der entgrenzte Krieg (Martin Kahl)
Die Bezeichnung der Anschläge vom 11. September 2001 als kriegerischer Akt diente
der Regierung Bush dazu, ihrerseits die Bekämpfung des Terrorismus als „Krieg“ zu
etikettieren und auf diese Weise weit gesteckte Zielsetzungen zu legitimieren. Aber
das vereinfachende Etikett verlor weitgehend seine Legitimationskraft angesichts der
Entwicklungen im Irak und in Afghanistan. Da der War on Terror eine rhetorische Figur
darstellte, konnteman ihn „beenden“, indemman nichtmehr vomKrieg gegen den
Terror sprach. Tatsächlich aber haben die USA nicht aufgehört,militärischeMittel bei
der Bekämpfung des Terrorismus einzusetzen. Faktisch kann der „Krieg“ gegen den
Terror erst dann als „beendet“ gelten, wenn Terrorismus als Kriminalität verstanden
und auf den Einsatz militärischer und extralegalerMaßnahmen verzichtet wird.
1.10. „Made in the Developed World“: Piraterie, Fischfang und
Giftmüll in Somalias Gewässern (Michael Ashkenazi)
Das Fehlen einer stabilen Regierung hat dazu geführt, dass sich Somalia zu einem
Nährboden für Piraterie entwickelt hat. Die Gesetzlosigkeit trägt in hohemMaße dazu
bei, dass Raub zur Norm wird. Drei Arten von krimineller Aktivität finden regelmäßig
vor der somalischen Küste statt: Piraterie (Kapern eines Schiffes und Aussetzen der
Passagiere oder der Ladung unter Anwendung von Gewalt), Fischdiebstahl durch
industrielle Fischerei innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone Somalias sowie
die Verklappung von Giftmüll. Die internationale Gemeinschaft muss sich mit allen
Delikten vor der somalischen Küste befassen. Würden die Gewässer Somalias vor
Raubfischerei und Giftmüllverklappung geschützt, wäre dies ein positives Zeichen
für die somalische Bevölkerung.
1.11. Der Friedensprozess und die nicht endende Gewalt im Kongo
(David Fuamba)
Trotz zehnjähriger Friedensbemühungen geht der Krieg im Kongo weiter. Seit
Ausbruch des Krieges sind bereits 5,4 Millionen Todesopfer zu beklagen – mehr als
in jedem anderen Konflikt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Für die Gewalt
werden drei Erklärungen diskutiert: „Ressourcenkrieg“, „Kontrolle der politischen
Macht“ und „unzureichende militärische Schlagkraft der kongolesischen Regierung“.
Der Friedensprozess erweist sich als unzulänglich. Statt Rebellenbewegungen mit
Waffen zu versorgen, würde es dem Frieden mehr nützen, wenn die Bürgerrechte der
verfeindeten Gemeinschaften geschützt und ein Versöhnungsprozess initiiert würden.
1.12. Mit UN-Einsätzen zum Frieden? (Andreas Heinemann-Grüder)
Das Jahr 2008 war das schlimmste für UN-Friedensoperationen seit einem Jahrzehnt.
Was sind die Ursachen für dasMissverhältnis von Erwartungen und tatsächlicher Leistung?
Friedensmissionen der UNO sollten sich auf die Rettung von Menschenleben,
die Beendigung von Kampfhandlungen und die unmittelbare Nachkriegsstabilisierung
konzentrieren und beimWiederaufbau lokaler Institutionen mithelfen. Eine langfristige
Konflikttransformation ist nur erfolgreich, wenn Konflikte in einzelne Teile zerlegt
werden, Kooperation zwischen gegnerischen Gruppen gefördert wird und sich das
neue Regime auch materiell rechnet. Allerdings lässt sich die Volkssouveränität nicht
ersetzen – über die Sequenzen, Formen und politischen Inhalte der Demokratie muss
die örtliche Bevölkerung selbst entscheiden können.
2.1. Renaissance des Multilateralismus? Neuer Führungsanspruch
der USA und transatlantische Beziehungen (Peter Rudolf)
Barack Obama will die bestehenden Institutionen globalen Regierens deutlich stärken,
aber auch neue Institutionen schaffen. Vorrangiges Ziel dabei ist es, aufstrebende
Mächte zu integrieren und ihnen eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der internationalen
Ordnung zu geben, aber auch, mit der Einbindung anderer Staaten in multilaterale
Institutionen einen Teil der mit der amerikanischen Führungsrolle verbundenen
Kosten auf sie abzuwälzen. Bei der Renaissance der multilateralen Handlungslogik
folgt die neue US-Regierung dem Motto „multilateral, soweit möglich, unilateral, wo
notwendig“.Damit eröffnetObamas Projekt, die amerikanische Führungsrollewiederherzustellen,
den europäischen Verbündeten neue Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten.
Zugleich stellt es sie vor neue konzeptionelle Herausforderungen im Umgang
mit der „neuen“ Führungsmacht.
2.2. Nichtverbreitung von Nuklearwaffen: Ist der Vertrag noch zu
retten? (Oliver Meier)
2010 wird die Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags
(NVV) zeigen, welche Zukunft multilaterale, vertragsgestützte Bemühungen um die
Abrüstung und Nichtverbreitung von Nuklearwaffen haben. Die NVV-Mitgliedstaaten
stehen vor drei Herausforderungen: einen neuen Konsens in der Abrüstung zu finden,
die Lösung aktueller Nichtverbreitungskrisen voranzutreiben und Nuklearkontrollen
zu verschärfen. Vor allem sind die Atomwaffenstaaten in der Pflicht, ihre Abrüstungszusagen
einzuhalten. Angesichts der wiederbelebten Diskussion um eine atomwaffenfreie
Welt und des neuen Kurses Washingtons scheint eine Rettung der Nichtverbreitung
möglich. Deutschland kann entscheidend zur globalen Stigmatisierung von
Kernwaffen beitragen, indem es bei den verbündeten Atomwaffenstaaten auf mehr
Abrüstung und in der NATO auf ein Ende der nuklearen Teilhabe drängt.
2.3. Moskauer Botschaften: Ambition und Reaktion eines
unbequemen Partners (Hans-Joachim Spanger)
Der Kaukasus-Krieg hat, ebenso wie die Neuauflage des Energiekonflikts mit der
Ukraine, auf beängstigendeWeise alte Reflexe mobilisiert. Sie demonstrieren,wie tief
der Graben zwischen Russland und dem Westen in den letzten Jahren geworden ist.
Doch führen die aus dem Kalten Krieg vertrauten Rufe nach Bestrafung und einer Isolierung
Russlands in die Irre. Vielmehr hat zuletzt dieWirtschaftskrise offenbart, dass
im Gegenteil die EinbeziehungRusslands in das globale Krisenmanagement angezeigt
ist. Für eine solche Kooperation gibt es trotz der gewachsenen Distanz auf russischer
Seite Anknüpfungspunkte. Eine Bedingung ist die Anerkennung multipolarer Interessenvielfalt,
ein wichtiges Instrument das Bekenntnis zu einer klaren Priorität im Sinne
eines Grand Bargains zwischen dem Westen und Russland.
2.4. Neue Chancen für konventionelle Rüstungskontrolle in Europa?
(Hans-Joachim Schmidt und Wolfgang Zellner)
Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Obama hat sich die internationale Lage verbessert.
Die Wiederbelebung der nuklearstrategischen Rüstungskontrolle, das abnehmende
Interesse an der Raketenabwehr in Europa und das Zurückstellen der NATOErweiterung
im Falle der Ukraine und Georgiens schaffen günstige politische Rahmenbedingungen
für die Reanimation der konventionellen Rüstungskontrolle. Doch
hat Moskau nach dem Georgienkrieg 2008 mit der völkerrechtlichen Anerkennung
der Sezession Abchasiens und Südossetiens die rasche Inkraftsetzung des adaptierten
KSE-Vertrags erschwert. Sie wäre aber eine wichtige Voraussetzung, um die Diskussion
neuer Aufgaben zu beginnen. Vorrangig muss die Kriegsverhütung im Kaukasus
gestärkt werden, gefolgt vom Abbau konventioneller Asymmetrien, um den Verzicht
auf den nuklearen Ersteinsatz und tiefe Einschnitte bei den Nuklearpotenzialen zu
ermöglichen.
2.5. Die NATO nach Bush: Auslaufmodell oder Neuanfang? (Matthias
Dembinski)
60 Jahre nach ihrer Gründung erlebt die NATO einerseits eine Renaissance, sucht
aber andererseits weiterhin nach ihrer Rolle. Die neue amerikanische Präsidentschaft
eröffnet die Chance, lang verschleppte Grundfragen im Sinne einer Entschärfung sicherheitspolitischer
Risiken zu beantworten. Dazu gehört das Verhältnis der NATO
zu Russland, der Zusammenhang zwischen ihrer alten Identität als Militärmacht zur
Bewahrung kollektiver Sicherheit und ihren neuen Aufgaben out of area sowie ihre
Beziehung zur UNO und zur EU. Positiv zu vermerken ist der sich abzeichnende Verzicht
auf die rasche Aufnahme der Ukraine und Georgiens. Solange sich die NATO
vorrangig als Militärmacht versteht, ist weiterhin eine Beschränkung ihrer Aufgaben
jenseits der kollektiven Verteidigung zu fordern. Vor allem sollte sie sich dem UNSicherheitsrat
unterordnen.
2.6. Die Krise der internationalen Finanzen – Beginn neuer
internationaler Konflikte oder Wendepunkt zu einer besseren
Weltfinanzordnung? (Hans Diefenbacher)
Die globale Finanzkrise ist eine logische Fortsetzung der nicht bewältigten internationalen
Schuldenkrise der 1980er Jahre und des Zusammenbruchs der New Economy
Ende der 1990er Jahre. Als ein auslösender Faktor kann darüber hinaus die Finanzierung
des Irak-Krieges angesehen werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Finanzkrise
zu offenen militärischen Auseinandersetzungen führen wird. Viele Bewältigungsversuche
der gegenwärtigen Krise orientieren sich jedoch an alten Lösungsmustern
und werden das Potenzial internationaler Konflikte steigern, da sich die Auswirkungen
auf die ärmsten Länder und die Schwellenländer verschärfen und gleichzeitig
die Glaubwürdigkeit westlicher Akteure weiter abnimmt. Es wäre aber möglich,
die Krise als Chance zu deutlichen Veränderungen der Weltfinanzordnung zu nutzen;
ein „neues“ Bretton Woods bedürfte eines grundlegenden Verhandlungsprozesses zur
Neugestaltung der Rahmenbedingungen des Weltfinanzsystems.
3.1. Prävention – Gründe für die kurze Karriere eines langfristigen
Politikansatzes (Bernhard Moltmann)
Vorbeugen ist besser als Heilen. Dieser Einsicht folgt die politische Praxis, wenn sie
sich bemüht, den Frieden zu erhalten, bevor er zerbricht. Das heißt, den gewaltfreien
Austrag von Interessengegensätzen zu fördern, Gewaltausbrüche einzudämmen und
zu verhindern, dass sie wieder aufflammen. Vor allem internationale Institutionen haben
das Konzept der Prävention erfolgreich aufgenommen.Dagegen zeigen sich in der
deutschen Politik die Schwächen einer derart anspruchsvollen Idee. Konkurrenz um
Verantwortlichkeiten tritt hier ebenso zutage wie Streit um die Verteilung von Etatmitteln
für diese Zwecke. Der Lernfähigkeit deutscher Politik stellt dies ein schlechtes
Zeugnis aus. Krisen und Gewaltakteure in der ganzen Welt warten nicht darauf, bis
deutsche Behörden sich sortiert haben. Die Idee der Prävention hat nichts von ihrer
Plausibilität und Aktualität eingebüßt.
3.2. Zehn Jahre Ziviler Friedensdienst – Eine Zwischenbilanz (Günter
Schönegg)
Im Zivilen Friedensdienst leisten seit zehn Jahren Friedensfachkräfte gemeinsam mit
lokalen Partnerorganisationen Beiträge zur zivilen Konfliktbearbeitung in Krisenländern.
In den letzten Jahren sind von den durchführenden Organisationen, ihren Partnern
und dem BMZ wichtige Fortschritte in der Weiterentwicklung des Instruments
gemacht worden. Dabei stehen die Rolle von Zivilgesellschaft in Friedensprozessen
und die Potenziale und Grenzen von personeller Zusammenarbeit in der Friedensförderung
imMittelpunkt.Als wichtigste Herausforderungenwerden neben der Rekrutierung
von genügend geeigneten Friedensfachkräften eine klarere Profilierung des ZFD
als Krisenpräventionsinstrument und eine stärkere Hinwendung hin zu Schlüsselakteuren
in Konflikten identifiziert. Insbesondere gilt es aber, den ZFD in eine politische
Gesamtstrategie für Zivile Krisenprävention zu integrieren.
3.3. Die Bearbeitung von zivilen Konflikten zwischen transnationalen
Unternehmen und ihren Stakeholdern (Volker Teichert, Katarina
Weilert und Dorothee Rodenhäuser)
Immer wieder hören wir von Verstößen transnationaler Unternehmen gegen
Menschen- und Umweltrechte. Zwar gibt es völkerrechtliche Standards, doch diese
richten sich primär an Staaten und weniger an Unternehmen. Neben den völkerrechtlichen
Verträgen existiert zudem ein „weiches Recht“, bei dem es um Deklarationen,
Beschlüsse und Empfehlungen internationaler Organisationen oder Staatenkonferenzen,
um freiwillige Selbstverpflichtungen und um Verhaltenskodizes geht. An drei
beispielhaften Fällen werden verschiedene Konflikte vorgestellt und die Versuche der
zivilen Konfliktbearbeitung aufgezeigt. Dabei wird deutlich, dass das Völkerrecht zurzeit
nicht ausreicht; zur Regelung von Konflikten ist vielmehr eine Verbindung von
öffentlichem Druck durch Medien, internationale Gewerkschaften und NROs auf der
einen Seite sowie die aktiveMobilisierung der örtlichen Bevölkerung und Beschäftigten
andererseits notwendig.
3.4. Sicherheitspolitik mit anderen Mitteln? Interkulturelle Dialoge
im Dienste von Konfliktregulierung und Krisenprävention (Jan
Hanrath)
In der „Konzeption 2000“ erweiterte die Bundesregierung die Ziele der Auswärtigen
Kulturpolitik um Konfliktprävention und die Sicherung politischer Stabilität. Somit
werden auch interkulturelle Dialoge in den Dienst sicherheitspolitischer Interessen
gestellt. Die Möglichkeiten der Erfolgskontrolle von Dialogmaßnahmen sind jedoch
aufgrund ihrer Langfristigkeit problematisch und eine Kausalität zwischen ihnen und
dem Gelingen eines gewaltfreien Konfliktaustrags kaum nachweisbar. Es ist daher
zu untersuchen, welchen Beitrag solche Dialoge zur Konfliktregulierung und Krisenprävention
tatsächlich leisten können und welche Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen
hierfür notwendig sind. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wo die
Motivation und die Interessen der einzelnen Akteure liegen, trotz dieser unklaren Zusammenhänge
weiterhin Dialoge zu fordern und zu initiieren.
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