Friedensgutachten 2008 fordert europäische Avantgarde gegen Hochrüstung
Presseerklärung zum Friedensgutachten 2008
Am 3. Juni wurde das Friedensgutachten 2008 in Berlin der Presse vorgestellt. Es wird jedes Jahr gemeinsam von den fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstituten herausgegeben: vom Bonn International Center for Conversion (BICC), der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und dem Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF).
Im Folgenden dokumentieren wir die Pressemitteilung der Institute.
Als pdf-Datei dokumentieren wir außerdem Inhaltsverzeichnis, Vorwort und gemeinsame Stellungnahme der Herausgeberinnen und Herausgeber.
Die fünf führenden Friedensforschungsinstitute Deutschlands warnen vor neuer Hochrüstung.
Die USA, Russland, China und Indien rüsten massiv auf. Rüstungskontrollvereinbarungen
liegen auf Eis. Neue Waffensysteme sollen selbst im Weltall installiert werden. „Die neue
Hochrüstung kann bedrohlicher werden als der Kalte Krieg“, betont das diesjährige
Friedensgutachten.
Strategien militärischer Stärke sind gescheitert. Sie tragen weder zur Lösung politischer
Konflikte bei, noch beheben sie deren Ursachen. Europa verfügt bei der zivilen Konfliktregelung
und der Stabilisierung von Krisenregionen über Erfahrungen und Kompetenzen, in denen die
Friedensforscher realistische Alternativen zur Hochrüstung sehen.
Von 2001 bis 2006 nahmen die inflationsbereinigten Militärausgaben um etwa 30 Prozent zu und
liegen bei über einer Billion US-Dollar. Fast die Hälfte davon entfällt auf die USA. Großbritannien,
Frankreich, China und Japan folgen auf den Spitzenplätzen. Doch weder die Weiterverbreitung von
Atomwaffen noch der Klimawandel lassen sich militärisch aufhalten. Auch die Demokratisierung
autoritärer Systeme kann nicht militärisch erzwungen werden. Im Gegenteil: militärische Übermacht
ist kontraproduktiv, wie in Afghanistan, Irak und Nahost deutlich wird. Sie erzeugt vielmehr ein
Sicherheitsdilemma: Wer nach militärischer Überlegenheit strebt, provoziert militärische
Gegenmaßnahmen und damit wachsende Bedrohung statt Sicherheit.
„Wer immer Bush im Weißen Haus nachfolgt, wird versuchen müssen, mit neuen Ideen und
attraktiver Politik Partner zu gewinnen. Die Europäer sollten diese Chance durch eigene
Initiativen nutzen. Die Bundesregierung sollte alles tun, um die künftige amerikanische
Regierung für eine Rückkehr zur nuklearen Rüstungskontrolle zu gewinnen“, rät das
Friedensgutachten.
Für europäische Abrüstungsinitiativen
„Es ist höchste Zeit, der Renaissance nationalstaatlicher Machtprojektion und Hochrüstung
entgegenzutreten. Die EU kann dabei eine Schrittmacherfunktion übernehmen“, unterstreicht
Andreas Heinemann-Grüder, federführender Herausgeber des Friedensgutachtens 2008: „Wir
plädieren dafür, auch auf dem Gebiet der Abrüstung das Avantgarde-Modell zu erproben, nach
dem ein Kern europäischer Staaten die Initiative ergreifen kann, ohne zu warten, bis sich alle
Mitglieder einig sind.“
Dies ist umso notwendiger, als Europa bei der Verhinderung der Weiterverbreitung von
Nuklearwaffen uneins ist. Während Großbritannien und Frankreich ihre Kernwaffen modernisieren,
engagieren sich Schweden, Norwegen, Deutschland und andere für Abrüstung.
Konkret empfehlen die Friedensforscher der Bundesregierung und der EU:
-
AKSE-Vertrag ratifizieren: Der Angepasste Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in
Europa muss zügig ratifiziert und in Kraft gesetzt werden. Die NATO sollte nach der
Suspendierung durch Russland das Inspektionsregime einseitig aufrechterhalten.
- Auf Raketenschild verzichten: Bundesregierung und EU sollten sich dem US-Raketenschild
in Osteuropa stärker widersetzen. Solche Abwehrwaffen destabilisieren die
Abschreckungsbalance zwischen den Atommächten, verschärfen die amerikanisch-russischen
Spannungen und ziehen die europäische Sicherheit in Mitleidenschaft.
- Nuklearwaffen abrüsten: Die Existenz von Kernwaffen und ihre Weiterverbreitung ist eine
der größten Bedrohungen. Nichtweiterverbreitung wird nur gelingen, wenn die Atommächte
ihre Bestände drastisch verringern und auf die atomare Erstschlagsoption verzichten.
- Wettrüsten im All verhindern: Die zivile Infrastruktur aller europäischen Staaten ist von
Technologien im All abhängig. Einem Antisatellitenangriff wären sie schutzlos ausgeliefert.
Nur ein vollständiges Verbot von Weltraumwaffen kann die Gefahr eindämmen.
- Waffenhandel kontrollieren: Europa und insbesondere Deutschland sollten im Rahmen der
UNO Vorreiter für einen Vertrag über den Waffenhandel sein, um besonders die illegale
Verbreitung von kleinen und leichten Waffen einzudämmen.
- Streubomben verbieten: Die Bundesrepublik sollte vollständig auf Produktion, Handel und
Einsatz von Streumunition verzichten. Die jüngste Absichtserklärung zur Zerstörung der als
„gefährlich“ definierten Bundeswehrbestände an Streumunition ist ein großer, gleichwohl
nicht ausreichender Schritt.
- Rüstungsexport an Verhaltenskodex binden: Aus dem EU-Kodex für Waffenexporte muss
eine Verhaltensnorm werden, die alle Mitgliedstaaten bindet.
- Atomwaffen aus Deutschland abziehen: Über den Abzug von Nuklearwaffen vom eigenen
Territorium kann die Bundesregierung allein entscheiden. Sie sollte davon Gebrauch machen
und so ein deutliches Zeichen gegen Atomwaffen setzen.
Klimawandel und neue Konfliktrisiken
„Klimaschutzpolitik bedeutet auch Konfliktprävention. Wenn vorausschauende ökologische,
entwicklungs- und friedenspolitische Maßnahmen international aufeinander abgestimmt
werden, ist effektive Konfliktvermeidung möglich“, schätzen die Friedensforscher ein.
Empfehlungen wie die Zertifizierung des Biomasse-Anbaus, eine Regionalisierung der
Energieversorgung und ein integriertes Wassermanagement liegen längst auf dem Tisch, ebenso
konkrete Maßnahmen zur Einsparung und Effizienzsteigerung beim Energieverbrauch.
Das Friedensgutachten empfiehlt:
-
Deutschland muss für einen gerechten Lastenausgleich beim Klimawandel eintreten und
entsprechende Verfahren zwischen entwickelten und unterentwickelten Staaten rasch
implementieren.
- Das „Klimarisiken-Schutzprogramm“ der UNO muss weiter entwickelt und umgesetzt
werden.
- Die Bundesregierung ist aufgefordert, sich in der UNO für einen „Rat für Globale
Entwicklung und Umwelt“ einzusetzen.
„Hier kann und sollte die Bundesregierung eine noch aktivere Rolle spielen und sowohl
treibende als auch gestaltende Kraft einer zügigen internationalen Klimaschutzpolitik werden“,
sind die Friedensforscher überzeugt.
Das Friedensgutachten ist das gemeinsame Jahrbuch von fünf wissenschaftlichen Instituten für
Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Es wird im Auftrag des Bonn International Center
for Conversion (BICC), der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), der
Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), des Instituts für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und des Instituts
für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF) herausgegeben von Andreas
Heinemann-Grüder (Gesamtredaktion 2008), Jochen Hippler, Reinhard Mutz, Bruno Schoch und
Markus Weingardt. Das Friedensgutachten 2008 wurde gefördert durch die Deutsche Stiftung
Friedensforschung.
Quelle: www.bicc.de
Über vergangene Friedensgutachten liegen folgende Seiten vor:
Friedensgutachten 2007
Friedensgutachten 2006
Friedensgutachten 2005
Friedensgutachten 2004
Friedensgutachten 2003
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