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Durchwachsenes Friedensgutachten

Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel, 4. Juni 2013 - Zur Vorlage des "Friedensgutachtens 2013" der vier großen deutschen Friedensforschungsinstitute erklärte ein Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Zu Recht lenkt das Friedensgutachten 2013 den Blick auf problematische Entwicklungen bei der weltweiten Rüstung und auf besonders kriegsanfällige Krisenherde. Eindrucksvoll ist insbesondere die stringente Argumentation der Friedensforscher/innen gegen die Absichten der Bundesregierung, ihr Waffenarsenal um Kampfdrohnen zu erweitern. Die gezielte Tötung aus großer Distanz senkt die Hemmschwelle zum Krieg, ist völkerrechtswidrig und führt unweigerlich zur Roboterisierung von Kampfeinsätzen mit der Folge einer weiteren Verselbständigung der Mordwaffen von den politisch Verantwortlichen. Die Forderung der Institute nach einer internationalen Ächtung von Kampfdrohnen entspricht voll und ganz dem Ziel der Anti-Drohnen-Kampagne der Friedensbewegung, die vor zwei Monaten aus der Taufe gehoben wurde.

Auch die eindeutige Stellungnahme des Friedensgutachtens zur Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung kann sich der einhelligen Zustimmung der Friedensbewegung gewiss sein. Panzerexporte nach Saudi-Arabien oder Katar müssten demnach unterbunden werden. Die Forderung, deutsche Waffenexporte "restriktiver" zu handhaben und grundsätzlich nicht in Drittstaaten (also Nicht-NATO-Staaten) und in Krisenregionen zu liefern, könnte sofort umgesetzt werden, da sie exakt den "Rüstungsexportrichtlinien" der Bundesregierung aus dem Jahr 2000 entspricht. Wenig plausibel erscheint demgegenüber der Vorschlag, "Ausnahmen" von diesem Prinzip zuzulassen. Nur müssten sie "gut begründet sein". Gewiss wären die Durchsetzung von mehr Transparenz und die Verlagerung von Rüstungsexportentscheidungen in den Bundestag wichtige Schritte, um die Debatte aus dem Geheimhaltungsmief des "Bundessicherheitsrats" herauszuholen und dem öffentlichen Diskurs zu überantworten. Es sollte aber aus Sicht der Friedensbewegung kein Ausnahme-Schlupfloch erlaubt sein.

Als ausgesprochen konstruktiv sind die Vorschläge im Friedensgutachten zur Rüstungskonversion zu bewerten. Sollte es möglich sein, die Konversions-Debatte nach einem 20-jährigen Dornröschenschlaf wieder in interessierte Kreise aus Gewerkschaften, Wissenschaft und Friedensbewegung hineinzutragen, wäre viel gewonnen. Der Bundesausschuss Friedensratschlag, der im Anschluss an den letztjährigen Friedenspolitischen Ratschlag einen Arbeitskreis Konversion gegründet hat, ist gern bereit, mit Interessenten und Fachleuten aus anderen Bereichen ins Gespräch zu kommen und zusammenzuarbeiten.

Einen großen Raum im diesjährigen Friedensgutachten nimmt der Syrien-Konflikt ein. Die "Ratlosigkeit", die dem Westen in der Syrien-Frage unterstellt wird, scheint sich auch in der Friedensforschung breit gemacht zu haben. Eine überzeugende Position, die mit dem Völkerrecht vereinbar (Art. 2 UN-Charta: Souveränität der Staaten, Nichteinmischungsgebot, Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen) und politisch durchsetzbar wäre, ist dem Gutachten nicht zu entnehmen. Stattdessen werden fünf Optionen angeboten, die offenbar alle ihre Vor- und Nachteile haben. Lediglich die letzte Option zielt auf einen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung. Aber auch sie wird an Bedingungen geknüpft, die für eine Seite kaum annehmbar sind und den grundsätzlichen Gedanken von "Verhandlungen ohne Vorbedingungen" unterläuft. Um es aus unserer Sicht klar zu sagen: Man muss kein Freund von Assad sein, um ihm - genauso wie der unbewaffneten und bewaffneten Opposition - zuzugestehen, im Verhandlungsprozess eine Rolle zu spielen. Wer von vorne herein seine Entmachtung und Verbannung ins Exil verlangt, also auf Regime Change setzt, darf sich nicht wundern, wenn die Fronten im syrischen Bürgerkrieg sich weiter verhärten.

Die Autor/innen des Friedensgutachtens hätten im Fall Syrien Nachhilfe bei sich selbst holen können. Denn was über den Nuklearkonflikt mit Iran und Nordkorea ausgeführt wird, ist u.E. auf der Höhe des friedenswissenschaftlichen Diskurses. Hier geht es um die Souveränität der Staaten respektierende und ausschließlich ohne Zwang zu erzielende Verhandlungslösungen, die mit einer Win-Win-Strategie herbeigeführt wird. Sicherheitsgarantien (gegenüber Nordkorea) und die Durchsetzung einer atomwaffenfreien Zone (im Nahen/Mittleren Osten) lauten die Schlüsselbegriffe dieser Strategie.

Richtig ärgerlich an der politischen Stellungnahme des Friedensgutachtens ist indessen die etwas schablonenhafte Unterscheidung der auf Hard Power setzenden USA und der angeblichen Soft Power Europäische Union. Abgesehen von der geschichtsvergessenen Reinwaschung der westlichen Interventionen auf dem Balkan ("Interventionen mit glücklichem Ausgang") wird einer weiteren Militarisierung der EU in einer Weise das Wort geredet, als könnte sich die EU des im Dezember 2012 an sie verliehenen Friedensnobelpreises doch noch würdig erweisen. Wir vermögen nicht einzusehen, warum eine "Europäisierung" der Sicherheitspolitik und die Schaffung einer europäischen Armee dem Frieden in der Welt besser dienen soll als eine nicht militarisierte EU. Wer Frieden in der Welt mit weniger Waffen und Soldaten anstrebt, kann nicht auf der anderen Seite eine neue, eben europäische Armee befürworten. Doch die Friedensforscher/innen scheinen über ihren Vorschlag selbst erschrocken zu sein. Warum sonst hätten sie trotz ihres Plädoyers für die Europäisierung der Sicherheitspolitik auf dem deutschen Parlamentsvorbehalt gepocht?

So bleibt aus Sicht der Friedensbewegung am Ende ein durchwachsenes Fazit: Das Friedensgutachten 2013 ist hilfreich und gut, wo es der Abrüstung, der Ächtung neuer Waffensysteme, dem Einhalt von Rüstungsexporten und der zivilen Konfliktbearbeitung einen argumentativen Boden bereitet. Es ist in die Irre führend, wo es sich von den Prinzipien der Gewaltlosigkeit und des Völkerrechts entfernt. In jedem Fall ist die Friedensbewegung gefordert, das Gutachten in allen seinen Teilen zu studieren und zu diskutieren.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski


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