Niedergang und Militarisierung:
Der Stand der deutschen Friedensforschung
Von Gerd Bedszent *
Die von der „AG Friedensforschung“ Kassel herausgegebenen „Kasseler Schriften zur Friedenspolitik“ gehören zu den wichtigsten Werkzeugen der deutschsprachigen Antikriegs- und Friedensbewegung. Der kürzlich erschienene Band 18 dieser Reihe „Kriege um Wasser, Energie, Rohstoffe“ dokumentiert aktuelle Vortrags- und Vorlesungsmanuskripte von Friedensforschern, Soziologen und Aktivisten der Friedensbewegung.
Maybritt Brehm und Christian Koch analysieren die verschiedenen Phasen der Umgestaltung der Bundeswehr hin zu einem global agierenden Interventionsheer. Sie rechnen mit einer weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Jürgen Wagner belegt eine zunehmende Ausrichtung des Außenpolitischen Dienstes der Europäischen Union auf eine militärisch gestützte Interessendurchsetzung. Sehr lesenswert ist auch der Beitrag von Michael Schulze von Glaßer über die neuen aggressiven Strategien der Bundeswehr zur Rekrutierung von militärischem Nachwuchs. Helge von Horn thematisiert die Versuche von Neonazis, sich als Bestandteil der Friedensbewegung zu gerieren.
Mehrere Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit möglichen Konfliktherden der Zukunft. Hervorzuheben ist dabei der Beitrag des Schweizer Soziologen Ueli Mäder, der kurz, treffend und faktenreich die weltweite soziale Ungleichheit als Ursache der meisten Konflikte benennt. Murat Cakir untersucht die Rolle der vom gemäßigten Islamismus zum Neoliberalismus konvertierten türkischen Regierung als willfähriges Werkzeug der führenden imperialistischen Mächte. Jürgen Nieth benennt die infolge des galoppierenden Klimawandels nun zugänglichen reichen Bodenschätze der Arktis als Konfliktpotential.
Von der Entwicklung eingeholt wurde der Beitrag des namhaften Friedensforschers Werner Ruf über die Umstürze in Tunesien und Ägypten. Ruf sieht in der Einführung „markwirtschaftlicher Prinzipien in einem bürgerlichen politischen System“ eine Möglichkeit für die arabischen Völker, sich „souveräne Handlungsspielräume“ zu erkämpfen. Das scheint derzeit wenig wahrscheinlich.
Etwas problematisch ist der Beitrag von Arne C. Seifert über die zentralasiatischen Republiken. Seifert nennt die Auseinandersetzungen zwischen den säkularen postsowjetischen Regimes und einer zunehmend re-islamisierten Bevölkerung ein erstes Konfliktpotential. Er schreibt zutreffend, daß eine schnelle Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage der Bevölkerung nicht in Sicht ist. Der Zusammenbruch der sowjetischen Wirtschaft als Ursache für den Rückfall breiter Bevölkerungskreise in vormoderne Denk- und Verhaltensweisen bleibt jedoch unbenannt. Das von ihm favorisierte Bündnis säkularer Kräfte mit gemäßigten Islamisten dürfte die Entwicklung höchstens etwas bremsen.
Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschsses Friedensratschlag und ehemals Mitarbeiter der Universität Kassel, konstatiert einen theoretischen Niedergang der Friedens- und Konfliktforschung seit Anfang der 1990er Jahre. Er weist nach, daß die Militarisierung des deutschen Wissenschaftsbetriebes mittlerweile auch die Friedensforschung erreicht hat. So nennt er mehrere aktuelle Fälle, in denen Wissenschaftler die NATO hochlobten, militärische Aggressionsakte tolerierten oder gar befürworteten. Strutynski bringt die Ursachen auf den Punkt: „Wes‘ Brot ich eß, des Lied ich sing“. Die Unis sind von staatlichen Geldern abhängig, die lukrativsten Aufträge für „Friedensforschung“ kommen aus der Außen- und Verteidigungspolitik.
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Kriege um Wasser, Energie, Rohstoffe. Die Plünderung der Welt stoppen – Die Politik entmilitarisieren Jenior Verlag: Kassel 2011, 170 Seiten, 12 Euro
* Aus: junge Welt, 23. Januar 2012
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