Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Amnesty prangert Europa an

Exzessive Polizeigewalt gegen friedliche Proteste. Kuba reformiert Gefängnisse

Von André Scheer *

Der landesweite Bildungsstreik, mit dem am Dienstag Schulen und Universitäten in Spanien nahezu komplett lahmgelegt werden konnten, ist von den aufrufenden Gewerkschaften als großer Erfolg gewertet worden. An den Universitäten habe die Streikbeteiligung bei durchschnittlich 90 Prozent gelegen, an den Schulen bei 70 Prozent. Zu dem Ausstand waren Professoren, Lehrer, Schüler und Studenten aufgerufen. Zehntausende von ihnen beteiligten sich an Großdemonstrationen in Barcelona, Madrid und anderen Städten. Obwohl es dabei Medienberichten zufolge zu keinen nennenswerten Vorfällen kam, ging die Polizei in Madrid gewaltsam gegen den Zug vor und nahm zwei Studenten fest. Auch in Barcelona wurden fünf Demonstranten inhaftiert.

Das verschärfte Vorgehen der spanischen Behörden gegen friedliche Proteste hat inzwischen auch Amnesty International (ai) auf den Plan gerufen. In ihrem am heutigen Donnerstag erscheinenden und gestern in Berlin vorgestellten Jahresreport 2012 prangert die Menschenrechtsorganisation erstmals ausdrücklich den »exzessiven Gebrauch von Gewalt« durch die spanische Polizei an. Nicht nur in Spanien, sondern auch in Griechenland seien die Beamten im vergangenen Jahr mehrfach unverhältnismäßig gegen »zumeist friedliche Protestierende« vorgegangen und hätten dabei »auch große Mengen von Tränengas und anderen chemischen Substanzen« eingesetzt.

Anders als in dem vergangenen Jahren wirft ai den Staaten der EU nicht mehr nur vor, etwa durch Abschiebungen mit Staaten zu paktieren, in denen die Wahrung der Menschenrechte nicht gewährleistet ist, sondern prangerten zunehmende »Defizite bei der Förderung von Menschenrechten« in den Ländern selbst an. »Ihre innenpolitischen Maßnahmen waren für die anhaltende Wirtschaftskrise verantwortlich und leisteten einer zunehmenden sozialen Ungleichheit Vorschub«, schreibt Amnesty. »Die Statistiken belegen die zunehmend ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen – was beweist, daß die Regierungen ihre Verpflichtung nicht erfüllen, die wirtschaftlichen und sozialen Rechte umzusetzen.« Für Deutschland erinnert der Bericht an den »Einsatz exzessiver Gewalt« gegen Demonstranten in Stuttgart im September 2010 und notiert: »Ermittlungen gegen Polizeibeamte wegen Vorwürfen über Mißhandlungen führten nicht immer zu einem Ergebnis.« Als »Anlaß zur Besorgnis« wertet Amnesty auch »verschiedene staatliche Maßnahmen zur Terrorbekämpfung«. So weigere sich die Bundesregierung nach wie vor, auf eine geheimdienstliche Zusammenarbeit und einen Informationsaustausch mit Ländern zu verzichten, »die dafür berüchtigt sind, Folter anzuwenden«.

Aufschlußreiches weiß Amnesty International auch über Kuba zu vermelden. Von Polizeigewalt ist in dem Bericht nichts zu lesen. »Dissidenten« seien allerdings »schikaniert, eingeschüchtert und willkürlich inhaftiert« worden, heißt es. Zudem unterdrückten die kubanischen Behörden weiter »die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit«. Von »Zwangsarbeit in kubanischen Gefängnissen«, wie sie etwa der Vizechef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Arnold Vaatz, Anfang Mai gegenüber dem Deutschlandfunk halluzinierte, weiß Amnesty hingegen nichts.

Insgesamt sitzen derzeit gut 57000 Menschen in kubanischen Gefängnissen ein, knapp 26000 davon in offenem Vollzug. 23000 von ihnen gehen einer Arbeit nach und erhalten dafür ein Gehalt, das »den im Land für den Rest der Arbeiter festgelegten Tarifen« entspricht. Das geht aus einem Bericht hervor, den die Tageszeitung Granma am Dienstag veröffentlichte. Darin räumt Sergio Alejandro Gómez ein, daß notwendige Verbesserungen und Reformen im kubanischen Gefängnissystem durch die begrenzten Mittel behindert werden. Diese Finanzknappheit werde durch die Weltwirtschaftskrise und die Blockade Kubas durch die USA verschärft.

Und hier sind Havanna und Amnesty wieder einer Meinung. In ihrem Bericht verweist die Organisation auf die erneute Forderung der UN-Vollversammlung an die USA, die Blockade aufzuheben, und zitiert Berichte etwa der Weltgesundheitsorganisation WHO über die »negativen Auswirkungen des US-Embargos auf die Gesundheit der kubanischen Bevölkerung, vor allem der Menschen aus benachteiligten Gruppen«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 24. Mai 2012


Zurück zur Spanien-Seite

Zur Menschenrechts-Seite

Zur Kuba-Seite

Zurück zur Homepage