Law-and-Orbán
Ungarns Ministerpräsident fischt am rechten Rand. Neofaschistische Jobbik-Partei legt in Umfragen zu
Von Ben Mendelson *
Der ungarische Premierminister Viktor Orbán buhlt um die extrem rechten Wähler. Grund ist die schwindende Wählergunst für seinen nationalkonservativen Ungarischen Bürgerbund (Fidesz). Der liegt nach jüngsten Umfragen nur noch knapp vor der neofaschistischen Jobbik-Partei. Demnach käme letztere auf knapp 30 Prozent der Stimmen, für Fidesz würden nur noch 37 Prozent der Wahlberechtigten votieren. Damit wäre die komfortable Parlamentsmehrheit passé, mit der Fidesz dank gezielter Änderungen des Wahlrechts seit 2010 allein regiert. Der Bürgerbund wäre damit auf einen Koalitionspartner angewiesen.
Jobbik befindet sich im Aufwind. Nicht zuletzt seit die Faschisten Mitte April der Regierungspartei bei der Nachwahl im westungarischen Tapolca ein Direktmandat abnehmen konnten. Noch hat Orbán eine Zusammenarbeit mit Jobbik ausgeschlossen. Doch dem nationalkonservativen Premier ist bewusst, dass er, wenn er auch zukünftig regieren will, auf die Stimmen der Jobbik-Wähler angewiesen ist.
Am 28. April hielt Orbán in der südungarischen Stadt Pécs eine Wahlkampfrede. In der Region war kurz zuvor eine Ladenbesitzerin ermordet worden. Orbán, der bereits die lebenslange Haftstrafe wieder eingeführt hatte, erklärte, dieser Schritt sei nicht ausreichend. »Die Frage der Todesstrafe gehört auf die Tagesordnung«, zitierte die Zeitung Pester Lloyd den Regierungschef. Orbán brachte damit eine Forderung auf die politische Agenda, die sonst nur von Jobbik erhoben wird.
Ungarn hatte 1990 die Todesstrafe abgeschafft. Außerdem ist das Land mit dem Beitritt in die EU 2004 rechtlich verpflichtet, diese aus den Gesetzen zu streichen. Am 30. April ruderte Orbán deswegen wieder zurück. Er wolle die Todesstrafe nicht einführen. Das habe er laut Nachrichtenagentur AFP dem deutschen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz in einem Telefonat versichert.
Der Pester Lloyd vermutet, dass Orbán mit seinen jüngsten Äußerungen von einem geplanten Atommüllager ablenken wollte. Wie kürzlich bekannt wurde, sollen in der Nähe von Pécs zukünftig radioaktive Abfälle gelagert werden, die mit dem vorgesehenen Ausbau des Atomkraftwerks in Paks anfallen würden.
Andere Vertreter der rechten Regierung sprachen sich indes für die Todesstrafe aus, so am vergangenen Samstag Fidesz-Fraktionschef und Kanzleramtsminister János Lázár. Er erklärte, es gehe darum, eine vorhandene »Debatte in der ungarischen Gesellschaft« zu führen. Lázár ergänzte, die Bevölkerung wolle härtere Bestrafungen, wenn »Kinder, ältere Menschen oder andere wehrlose Individuen« angegriffen würden. Als 2008 und 2009 in Ungarn neonazistische Motorradgangs sechs Roma ermordeten, waren solche Töne von der Regierung nicht zu hören.
Er sei »persönlich für die Todesstrafe«, sagte Lázár laut Pester Lloyd, er selbst habe Derartiges aber noch nicht von Orbán gehört. Die Regierung werde am heutigen Mittwoch über weitere Verschärfungen des Strafrechts beraten.
Auch beim Thema Flüchtlinge stimmt das Kabinett rassistische Töne an. Ende April wurden ein Fragebogen zur »nationalen Konsultation« verschickt. Darin wird die Einstellung der Bevölkerung zu »Einwanderung und Terrorismus« abgefragt. Mittels suggestiver Fragen soll die Politik des Fidesz gegenüber Flüchtlingen als volksnah gerechtfertigt werden. So werden Flüchtlinge mit »Terroristen« in einen Topf geworfen. An einer anderen Stelle wird von einem 20fachen Anstieg von »Wirtschaftsflüchtlingen« fabuliert. In der zwölften Frage will die Regierung laut Pester Lloyd wissen, ob »anstelle von Mitteln für die Einwanderung ungarische Familien und die Kinder, die noch geboren werden, unterstützt werden sollen?«
Ungarn ist ein Transitland für Flüchtlinge auf ihren Wegen nach Westeuropa. Budapest geht zunehmend repressiver gegen sie vor. So werden Flüchtlinge laut mehreren Berichten willkürlich ins Gefängnis gesteckt. Ende April forderte Orbán in einem Radiointerview Zwangsarbeit für Asylsuchende.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. Mai 2015
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