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Zu Gast bei Freunden

Krude EU-Visionen von Ungarns Rechtspopulisten Viktor Orbán auf dem Europaforum des WDR. Demagogen geben sich bei Merkel die Klinke in die Hand

Von Michael Merz *

Erneut wurde am Donnerstag in Berlin der rote Teppich für einen Demagogen ausgerollt. Partout am Tag der Befreiung vom Faschismus predigte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine nationale Ideologie vor großem Publikum. Am Nachmittag schüttelte er Angela Merkel die Hand. Die Kanzlerin hatte bereits am Tag zuvor anrüchigen Besuch: Der ukrainische Präsidentschaftskandidat und Oligarch Petro Poroschenko bezeichnete in der BRD-Hauptstadt die Aufständischen in der Ostukraine als »geisteskrank« und lehnte jedwede internationale Friedensgespräche mit ihnen ab.

Nach der jüngsten Parlamentswahl Anfang April kann Orbán mit Zweidrittelmehrheit weiterregieren, auch weil er zuvor das Wahlrecht zu seinen Gunsten hingebogen hatte. Sein rechts-nationaler Bund Junger Demokraten (Fidesz) ist mit der faschistischen Jobbik-Partei an der Macht. Das Land geht derweil vor die Hunde: Grassierende Armut, die Wirtschaft liegt darnieder, die Pressefreiheit ist eingeschränkt, Minderheiten wie Juden und Roma leiden unter Repressionen. Jüngster Coup: Am Dienstag hat das ungarische Parlament den ehemaligen neonazistischen Schläger Tamas Sneider zu seinem Vizepräsidenten gewählt.

Ausgerechnet Orbán wurde also am Vormittag die Ehre der Eröffnungsrede des Europaforums des Westdeutschen Rundfunks (WDR) im Auswärtigen Amt zuteil. Die erste Garde der deutschen Politik war anwesend, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die Botschafter Mexikos und Chinas. Der Spagat des WDR-Intendanten Tom Buhrow ist bemerkenswert. Er begrüßte Orbán und sprach sich gegen »simple Parolen« von mehr Nationalstaat aus. Buhrow: »Pressefreiheit, ein funktionierendes Rechtssystem und Weltoffenheit gehören zu Europa.«

Mit der Frage »Welches Europa wollen wir?« war Orbáns Rede überschrieben. Seine EU-Visionen stehen Buhrows Worten diametral entgegen. Orbán suhlte sich darin, was die EU vom »erneuerten« Ungarn lernen kann. Er könne als »Seismologe der politischen Welt« die »tatsächlichen Gefahren identifizieren«. Orbáns Thesen für die EU sind Rezepte aus der Giftküche des Rechtspopulismus. »Keine taugliche Medizin« für das Demographieproblem sei »massenhafte Einwanderung«. »Europas Politik kämpft gegen seine eigenen Wurzeln, die Kultur wird verfremdet«, erklärte Orbán. Die nächste These betraf die »Frage von Männern und Frauen«, also indirekt seine Antipathie gegenüber Homosexualität. Eine offene Wunde sei, daß das Christentum in der EU nicht ausreichend anerkannt werde. Ungarn habe ein Gesetz zum Schutz der Familien verabschiedet. Weiterhin strebe das Land Vollbeschäftigung an und habe dafür bereits die Arbeitslosenhilfe von neun auf drei Monate reduziert. Krude Thesen, trotzdem gab es wohlwollenden Applaus von einem großen Teil des Publikums. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, verfolgte die Tiraden mit versteinerter Miene. Rose sagte hernach gegenüber jW, das sei ein rein nationaler Blickwinkel. »Europa kann nicht nur exportieren, sondern muß auch importieren«, meinte er zu Orbáns Migrationsaussage.

Auch Merkel sparte auf dem Europaforum nicht mit Polemik. Sie warf Rußland eine Politik der Einflußsphären vor. Sie könne über eine lange Zeit hinweg keine eindeutige Botschaft aus Moskau für eine Kooperation entdecken. Später dann der Handshake mit dem Demagogen aus Ungarn im Kanzleramt. Fidesz gehört zur Europäischen Volkspartei. Und die soll schließlich bei der EU-Wahl passabel abschneiden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 9. Mai 2014


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