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Geschichtsentsorgung in Budapest

Denkmäler für Spanienkämpfer fielen der Wendewut ebenso zum Opfer wie die für ermordete Antifaschisten

Von Hannes Hofbauer, Budapest *

Der Budapester Statuenpark gilt als »zivilisiertes Beispiel« des Umgangs mit Zeugnissen einer heutzutage offiziell geschmähten Vergangenheit.

Der »Friedhof des kommunistischen Gedächtnisses« liegt weit außerhalb der Stadt. Die Reise beginnt bei der Endstation der Straßenbahnlinie 4, die von der Margit hid (Margaretenbrücke) kommend den gesamten früheren Lenin Körút (Lenin-Ring) entlang fährt, der seit 1990 wieder habsburgische Herrschernamen führt.

Der Bus Nummer 150 hat hier auf der Budaer Seite der Donaustadt seinen Ausgangspunkt. Er wird uns 30 Minuten lang durch anfangs städtisch-proletarisch inspirierte Hochhausviertel und später durch Quartiere chauffieren, die vom kleinbürgerlich-individuellen Geist getragen sind. Hier reiht sich Einfamilienhaus an Einfamilienhaus. In vielen von ihnen währte das ersehnte kleine Glück indes nicht lange, wie die vielen an ihnen angebrachten Tafeln und Plakate mit der Aufschrift »eladó« – zu verkaufen – beweisen. Hier nimmt die zwischen Brüssel und Budapest geführte Auseinandersetzung um den Umgang mit der Zahlungsunfähigkeit zigtausender Kleinhäusler im Angesicht der Schuldenfalle, in die sie durch Fremdwährungskredite getrieben worden sind, konkrete Gestalt an.

Schon tauchen die ersten Weingärten neben Autoreparaturwerkstätten und Baustoffhändlern auf, als uns der Busfahrer mit einem nachhaltig betonten »Memento Park« darauf hinweist, dass wir die Ansage gleichen Wortlauts nicht verstanden haben. Riesige gusseiserne Stiefel auf einer vier Meter hohen Ziegelmauer zeigen uns den Weg zum Eingang des Denkmalfriedhofs.

Der Memento-Park, auch Szoborpark (Statuenpark) genannt, wurde 1993 eröffnet und beherbergt die im Wende-Eifer abgetragenen Monumente der sozialistischen Epoche. Die zwei Stiefel stehen für »Stalins Schatten«, wie der auch in englischer Sprache verfügbare Besucherkatalog erklärt. Sie sind dem Original einer Statue nachgegossen worden, die am 23. Oktober 1956 von einer aufgebrachten Menge am Felvonulási ter vom Sockel gerissen wurde. Damals blieb nur das Schuhwerk des Sowjetführers stehen, der Mann selbst fand anschließend keinen Ehrenplatz mehr im Budapester Stadtbild.

Der Memento-Park ist ein großes Areal, auf dem sechs kreisrunde Wege angelegt sind. Entlang des Rundgangs sind etwa 50 Standbilder und Reliefs aus der Zeit zwischen 1949 und 1989 zur Schau gestellt. Marx und Engels, ein kubistisch ausgeführtes Doppelstandbild aus den frühen 70er Jahren, grüßen den Eintretenden. Links davon duckt sich eine bronzene Leninbüste in Richtung Erdboden, daneben stehen Monumente des Bulgaren Georgi Dimitroff, des ungarischen Räterevolutionärs Béla Kun und des einstigen Regierungschefs der Volksrepublik, Ferenc Münnich. Die Geschichte jeder einzelnen Figur wird im Begleitheft ausgiebig erklärt, wobei die biografischen Hintergründe sich freilich fest am neuen antikommunistischen Konsens orientieren, während die künstlerische Ausgestaltung teilweise offener diskutiert wird.

Der Besucher staunt über die generöse Definition von »kommunistischer Propagandakunst«, wenn er beispielsweise vor dem Denkmal der ungarischen Spanienkämpfer stehen bleibt, das früher im Budapester 2. Bezirk seine Heimstatt hatte. Die Männer und Frauen, die am Rio Jarama den Francofaschismus bekämpft hatten, fielen der Wendezeit vor 20 Jahren ebenso zum Opfer wie der Antifaschist Endre Ságvári. 1913 geboren, studierte er Jura, war Anwalt und aktiver Kommunist. Als solcher organisierte er in den frühen 40er Jahren kurze, öffentliche Auftritte gegen die von Hitler unterstützten und schließlich sogar gegen Horthy als radikalste Reserve aufgebotenen Pfeilkreuzler. Bei einer dieser Aktionen fiel Ságvári der Kugel eines Faschisten zum Opfer. Das bereits 1949 im 5. Bezirk errichtete, an ihn erinnernde Denkmal fristet nun am Gedächtnisfriedhof ein unauffälliges Dasein. Im Besucherkatalog gestehen die Ausstellungsgestalter ein, dass die Ablagerung seiner bronzenen Statue auf der Wiese des Memento-Parks nicht wegen seiner Taten als notwendig erachtet wurde – immerhin bekennt sich ja auch das heutige offizielle Ungarn zum Antifaschismus –, sondern wegen der Rezeption dieser Taten in der »kommunistischen Epoche«. Weil die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (USAP) Ságvári als Vorbild für die Jugend aufgebaut hatte, musste er nach der Wende aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen werden.

Zahlreich vertreten im Memento-Park sind Erinnerungsplaketten für jene Linke, die nach dem Ersten Weltkrieg Anteil an der ungarischen Räterepublik hatten. Die meisten von ihnen starben längst vor Gründung der Ungarischen Volksrepublik, oft durch die Hand ungarischer Rechter in den 30er Jahren. Ihr konsequentes Eintreten für die linke Sache war Grund genug, um das Gedenken an sie aus dem Stadtbild zu löschen.

Wie jenes an die Eisenbahnerin Kató Hámán. Auf der hierher entsorgten Plakette steht zu lesen: »Von 1919 bis 1936 lebte Kató Hámán in diesem Haus. Sie war ein hervorragendes Mitglied der Arbeiterbewegung, ermordet im Gefängnis des faschistischen Horthy-Regimes.« Gestiftet worden war die Tafel von der »Frauengruppe des 9. Bezirks«. Im Memento-Park wurde ihr die Nummer 28 zugeteilt.

Die 1958 vor den Budapester Csepel-Werken im 21. Bezirk aufgestellte Leninstatue böte sich trotz der starren bronzenen Haltung als ideale Romanfigur an. Ihre Geschichte spiegelt im Kleinen die Auseinandersetzungen um die Erinnerung an das sozialistische Erbe, wie sie die ungarische Gesellschaft seit 1989 gespalten hat.

Im April 1958 besuchte der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow Budapest. Ein Abstecher zum damals wichtigsten Industriebetrieb, den Metall- und Eisenwerken auf der Csepel-Insel, war obligatorisch. Bei dieser Gelegenheit wies der Gast angeblich darauf hin, dass sich ein Denkmal seines Vorgängers Lenin vor dem Vorzeigebetrieb gut machen würde. In Windeseile gossen die Genossen einen knapp zweieinhalb Meter hohen Lenin und verpassten ihm eine ausgestreckte Hand, die seit dem 7. November 1958, dem 41. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution, Richtung Werkstor zeigte.

Die Eile rächte sich. Spätestens im März 1970 war für jedermann ein Loch im Denkmal des Revolutionärs sichtbar geworden, so dass sich die Verwaltung anschickte, die Statue bei Nacht und Nebel auszutauschen. Der alte, schadhafte Lenin wurde durch einen neuen ersetzt. Große Öffentlichkeit wurde ob dieses peinlichen Vorgangs vermieden, die Arbeiter der Csepel-Werke bemerkten freilich den neuen Glanz des Standbildes.

20 Jahre lang stand der kommunistische Altmeister danach ohne weitere Zwischenfälle am Werkstor, bis ihm die politische Wende 1989 an den Korpus rückte. Sich selbst als »revolutionär« verstehende Aktivisten einer bürgerlichen Rechtspartei kündigten an, Lenin vom Sockel holen und einschmelzen lassen zu wollen.

Das wiederum rief die Csepel-Arbeiter auf den Plan, die ihrerseits den Sowjetführer abtrugen, um ihn nicht in die Hände der Reaktion geraten zu lassen, als die sie die Zeitenwende verstanden. Wie schon bei seiner Errichtung war Eile angesagt, die der Sorgfalt jedoch nicht entgegenstand. Während weniger Nachtstunden verschwand der seinen Feinden verhasste, den Arbeitern jedoch wertvolle Lenin von seinem Platz. In einer Lagerhalle fand er zwischen Süßigkeiten einer Marzipanfabrik ein ruhiges Versteck.

Erst Jahre später, anlässlich der Privatisierung dieser Lagerhalle entdeckte ihn der neue Eigentümer und übergab ihn pflichtbewusst den Friedhofswärtern des kommunistischen Gedächtnisses. Als Nr. 17 steht er seither – fern der Stadt und der Arbeiter, denen er den Weg zum Werkstor gewiesen hat – im Grünland des Memento-Parks.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014


Aber Horthy ist zurück

Über Ungarns neue Erinnerungsorte

Von Detlef D. Pries **


Es gibt im heutigen Budapest durchaus beeindruckende Denkmäler – die Schuhe am Ufer der Donau beispielsweise. Auf der Pester Seite des Stroms, unmittelbar am Wasser, stehen oder liegen auf einer Länge von 40 Metern 60 Paar aus Metall gegossene Schuhe. Sie erinnern daran, dass ungarische Pfeilkreuzler 1944 und 1945 jüdische Ungarn am Fluss zusammentrieben und erschossen. Gyula Pauer und Can Togay schufen diesen Ort stillen Gedenkens, der 2005 eingeweiht wurde.

In diesem Jahr sollen in Ungarn weitere Stätten der Erinnerung an die Ermordung von 600 000 ungarischen Juden entstehen. Denn 2014 wurde offiziell zum Holocaustgedenkjahr erklärt. Die Regierung unter dem nationalkonservativen Viktor Orbán ist auffällig bemüht, alle Vorwürfe zu zerstreuen, sie fördere antisemitische Tendenzen im Lande oder nehme sie zumindest billigend in Kauf.

Orbáns Kritiker jedoch bestehen auf diesen Vorwürfen und verweisen unter anderem darauf, dass Angehörige der neonazistischen Partei Jobbik unbehelligt durch Budapester Straßen ziehen dürfen, um des mit Hitler verbündeten »Reichsverwesers« Miklós Horthy zu gedenken, oder dass in ungarischen Städten und Dörfern immer neue Horthystraßen, -plätze und -denkmäler eingeweiht werden. Unter Horthys Herrschaft hatte sich die ungarische Armee am Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion und an grausamen Massakern gegen die dortige Bevölkerung beteiligt. Ein notorischer Antisemit, war Horthy mitverantwortlich für die Deportation ungarischer Juden nach Auschwitz zwischen Mai und Juli 1944. Für Viktor Orbán allerdings war er »sicherlich kein Diktator« und die Verehrung sei eine »kommunale Angelegenheit«.

Als Jobbik-Anhänger im vergangenen November vor der Heimkehr-Kirche auch im Zentrum Budapests eine Horthybüste aufstellten, sprach der Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, Antal Rogán, immerhin von einer »Provokation«. Dies allerdings weniger wegen der Heroisierung eines Verbrechers an sich, sondern weil »man damit der europäischen Linken und den westlichen Medien« eine Vorlage geliefert habe, »über Ungarn als antisemitisches Land zu hetzen«. Im übrigen sahen die Behörden keinen Anlass, gegen die Aktion auf einem der prominentesten Plätze der Stadt, dem Freiheitsplatz, einzuschreiten, denn die Büste stehe nicht auf öffentlichem, sondern auf Kirchengrund.

Am 19. März soll ebenfalls auf dem Freiheitsplatz ein »Mahnmal zur Erinnerung an die deutsche Besatzung Ungarns vor 70 Jahren« errichtet werden. In der deutschsprachigen Online-Zeitung »Pester Loyd«, hieß es dazu: »Die Botschaft ist eindeutig: Faschismus war ein ungewollter Export aus Deutschland, Ungarn war das Opfer, genau wie bei der Okkupation durch die stalinistische Sowjetunion.« Die Deportation der Juden im besetzten Ungarn 1944 aber wurde – freilich unterstützt von deutschen »Beratern« – durch die ungarischen Behörden besorgt.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. Januar 2014


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