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EU-Nachbarn führen Kalten Krieg

Unfrieden zwischen Ungarn und der Slowakei

Von Gábor Kerényi, Budapest *

Die ungarisch-slowakischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Aus einem leicht regelbaren Zwischenfall wurde innerhalb kürzester Zeit eine Staatsaffäre. Auch nach einem Gipfeltreffen am vergangenen Sonnabend wissen die beiden Regierungen nicht viel besser als vorher, wie sie miteinander umgehen sollen.

Vor zwei Wochen waren ungarische Rechtsextremisten, unter ihnen auch Mitglieder paramilitärischer Verbände wie der Ungarischen Garde, zu einem Fußballspiel in das slowakische Dunajská Streda (ungarisch Dunaszerdahely) gereist. Die sogenannten Fußballfans hatten Flaggen mitgebracht, die »Großungarn« oder Symbole des ungarischen Nationalsozialismus abbildeten. Mit Großungarn ist das Königreich Ungarn gemeint, zu dem auch die heutige Slowakei gehörte und das als Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie am Ende des Ersten Weltkriegs untergegangen ist. Ungarn verlor 1918 zwei Drittel seines ehemaligen Staatsgebiets. Seitdem träumen Ultranationalisten, zu Zeiten der Volksrepublik hinter verschlossenen Türen, dank der neuen Demokratie inzwischen wieder unverhohlen, von der Wiederherstellung des historischen Großungarn. Diese völlig unrealistischen Bestrebungen werden in den Nachbarstaaten durchaus mit Erfolg dazu genutzt, die auf schlechten historischen Erfahrungen beruhende Ungarnfeindlichkeit lebendig zu halten.

Die ungarischen »Fans« wurden nach dem bewussten Fußballspiel laut Selbstdarstellung von der slowakischen Polizei völlig grundlos zusammengeschlagen und festgenommen. Die slowakische Seite wiederum besteht darauf, dass die Polizei sehr wohl handgreiflich provoziert wurde. Die Ungarn hätten die Beamten angegriffen und den Ordnungsorganen ihre nackten Hinterteile gezeigt.

Wenig später wurden slowakische Flaggen vor der Budapester Botschaft verbrannt und die Auseinandersetzung verwandelte sich endgültig in ein diplomatisches Gefecht. Ungarns Regierung verlangte eine Erklärung für das Verhalten der slowakischen Behörden. Diese versprachen Videobeweise, die bis heute allerdings nicht geliefert wurden. Stattdessen begann eine Verbalkampagne der aus Links- und Rechtspopulisten bestehenden slowakischen Regierung.

Den Ton gibt, wie oft, der ultranationalistische Vorsitzende der Slowakischen Nationalpartei (SNS) an. Ján Slota versteigt sich gerne zu Hasstiraden – etwa gegen Homosexuelle oder die ungarische Minderheit in der Slowakei. Roma sind für ihn »Kriminelle», »Idioten«, »geistig Zurückgebliebene« und »Parasiten, die eliminiert werden müssen«. Als Bürgermeister einer slowakischen Stadt errichtete er eine Gedenktafel für einen verurteilten Nazi.

Nun ging Slota gegen die ungarische Außenministerin Kinga Göncz los. Weil sie den slowakischen Botschafter zu einer Erklärung zu sich bat, verglich er sie mit Hitler. Ministerpräsident Robert Fico wurde nicht ganz so persönlich, er meinte nur, dass »unsere ungarischen Freunde« nach 1989 »alles verschissen haben, was zu versauen war«. Es scheint seit langem Taktik der slowakischen Politik zu sein, Ungarn unter Verweis auf tatsächliche wirtschaftliche Schwierigkeiten oder den problematischen Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen generell herunterzumachen. Ungarische Regierungspolitiker versuchen zwar, sich in Zurückhaltung zu üben. Die Partei Jobbik, Pate der Ungarischen Garde, hat aber bereits zum Boykott slowakischer Waren aufgerufen und Straßensperren an slowakischen Grenzübergängen organisiert.

Da besann sich der österreichische EU-Abgeordnete Hannes Swoboda auf jenen Paternalismus, der bei vielen Regierungen wichtiger EU-Länder heute wieder sehr beliebt ist. Swoboda stellte sich als Vermittler zur Verfügung. Auf einem Gipfeltreffen zwischen dem ungarischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány und dem slowakischen Regierungschef Robert Fico im Rathaus der slowakischen Grenzstadt Komárno am vergangenen Sonnabend sollte ein Fahrplan zur Lösung der Probleme zwischen beiden Staaten und vor allem innerhalb der Slowakei vereinbart werden. Gyurcsány reiste mit sechs Vorschlägen zu den Rechten der Minderheiten in der Slowakei an. Fico betonte seinerseits, dass der Import von Faschismus und extremen Ansichten in sein Land unakzeptabel sei. Auch müsse eine Person, würde sie in der Slowakei die ungarische Flagge verbrennen, auf jeden Fall mit einer Gefängnisstrafe rechnen, führte er in Anspielung auf den Budapester Vorfall aus.

Die Regierungschefs unterschrieben eine Vierpunkteerklärung, in der sie sich zum Einschreiten gegen Extremismus und die dazugehörigen Ideologien verpflichten und »zur Bewahrung der kulturellen und ethnischen Identität von Minderheiten bekennen«. Ob man sich damit tatsächlich auf den Weg zurück in die wenig freundschaftliche Normalität der Jahre vor dem Fußballspiel macht, bleibt abzuwarten. Der als Abschluss des Gipfels ursprünglich geplante gemeinsame Gang über die Donaubrücke in den ungarischen Teil von Komárom unterblieb aus bisher nicht geklärten Gründen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2008


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