Pál Schmitt will im Amt bleiben
Ungarns Präsident sieht trotz Verlust seines Doktortitels keinen Grund zum Rücktritt / Proteste in Budapest
Von Zsuzsanna Horváth, Budapest *
Der ungarische Staatspräsident Pál
Schmitt denkt trotz Plagiatsaffäre und
Entzug des Doktortitels nicht an
Rücktritt. »Mein Gewissen ist rein«,
erklärte er am Freitagabend (30. April).
Die Überprüfung der Plagiatsvorwürfe,
die gegen die 20 Jahre alte
Dissertation des ungarischen
Staatspräsidenten Pál Schmitt erhoben
worden waren, durch einen
Untersuchungsausschuss der Budapester
Semmelweis Universität
dauerte einige Monate. Wer die
Mitglieder des Ausschusses sind,
wurde geheim gehalten. Am vergangenen
Dienstag gab man das
Ergebnis bekannt. Der überwiegende
Teil der Dissertation sei ein
Plagiat, allerdings habe die Vorgangsweise
von Schmitt der damaligen
»Praxis« entsprochen.
Regierungssprecherin Selmeczi
erklärte noch am selben Tag, dass
die Angelegenheit damit abgeschlossen
sei. Alles andere sei politische
Kampagne. Doch die Regierung
hatte nicht damit gerechnet,
dass für die Semmelweis Universität
und viele ihrer Professoren
die eigene wissenschaftliche
Reputation und andere Faktoren
wichtiger sein könnten als der politische
Opportunismus.
An der Universität, die als politisch
konservativ und fachlich
hochstehend gilt, werden etwa
1400 ausländische Hörer, die hohe
Studiengebühren bezahlen, als
Mediziner ausgebildet. Nachdem
der Doktoratsausschuss in vorgezogener
Sitzung am Donnerstag
feststellte, dass es sich um einen
schweren Plagiatsfall handele, beschloss
der ebenfalls eilig zusammengerufene
Senat noch am selben
Tag mit großer Stimmenmehrheit,
dass Schmitt der Doktortitel
entzogen wird.
Pál Schmitt jedoch, der 2010
mit den Stimmen der Abgeordneten
der Regierungspartei Fidesz
gewählt worden ist, geht jede Einsicht
ab. In einer Stellungnahme
begründete der einstige hohe
Sportfunktionär am Freitagabend
seine Absicht, im Präsidentenamt
zu bleiben. Erstens sehe er keinen
Zusammenhang zwischen seiner
Fähigkeit und Eignung, das Amt
des Staatschefs auszufüllen, und
einer Dissertation, die er vor 20
Jahren geschrieben habe. Und
zweitens habe er damals und auch
seitdem stets in guter und ehrenhafter
Absicht gehandelt. Weder
seine Betreuer und Prüfer noch
sonst jemand in den folgenden 20
Jahren habe ihn jemals darauf
aufmerksam gemacht, dass seine
Art des Umgangs mit den benutzten
Quellen nicht den Anforderungen
entspreche. Am Wochenende
gab Schmitt in weiteren Interviews
seinen Zweifeln Ausdruck,
dass die nunmehrige Vorgangsweise
der Universität rechtlich
korrekt sei. Vor dem Präsidentenpalais
campieren die Protestierenden,
die Opposition
schäumt.
Über die Vorgänge hinter den
Kulissen gibt es zahlreiche Spekulationen.
Demnach erwartet und
wünscht sich die Regierung
Schmitts Rücktritt. Sie wolle den
Sportmenschen aber durchaus
noch einige Tage kämpfen lassen.
Tatsächlich stellte Ministerpräsident
Viktor Orbán (Fidesz) öffentlich
klar, dass gemäß der ungarischen
Verfassung einzig das
Staatsoberhaupt selbst entscheiden
könne, ober es zurücktrete
oder nicht. »Ich halte mich an diese
Regelung.« Die Person des
Staatspräsidenten, dessen Amt die
Einheit der Nation verkörpere, sei
»unverletzlich«.
Hinter diesem Selbstschutz
steckt die Erkenntnis, dass Schmitt
sich im Angesicht des Untergangs
von einem willfährigen Befehlsempfänger
der Regierung in einen
starrköpfigen Autokraten verwandelt,
dessen Verhalten die Regierung
nicht länger steuern kann.
Damit scheinen sich die Befürchtungen
all jener zu bewahrheiten,
die schon bei der Bestellung des
Staatsoberhauptes von Fidesz‘
Gnaden davor warnten, dass das
Problem nicht nur in dessen politischer
Willfährigkeit bestehe.
Denn dem Mann fehlen außer den
politischen auch die intellektuellen
Qualitäten für das hohe Amt. Aus
diesem Grunde könne er durchaus
auch für die Regierung selbst zum
Problem werden.
Ob der Untergang tatsächlich
kommt, hängt nun davon ab, wie
Schmitt mit dem wachsenden politischen
Druck umgeht. Wie es der
Semmelweis Universität in Zukunft
hochschulpolitisch ergehen
wird, das liegt zwar in vieler Hinsicht
in den Händen der Regierung.
Doch die Affäre hat deutlich
gemacht, dass diese so mächtig
nicht ist, wie viele glauben.
* Aus: neues deutschland, Montag, 2. April 2012
Letzte Meldung
"Symbol der Spaltung" gibt auf
Ungarns Präsident Schmitt zurückgetreten **
Ungarns Präsident Pál Schmitt hat
nach Aberkennung seines Doktortitels
nun doch seinen Rücktritt erklärt.
»Gemäß der Verfassung muss der Präsident die Einheit der ungarischen Nation verkörpern; leider bin ich ein Symbol
der Spaltung geworden«, sagte der
69-jährige Schmitt am Montag (2. April) vor
dem Parlament in Budapest. Noch
am Freitag hatte er betont, er sehe
»keinen Zusammenhang« zwischen
Plagiatsaffäre und Amt.
Das Parlament wollte umgehend
die Rücktrittserklärung billigen.
Daraufhin gehen die Amtsgeschäfte
kommissarisch auf Parlamentspräsident
Laszlo Köver über.
Das Amt des Präsidenten ist in
Ungarn weitgehend protokollarisch,
allerdings ist der Staatschef
auch Oberkommandierender der
Streitkräfte. Zudem war Schmitt
für die konservative Regierung von
Ministerpräsident Viktor Orbán
von erheblicher Bedeutung, weil er
in den vergangenen Monaten etliche
Gesetze in Kraft setzte, die im
In- und Ausland heftige Kritik hervorriefen.
Schmitt erklärte als
Vertrauter Orbáns, er wolle »den
Schwung der Regierung nicht behindern
«.
Die Aberkennung des Doktortitels
war am Donnerstag von den
Gremien der Semmelweis-Universität
in Budapest beschlossen
worden. Die ungarische Opposition
forderte daraufhin einstimmig
Schmitts Rücktritt.
Orbán sagte, die Entscheidung
über einen Rücktritt liege »ausschließlich
« bei Schmitt. Schmitt
bezeichnete seine Doktorarbeit am
Freitag als »ehrliches Werk«, das
er nach bestem Wissen und Gewissen
verfasst habe. Den Verlust
seines Titels erkenne er an. Jedoch
entspreche seine Arbeit »den
vor 20 Jahren gültigen Regeln«.
Schmitt ist seinen Landsleuten
seit Jahrzehnten in verschiedenen
Funktionen vertraut. Bekannt
wurde er als Fechter. In den Jahren
1968 und 1972 errang er mit
ungarischen Fechterteams Goldmedaillen
bei den Olympischen
Spielen, von 1989 bis 2010 stand
er an der Spitze des ungarischen
Olympischen Komitees.
Von 1993 bis 1997 war er Botschafter
in Spanien, von 1999 bis
2002 Botschafter in der Schweiz.
Zwei Jahre später zog er ins Europäische
Parlament ein, wo er
2009 und 2010 das Amt des Vizepräsidenten
ausübte.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 3. April 2012
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