Roma-Mörder ohne Reue
Budapester Gericht verhängte dreimal Lebenslänglich gegen Rassisten
Von Hanna Ongjerth, Budapest *
Am Dienstag wurden die drei
Hauptangeklagten im Fall einer
Serie von Morden an Roma in den
Jahren 2008 und 2009 nach zweieinhalbjährigem
Prozess zu lebenslangen
Haftstrafen verurteilt.
Árpád Kiss, István Kiss und
Zsolt Pető verfolgten die Urteilsverkündung
mit starren Blicken. Sie hatten behauptet,
sie hätten niemanden töten wollen, ihr Ziel sei lediglich gewesen,
die Bewohner von Roma-Dörfern einzuschüchtern.
Am Dienstag wurden sie wegen gemeinschaftlichen Mordes aus
niederen Motiven zu lebenslanger Haft verurteilt. Einem vierten Angeklagten sprach das Gericht 13 Jahre Haft zu. Die
erstinstanzliche Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Im Jahre 2007 hatten sich
in Ungarn Konflikte mit Roma
durch die gewalttätigen Auftritte
der paramilitärischen
»Magyar Gárda« (Ungarische
Garde) zugespitzt. Die rechtsextreme
Vereinigung hatte sich
die »Selbstverteidigung der Nation
« auf die Fahne geschrieben,
da sie aber keine »befriedigende
Lösung der Roma-Problematik« angeboten habe,
beschlossen die Angeklagten,
sich Waffen zu besorgen und
zur Tat zu schreiten. Ihre Anschlagsserie
begann im Sommer 2008, als binnen zwei Monaten
drei von Roma bewohnte
Häuser mit Molotowcocktails
und Waffen überfallen wurden.
Die ersten Morde wurden
am 3. November 2008 im nordungarischen
Nagycsécs begangen. In der Nacht setzten die
Täter das Haus einer dreiköpfigen
Roma-Familie in Brand. Als die aus dem Schlaf geschreckten
Anwohner fliehen wollten, wurden zwei von ihnen
erschossen. Die nächste Mordtat im Februar 2009 in
Tatárszentgyörgy verlief nach
gleichem Muster: Die Verbrecher
warfen einen Brandsatz ins Haus einer Roma-Familie
und ermordeten einen fünfjährigen
Jungen und dessen Vater auf der Flucht. Die Angehörigen
der Opfer riefen vergeblich
um Hilfe, der Rettungsdienst
kam erst nach anderthalb Stunden,
die Polizei erklärte das Geschehene
trotz der Schusswunden und der Reste des
Brandsatzes zu einem Unfall. Ermittlungen wurden erst am nächsten Tag aufgenommen. Dem Mord in Tatárszentgyörgy
folgten zwei weitere Fälle, bei
denen zwei Menschen ums Leben
kamen. Die mutmaßlichen
Täter wurden vor vier Jahren
verhaftet.
Trotz zweieinhalbjährigen
Prozesses bleiben Fragen offen,
wie das größte ungarische
Nachrichtenportal Index.hu erläutert.
Bis heute ist ungeklärt,
unter welchen Umständen die
Verbrecher sich Waffen besorgt
haben und wer mit ihnen zusammenarbeitet
hat. Obwohl die »Ungarische Garde« vor fünf
Jahren verboten wurde, kommt
es in Gemeinden mit hohem
Roma-Anteil immer wieder zu
rechtsextremen Aufmärschen.
Was die Integration der Roma
betrifft, lassen wirksame Lösungsvorschläge
der Regierung auf sich warten. Darauf wies
auch László Helmeczy, der
Rechtsvertreter eines der Ermordeten
hin, als er am Ende
seiner Erklärung die Frage
stellte: »Wie sollen Bürger in
Ungarn glauben, dass ihre Sicherheit
tatsächlich garantiert
ist?«
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. August 2013
Das Urteil von Budapest
Von Detlef D. Pries **
Früher haben wir debattiert, wie Roma leben, heute stellt sich immer
öfter die Frage, ob Roma leben.« D das sagt, Gergely Dezideriu, ist
Direktor des Europäischen Zentrums für Romarechte in Budapest. In
Ungarns Hauptstadt wurden am Dienstag drei Romamörder zu lebenslanger
Haft verurteilt. Minister Zoltán Balog, zuständig für »Humanressourcen
«, zeigte sich befriedigt und überzeugt davon, dass »kein rassistischer
Krimineller dem ungarischen Gesetz entkommen kann«. Das wäre
zu hoffen, und übrigens kann niemand Balog oder seinen Regierungschef
Viktor Orbán für die Atmosphäre verantwortlich machen, in der die
grausamen Taten geschahen: Zur Tatzeit waren beide noch nicht im Amt.
Aber am letzten Verhandlungstag saßen im Gerichtssaal Zuhörer, die
T-Shirts mit der Aufschrift »Heroes« trugen. Leute, die feige Mörder als
Helden betrachten. Die Mehrheit in der Gesellschaft repräsentierten sie
gewiss nicht, doch auch die Mehrheit versteht es offenbar nicht, mit den
Roma zu leben. Stattdessen machen viele die oft kinderreichen Romafamilien für nahezu alle Probleme im Lande verantwortlich. Die Meinung, es handle sich um »Parasiten am Volkskörper«, ist so selten nicht. Erst zu Jahresbeginn schrieb ein enger Orbán-Freund, der Journalist Zsolt Bayer, dass ein »Großteil der Zigeuner nicht geeignet (ist), unter Menschen zu leben«, dass ihnen keine Menschenwürde zustehe, man müsse das »sofort und mit allen Mitteln lösen«. Wer wollte das nicht rassistisch nennen? Und kriminell? Bayer jedenfalls entkam dem ungarischen Gesetz.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. August 2013 Kommentar)
Kein Wasser für Roma
Ungarische Kommune stellt Versorgung für Siedlung ein. Kulturhauptstadt Europas, Kosice, errichtet landesweit 14. Mauer gegen Nachbarn
Von Arnold Schölzel **
Trotz extremer Hitze hat die Verwaltung der nordungarischen Stadt Ózd eine Roma-Siedlung von der Wasserversorgung abgeschnitten. Zur Begründung erklärte das Rathaus, die Roma würden Wasser »verschwenden«, das sei zu teuer für die Stadt. Ózd wird von Politikern der in Budapest regierenden rechtsnationalen Partei Fidesz, des Ministerpräsidenten Viktor Orbán verwaltet. Sie ist Mitglied der von CDU und CSU dominierten Europäischen Volkspartei (EVP). In der betroffenen Roma-Siedlung haben die Bewohner kein fließendes Wasser in den Wohnungen. Sie müssen sich deshalb an Hydranten auf der Straße versorgen. Doch gab es dort auf Anordnung der Stadt an diesem Wochenende teils gar kein Wasser, teils nur in sehr dünnem Strahl. In Ungarn stiegen die Temperaturen am Sonnabend und Sonntag auf 37 Grad im Schatten, die Hitzewelle soll weiter andauern.
Ungarns linke Oppositionsparteien protestierten gegen die Maßnahme. Sie sei nicht nur unmenschlich, sondern auch rechtswidrig und gefährlich für die Gesundheit im ganzen Ort, erklärte das vom früheren Premier Gordon Bajnai mitbegründete Oppositionsbündnis Együtt-PM (Gemeinsam–Dialog für Ungarn) am Montag. Együtt-PM verwies darauf, daß Ózd von der Schweizer Regierung 1,5 Milliarden Forint (etwa fünf Millionen Euro) geschenkt bekommen habe, speziell um die Wasserversorgung im Roma-Viertel einzurichten.
Der Vorfall wurde am Vorabend einer Gerichtsentscheidung zu einer Serie rassistischer Morde an Roma in Ungarn bekannt. Fünf Jahre nach deren Beginn wird am heutigen Dienstag in Budapest die Urteilsverkündung in erster Instanz erwartet. Bei den Anschlägen wurden sechs Roma getötet, darunter ein fünfjähriges Kind. Zehn weitere Opfer wurden schwer verletzt. Vor Gericht stehen drei Hauptangeklagte und ein Komplize. Bei ihren neun Anschlägen in den Jahren 2008 und 2009, also vor dem Wahlsieg von Fidesz und der neofaschistischen Jobbik-Partei im Frühjahr 2010, hatten sie laut Anklageschrift insgesamt 80 Gewehrschüsse abgegeben und Dutzende Brandsätze auf von Roma bewohnte Häuser geworfen. Das Urteil des Gerichts fällt eine Woche vor dem Ende der Frist, nach der die Angeklagten aus dem Gefängnis entlassen werden müssen, falls sie bis dahin nicht verurteilt werden. Die mutmaßlichen Täter sitzen seit 2009 in Untersuchungshaft.
Gleichzeitig häufen sich Berichte über Rassismus gegen die Roma-Minderheit in der Slowakei und in Tschechien. Die sozialdemokratische SMER-Regierung unter Ministerpräsident Robert Fico in Bratislava kündigte Ende der vergangenen Woche an, Roma-Siedlungen, die ohne Genehmigung errichtet wurden, zu schleifen. Laut der Wiener Tageszeitung Die Presse hat ein Stadtbezirk im ostslowakischen Kosice, neben Marseille europäische Kulturhauptstadt 2013, kürzlich eine 30 Meter lange und zwei Meter hohe Mauer errichten lassen, um »nicht anpassungsfähige« Roma abzugrenzen. Landesweit handele es sich um die 14. Mauer dieser Art.
In Tschechien organisiert eine unter dem Namen »Tschechische Löwen« auftretende neofaschistische Gruppe seit Wochen Märsche gegen Roma. Die Neonazis erhalten dabei zunehmend Beifall von der Mehrheitsgesellschaft. Am Sonnabend setzte die Staatsbahn Sonderzüge für Neonazis ein, die im nordmährischen Vitkov aufmarschierten. Dort war vor vier Jahren bei einem ähnlichen Aufzug ein damals zweijähriges Roma-Mädchen bei einem Brandanschlag schwer verletzt worden.
*** Aus: junge Welt, Dienstag, 6. August, 2013
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