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Stabile Demokratie

Orban versus "internationale Linke"

Von Werner Pirker *

Ungarns Premier Viktor Orban hat sich am Mittwoch vor dem Europa-Parlament gegen »Lügen und Verleumdungen« der »internationalen Linken« verteidigt. Damit meint er wohl einen gewissen Solidarisierungseffekt auf seiten der Konservativen erzielen zu können. Doch stellt die vom europäischen Mainstream als »rechtspopulistisch« bezeichnete Politik Orbans nicht nur für die »internationale Linke« ein Ärgernis dar. Sie gilt generell als mit den Prinzipien der Europäischen Union unvereinbar.

Konkret werden Ungarn Verstöße gegen EU-Recht vorgeworfen, weil die Unabhängigkeit der Zentralbank, der Justiz und der Datenschutzbehörde nicht mehr gewährleistet sei. Doch noch bevor der ungarische Premier in Strasbourg zum Rundumschlag gegen die internationale Linke ansetzte, hatte er auch schon zurückgesteckt. Man werde sich der Macht, aber nicht den Argumenten beugen, sagte er vorab in einem Interview. Es ist anzunehmen, daß die EU-Granden auf die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank, womit deren Abhängigkeit von der Europäischen Zentralbank gemeint ist, bestehen werden. Auch die Datenschutzbehörde betreffend wird Orban wohl einlenken. In seinem Bestreben, sich von juristischer Einflußnahme auf seine Politik weitgehend unabhängig zu machen, aber wird sich der ungarische Premier von der EU-Kommission kaum einbremsen lassen.

Es ist ja auch nicht der von der Fidesz-Regierung betriebene Demokratieabbau, der den Kommissaren in Brüssel so großen Kummer bereitet. Denn wenn es um die Durchsetzung des Primats der Ökonomie über die Politik geht, kennen auch sie keine demokratischen Sentimentalitäten. In Griechenland und Italien hat die EU bereits ihre Notstandsregime installiert. In den anderen Problemländern sind ähnliche Maßnahmen zu befürchten. Die ungarische Rechtsregierung wehrt sich präventiv gegen die Degradierung des Landes an Donau und Theiß zu einem EU-Protektorat.

Doch selbst wenn es den Orban-Leuten ernsthaft um die Wahrung der staatlichen Souveränität Ungarns gehen sollte, ist ihre Politik nicht minder demokratiefeindlich wie das »Durchregieren« der EU-Kommission. Der ungarische Regierungschef ist von der Idee der »stabilen Demokratie« besessen, worunter er die Langzeitherrschaft seiner Partei versteht. Das läuft auf eine tendenzielle Aufhebung des bürgerlichen Demokratismus, der auf der jederzeitigen Austauschbarkeit von Regierung und Opposition beruht, hinaus. Die bürgerliche Demokratie durchlebt eine Metamorphose zum Bonapartismus. Seinen ideologischen Fundus findet ein solches Regime im Nationalismus.

Die EU-Mitgliedschaft hat für die Mehrheit der Ungarn keine spürbaren Verbesserungen bewirkt. Orban und die Seinen versuchen, die »Europaskepsis« ihrer Landsleute für sich zu nutzen – zumal die neoliberal gewendete postkommunistische Vorgängerregierung einem enthusiastischen Europakult gehuldigt hatte.

* Aus: junge Welt, 19. Januar 2011


Präsident in Nöten

Ungarn: Plagiatsvorwürfe gegen Pál Schmitt

Von Zsuzsanna Horváth, Budapest **


Der ungarische Staatspräsident von Viktor Orbáns Gnaden, Pál Schmitt, ist in Bedrängnis. Die Zeitschrift »Heti Világgazdaság« (Weltwirtschaftswoche) hat Schmitts Doktorarbeit untersucht.

Pál Schmitt hatte 1992 an der damaligen Universität für Leibeserziehung in Budapest promoviert. Die Untersuchung seiner Doktorarbeit ergab: Etwa 180 der insgesamt 250 Seiten seiner »Analyse der Programme der Olympischen Spiele der Neuzeit« stimmen praktisch Wort für Wort, natürlich in ungarischer Übersetzung, mit einer Arbeit des mittlerweile verstorbenen bulgarischen Sportforschers Nikolai Georgiew überein. Dessen Studie aus dem Jahre 1987, die 1992 nur als maschinengeschriebenes Manuskript vorlag und erst Mitte der 90er Jahre veröffentlicht wurde, trägt praktisch denselben Titel wie Schmitts Dissertation von 1992.

Bei seiner Bestellung ins höchste Staatsamt warfen politische Gegner Dr. Schmitt, der unter anderem für seine Rechtschreibfehler berüchtigt ist, neben unverhohlenem Parteigängertum für die regierende Fidesz insbesondere mangelndes intellektuelles Format vor. Schmitt war von 1989 bis 2010 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Die beiden Wissenschaftler, einer davon Altertumshistoriker, die 1992 Schmitts Doktorarbeit mit dem Höchstprädikat bewerteten, waren Mitglieder des Ungarischen Olympischen Akademischen Rates, der durch das NOK ins Leben gerufen worden war. Insbesondere diese Tatsache dürfte den seinerzeitigen Regelungen des Doktoratsverfahrens widersprochen haben.

In einer ersten Stellungnahme vergangenen Freitag hatte die Semmelweis-Universität als Rechtsnachfolgerin der Universität für Leibeserziehung dagegen wissen lassen, dass beim damaligen Verfahren alles mit rechten Dingen zugegangen sei und man vorerst keinen Anlass für eine Überprüfung sehe. Aus Regierungskreisen wurde der Plagiatsvorwurf als »Zeitungsente« abgetan. Dr. Schmitt selbst schwieg erst einmal. Doch Anfang dieser Woche forderte der Vorsitzende der im Hochschulwesen mächtigen Ungarischen Akkreditierungskommission eine genaue Analyse der Doktorarbeit. Historiker verlangten in einer Petition eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe, da es sonst zu einer Entwertung der Doktorate an Ungarns Universitäten kommen könne. Danach erklärte die Semmelweis-Universität schließlich doch, dass sie eine Überprüfung einleiten werde.

Endlich äußerte sich am Mittwochmorgen (18. Jan.) auch der Präsident: Nach damaligem Recht sei es völlig korrekt und akzeptabel gewesen, die in der sogenannten »kleinen Dissertation« an den Universitäten – im Gegensatz zur »großen Dissertation « an der Akademie der Wissenschaften – verwendete Literatur nicht in einzelnen Fußnoten, sondern nur in der Literaturliste am Ende der Arbeit aufzuführen. Dies habe er getan. In der Liste der 21 verwendeten Quellen sei die Arbeit des Bulgaren, den er persönlich kannte, aufgeführt.

Ob die Semmelweis-Universität wohl zu dem Urteil gelangen wird, dass eine Doktorarbeit ohne Fuß- und Endnoten im Jahre 1992 auch dann akzeptabel war, wenn sie zu mehr als zwei Dritteln als Abschrift einer einzigen wissenschaftlichen Arbeit bezeichnet werden muss? So unglaublich es klingt: Auch das ist in Ungarn heute eine rein politische Frage.

** Aus: neues deutschland, 19. Januar 2011


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