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Neue Freiheit in Ungarns Parlament

Rechtsradikale Propaganda im Hohen Haus

Von Gábor Kerényi, Budapest *

Ungarns neu gewählte Nationalversammlung wurde Ende vergangener Woche vereidigt. Die Zeremonie lieferte einen Vorgeschmack auf kommende Ereignisse.

Es begann damit, dass die Fraktion des nun regierenden Bundes Junger Demokraten (FIDESZ) den offiziellen Bericht über die Parlamentswahlen nicht annahm. Damit blieben die neuen Herren ihrer populistischen Tradition treu und machten klar, dass alles, was die Vorgängerregierung unter Führung der Sozialisten (USP) in die Hand genommen hat, von vornherein falsch ist. Dass sie damit auch dem eigenen Wahlsieg, der ihnen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament beschert hat, die Bestätigung entzogen, fiel den neuen Herren offenbar nicht auf.

Dies blieb indes nicht die einzige Merkwürdigkeit. Der Chef der rechtsradikalen Partei Jobbik (Rechtere-Bessere) erschien in der Uniform seiner verbotenen Privatparteiarmee, der Ungarischen Garde, zur Parlamentseröffnung. Er hatte dies schon Wochen vorher angekündigt, und ebenso lange hatten die geistigen Eliten des Landes darüber diskutiert, was in diesem Fall zu tun sei. Viele ahnten, dass Gábor Vona mit dem Land und seinen Eliten machen werde, was er will. Und so geschah es auch. Beim Einzug ins Parlament trug Vona über der Weste mit den Symbolen der Garde ein Jackett, zum Eid auf die Verfassung zog er es aus. Die Botschaft des Jobbik-Führers, dessen Partei angeblich auf Recht und Gesetz drängt: Ihr könnt mich alle gern haben, Gesetze, Gerichtsurteile und alles, was ihr Rechtsstaat nennt, sind mir egal.

Außerdem leistete die Jobbik-Fraktion einen Extraeid vor der »Heiligen Ungarischen Krone«. Zuletzt tat das der von Hitler eingesetzte »Nationalführer« Ferenc Szálasi. Auch dies wurde im neuen Parlament nicht verhindert.

Staatspräsident László Sólyom lief zu gewohnt lächerlich-aristokratischer Form auf. Nachdem er mit Verspätung im Parlament angekommen war, hieß er die Abgeordneten aufzustehen, um die Nationalhymne zu singen. Auch dies eine Neuerung in den parlamentarischen Gebräuchen, und die kam nicht von ungefähr. In seiner Rede führte Sólyom aus, dass es sich bei der Parlamentseröffnung um den wichtigsten Tag der ungarischen Geschichte seit der Wende handle. Es gehe um nichts anderes als »die Wiederherstellung der Rechtsordnung im Lande«. Politische Neutralität war noch nie Sólyoms Stärke.

Kurz nach der Sitzung reagierte der Präsident mit einer Pressemitteilung auf die faschistische Weste Gábor Vonas. Indem der Abgeordnete den Eid im verbotenen Aufzug ablegte, habe er das Parlament verhöhnt. Vona verkörpere mit seiner Aktion die Lüge, was auf ihn selbst zurückfallen werde.

Die Krone setzte dem Wahnsinn der künftige Ministerpräsident Viktor Orbán auf. Er kündigte an, dem Hohen Haus eine Resolution zu unterbreiten, die die historische Tat des ungarischen Volkes - die Wahl des FIDESZ zur allein regierenden Partei mit Zweidrittelmehrheit - als endgültigen Sieg der Freiheit beschreibt. Ungarn habe, sagte Orbán wörtlich, nach 46 Jahren Besatzung und Diktatur und nach zwei wirren Jahrzehnten des Übergangs nun endlich sein Selbstbestimmungsrecht zurückerobert. Die Revolution, die 1956 begonnen habe, sei erfolgreich beendet. Und das neue Parlament eines gesellschaftlich und wirtschaftlich am Rande des Abgrunds stehenden Landes wird dem Willen seines neuen Führers folgen und diese Resolution als seine erste gesetzgeberische Tat beschließen.

Unterdessen hatten in den Reihen der USP einige Abgeordnete Sticker angesteckt, auf denen ein Hakenkreuz im Papierkorb verschwindet. Doch gab es Eigentümlichkeiten auch auf Seiten der geschrumpften Fraktion der Sozialdemokraten. Der Abgeordnete Csaba Horváth machte auf sich aufmerksam, indem er mit einer israelischen Flagge am Jackett ins Parlament kam. Er erklärte die Hinwendung zu diesem für Ort und Anlass ungewöhnlichen Schmuckstück damit, dass er gerade von den Feierlichkeiten zum 62. Jahrestags der Gründung Israels heimgekehrt sei. Auf die Frage, ob er den Anstecker nicht ablegen wolle, antwortete mit einem definitiven Nein.

Gegensätze geben dem Leben eben seine Würze. Zu dieser gehört fortan auch der Einzug rechtsradikaler Propaganda in die heiligen Hallen des Hohen Hauses.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010


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