Orban und die "vierte Macht"
Der "Freiheitskampf" der ungarischen Regierung für saubere Medien nach ihrem Geschmack kollidiert mit der EU-Ratspräsidentschaft
Von Gábor Kerényi, Budapest *
Der geschäftsführende belgische Ministerpräsident Yves Leterme hat am Donnerstag feierlich die
EU-Ratspräsidentschaft an seinen ungarischen Amtskollegen Orbán übergeben. Ungarn hatte den
Vorsitz in der Europäischen Union formell zu Jahresbeginn übernommen. Im Streit über das neue
ungarische Mediengesetz hat die Regierung des Landes ein mögliches Einlenken angedeutet. Als
Mitglied der Europäischen Union werde sein Land eine eventuelle Überprüfung des Gesetzes durch
Brüssel akzeptieren, sagte Orban am Donnerstag (6. Jan.).
Lange hat es so ausgesehen, als würde die EU-Führung sich selbst treu bleiben und unnötige
Störungseffekte gegenüber der beginnenden ungarischen Ratspräsidentschaft vermeiden, damit die
Geschäfte des vereinigten Teils des Kontinents nicht stillstehen. Der britische »Observer« hat noch
am 2. Januar in einem Artikel mit dem Titel »Wer will sich dem Hass in Ungarn entgegenstellen?«
berichtet, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán habe hinter den Kulissen mit den EUTechnokraten
eine Art Stillhalteabkommen ausgehandelt. Demnach wolle die EU nicht zu genau
nachsehen, wie es um die Demokratie in Ungarn bestellt sei und Orbán erlauben, während der
Ratspräsidentschaft den tollen Kerl zu spielen, solange dieser im Gegenzug in diesem Halbjahr
Brüssel in wirklich wichtigen Fragen nicht ins Handwerk pfusche.
Doch nun scheint es, als ob sich die ungarische EU-Ratspräsidentschaft doch etwas holpriger
gestalten könnte. Die sogenannte vierte Macht, nämlich die Presse in Ungarn wie im Ausland, lässt
einfach nicht locker. In Ungarn erschienen am ersten Arbeitstag des neuen Jahres wichtige
sozialdemokratische und liberale Tageszeitungen aus Protest mit weißen Titelseiten oder, so etwa
die linksliberale Tageszeitung »Népszabadság«, einzig mit dem Spruchband »In Ungarn wurde die
Pressefreiheit aufgehoben« in allen EU-Sprachen auf der Titelseite.
Auch international hagelt es von Seiten der Medien mittlerweile Kritik, und der Ruf nach einem
Eingreifen durch die EU wird hier – anders als in den genannten ungarischen Zeitungen – ganz
unverhohlen laut. All dies aber schien Orbán bislang wenig zu stören. Zumindest innenpolitisch kann
er auf jeden Fall damit rechnen, dass das Wasser der nationalistischen Verteidiger der ungarischen
Souveränität desto stärker auf seine politischen Mühlen strömt, je lauter von Seiten der politischen
Gegner der Ruf nach EU-Intervention erschallt.
Dies hängt mit drei politischen Faktoren zusammen. Erstens hat Ungarn als wirtschaftlich und
politisch schwächeres Land nicht erst zu EU-Zeiten, sondern während des ganzen 20. Jahrhunderts
die Erfahrung machen müssen, dass die Souveränität des Landes nur auf dem Papier besteht.
Zweitens rufen liberal-freiheitliche Kräfte tatsächlich immer wieder nach politischer und
wirtschaftlicher Intervention von außen, um ihre innenpolitische Schwäche auszugleichen. Und
drittens nutzen nationale und rechtsradikale Kräfte diese Probleme gekonnt dafür aus, ihre Angriffe
auf die liberal-freiheitlichen politischen Gegner im eigenen Land als Kampf um ein freies Ungarntum
zu verkaufen, das sich gegen eine internationale Verschwörung von Liberalen, Bolschewiken und
Juden wehren kann und muss. Genau diese Mischung steckt auch in den jüngsten Angriffen auf EU,
Konzerne und heimische Liberale und Linke in der regierungsnahen Presse (ND berichtete). Für
eine linke Kritik von grenzüberschreitenden ungleichen ökonomischen und politischen Beziehungen
bleibt in Ungarn unter diesen Bedingungen wenig Platz.
International die EU-Führung gerät in Sachen Mediengesetz mit alledem verstärkt unter Druck.
Während es der Ständige EU-Ratspräsident Herman van Rompuy einen Tag nach der
Verabschiedung des ungarischen Mediengesetzes nicht einmal der Mühe wert befand, die
Angelegenheit in Budapest auch nur anzusprechen, klang EU-Kommissionspräsident José Manuel
Durao Barroso zwei Tage vor seinem offiziellen Treffen mit Orbán anlässlich der offiziellen
Übernahme der Ratspräsidentschaft am heutigen Freitag (7. Jan.) schon etwas anders. Er bezeichnete die
Pressefreiheit als »heilig« und hat die »Zweifel« seiner Behörde an der Konformität des ungarischen
Gesetzes mit dem EU-Recht bekräftigt. Ein Vertragsverletzungsverfahren ist aber, wie es aussieht,
in weiter Ferne. Die EU verlangt erst einmal eine Übersetzung des Gesetzestextes, die die
ungarische Regierung prompt geliefert hat.
Dabei kam es aber zu einigen kleinen Schönheitsfehlern. Die amtlichen Übersetzer haben nämlich
wichtige Paragraphen ausgelassen, laut offizieller Begründung deswegen, weil diese Kürzungen das
Verständnis des Gesetzes nicht beeinflussen und deshalb zu einem späteren Zeitpunkt nachgeliefert
werden. Auf der Website des zuständigen Ministeriums kann sich der interessierte Leser in
englischer Sprache auch jetzt noch nur über Prinzipien der sogenannten neuen
»Medienverfassung« des Landes informieren, das Gesetz selber findet sich dort nicht.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2011
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