Im Würgegriff des IWF
Als "Gegenleistung" für Hilfsprogramme beschloß Ungarns Regierung eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer und Sonderabgaben auf Sozialleistungen
Von Tomasz Konicz *
Vor einigen Tagen verabschiedete das ungarische Parlament mit dem
Stimmen der Sozialdemokraten (MSZP) und der neoliberalen »Allianz der
Freien Demokraten« (SZDSZ) eine umfassende Steuerreform, die in zwei
Stufen ab 2009 und 2010 wirksam werden soll. Mit diesem Schritt sicherte
sich Ungarn die Auszahlung der nächsten Tranche des 20 Milliarden Euro
umfassenden Hilfskredits, den der Internationale Währungsfonds (IWF) in
Zusammenarbeit mit der EU und der Weltbank dem vom Staatsbankrott
bedrohten Land bereits im Oktober gewährt hatte. Seitdem sich Ungarn am
Gängelband des IWF befindet, muß die derzeitige Übergangsregierung unter
dem parteilosen Unternehmer und »Finanzexperten« Gordon Bajnai gleich
einem Junkie »Vorleistungen« in Gestalt neoliberaler Reformen erbringen,
um die nächste Finanzspritze injiziert zu bekommen. In dankenswerter
Offenheit plauderte das Wall Street Journal aus, daß »das neue
Steuersystem die Last auf die Konsumenten und weg von den Unternehmen«
verschieben werde. In neoliberaler Tradition steht eine massive Erhöhung
der Mehrwertsteuer von 20 auf 25 Prozent, die zum 1. Juli 2009 wirksam
wurde. Mit diesen Mehreinnahmen will das »Expertenkabinett« des Premiers
die bereits beschlossene Senkung des Unternehmeranteils an den
Lohnsteuern gegenfinanzieren. Der vom Kapital zu erbringende Anteil an
der Sozialversicherung der Lohnabhängigen sinkt von 32 Prozent auf 27
Prozent in jeder Einkommensklasse.
Den neuen Regelungen ist anzumerken, daß sie die vom Wall Street Journal
konstatierte steuerliche Entlastung des Kapitals zu kaschieren
versuchen, um so den Eindruck zu erwecken, daß alle Ungarn in der Krise
den Gürtel enger zu schnallen haben. So wird die Körperschaftsteuer von
16 auf 19 Prozent erhöht, doch zugleich fällt die vier Prozent
betragende »Solidaritätssteuer« weg, die Unternehmen zuvor zu entrichten
hatten. In dieselbe Kategorie populistischer Maßnahmen fallen die nun
beschlossene »Reichensteuer«, die auf »Luxusimmobilien« mit einem
Marktwert von mehr als 111000 Euro und Luxusprodukte fällig wird.
Schließlich sollen Einkünfte aus sogenannten Steuerparadiesen mit 30
Prozent besteuert werden.
Einen ähnlichen Populismus legen die Experten der Bajnai-Administration
auch bei der Umgestaltung der Einkommensteuer an den Tag. So fällt der
höhere Einkommensteuersatz von derzeit 36 Prozent auf 32 Prozent weitaus
stärker, als der niedrigere, der nur um einen Prozentpunkt auf 17
Prozent gesenkt wird. Zukünftig werden alle Ungarn, die weniger als fünf
Millionen Forint (18500 Euro) jährliche Einkünfte erzielen, den
niedrigeren Steuersatz zahlen, während die Grenze zuvor bei 1,9
Millionen Forint lag. Allerdings wird die Basis der Einkommenssteuer
»verbreitert«, wie die ungarische Nachrichtenagentur MIT es formulierte,
indem auch die Lohnsteuer der abhängig Beschäftigten künftig auf dieser
Grundlage berechnet wird. Eine weitere 25prozentige Steuer müssen
Ungarns Lohnabhängige künftig für weitere Vergünstigungen wie
Essensgutscheine oder Urlaubszuschüsse entrichten, die zuvor steuerfrei
waren.
In einem kurz nach der Verabschiedung der Steuerreform veröffentlichten
Report zeigte sich der IWF zufrieden mit »seiner« Regierung. Bereits vor
Monaten mußten Ungarns Pensionäre und die Angestellten des öffentlichen
Dienstes umfassende Einkommenseinbußen hinnehmen. Die Realisierung der
makroökonomischen und finanziellen Maßnahmen in Ungarn verlaufe nach
Plan, und man sei bereit, die Finanzierung notfalls zu verlängern und
auszubauen, hieß es in dem IWF-Schreiben. Auch die europäische
Kommission zeigte sich nun generös und räumte Ungarn zwei weitere Jahre
ein, um das Haushaltsdefizit unter die im Euro-Stabilitätspakt
anvisierten drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken.
Dennoch konstatiert der Währungsfonds, daß sich die ökonomischen
Aussichten für Ungarn aufgrund »der Verschlechterung des globalen
Umfeldes« weiter verdüstert haben. Der Fall des Bruttoinlandsprodukts
und der Steuereinnahmen könne stärker ausfallen als ursprünglich
prognostiziert. Es gebe sogar die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen
aufgrund »politischer Instabilität«, erklärten die Politikberater des IWF.
Bisher gingen die Wirtschaftsprognosen der Regierung davon aus, daß das
BIP in 2009 um 6,7 Prozent sinken und die Arbeitslosenquote auf zehn
Prozent steigen wird. Zwischen März und Mai dieses Jahres lag die Quote
bei 9,8 Prozent. Das Haushaltsdefizit Ungarns wird in diesem Jahr
voraussichtlich 3,9 Prozent des BIP betragen. Eine leichte Entwarnung
konnte das Land hingegen von der Währungsfront erfahren. Nachdem Ungarns
Währung immer mehr an Wert verlor und zeitweise bei einem Kurs von 300
Forint zu einem Euro verharrte, ist dieser jetzt auf ca. 270 Forint zu
eins gestiegen. Dies ist eine guten Nachricht für all die Ungarn, die
während der Boomjahre Kredite in Fremdwährungen aufgenommen haben – ein
steigender Forint läßt ihre Schuldenlast sinken.
Um Ungarns Staatsfinanzen ist es hingegen schlecht bestellt. Trotz all
der Sparorgien der derzeitigen Regierung stieg aufgrund der
Schuldenaufnahme beim IWF die Staatsverschuldung auf nahezu 83 Prozent
des BIP. Die mittlerweile bereits abgerufenen 14 Milliarden Euro aus den
Hilfsprogrammen sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
* Aus: junge Welt, 6. Juli 2009
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