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Kahlschlag in Ungarn

Nach Pressefreiheit und Sozialstaat will Ministerpräsident Orban nun auch Rechte der Verfassungsrichter beschneiden

Von Holger Elias *

Im Moment scheint es so, als könne die schwache Opposition in Ungarn dem Rechtsruck der konservativen FIDESZ-Regierung nichts entgegensetzen, und Ministerpräsident Viktor Orban nutzt deren Zersplitterung gnadenlos aus. Nach dem Machtwechsel im Mai 2010 kontrolliert die Regierungspartei nicht nur die Massen­medien des Landes, sondern hat auch weite Teile des Kulturbetriebes gleichgeschaltet. Inzwischen zeigt dieser Umbau die ersten katastrophalen Folgen im sozialen Bereich: Schätzungsweise drei der rund neun Millionen Ungarn leben an der Schwelle zur Armut oder sind schon direkt davon betroffen.

Zwar liegt die offizielle Arbeitslosenrate in Ungarn bei derzeit 11,2 Prozent, doch sind diese Zahlen Makulatur. Ähnlich wie in Deutschland verschwinden jene Menschen aus der offiziellen Statistik, weil die massenhaft in kommunale Beschäftigungsprogramme umgebuchten Betroffenen in den Tabellen als Bedienstete des öffentlichen Dienstes geführt werden oder durch andere kosmetische Operationen aus den Zahlenwerken verschwinden. Der ehemalige sozialdemokratische Sozialminister Péter Kiss hat deshalb gefordert, die Regierung müsse den »Krieg gegen die Armen« beenden und aufhören, Sozialhilfeempfänger zu Zwangsarbeit zu verpflichten und Obdachlose mit Knast zu bedrohen.

Viktor Orban hatte bei den Parlamentswahlen im April 2010 mit 52,7 Prozent einen klaren Wahlsieg errungen und die bisher regierende sozialdemokratische MSZP, die nur noch auf 19,3 Prozent kam, abgelöst. Zum rechten Erdrutsch hatte seinerzeit die nationalistische Organisation Jobbik (Die Besseren) beigetragen, die bereits im Vorfeld der Wahlen mit aggressiven Parolen gegen die Minderheit der Roma aufgefallen war. Gerade diese nationalistische Stimmung, die in weiten Teilen der Gesellschaft Lethargie und Verunsicherung auslöste, konnte Orban für seine Zwecke instrumentalisieren. So schränkte der 50jährige in einem Handstreich die Pressefreiheit ein. Das neue Mediengesetz räumt der regierenden Partei die Möglichkeit ein, Strafen gegen unliebsame Journalisten und Presseorgane zu verhängen, wenn diese nicht »politisch ausgewogen« berichten. Die zaghaften Versuche, gegen diese Willkür zu protestieren, bügelte Orban gleichgültig ab: »Ich bin nicht geneigt, mit zitternden Knien auf Parlamentsdebatten oder westliches Echo zu reagieren.« Die vier ungarischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, sieben Radioprogramme und die Nachrichtenagentur Magyar Távirati Iroda wurden gleichgeschaltet und gefügig gemacht.

Auch in der Kultur ist Orbans Handschrift unverkennbar: Der Vertrag des fortschrittlichen und erfolgreiche Theatermacher Robert Alföldi als Intendant des ungarischen Nationaltheaters wurde nicht verlängert. Statt dessen darf ab Juli Orbans erklärter Favorit, der aus der Ukraine stammende, streng konservative Regisseur Attila Vidnyanszky, die Geschicke des einflußreichen Hauses lenken.

Den nächsten Angriff auf die ungarische Zivilgesellschaft hat Viktor Orban bereits begonnen. Er will nun die Kompetenzen des Verfassungsgerichts grundsätzlich beschneiden. Am Dienstag fand im Parlament die erste Lesung einer entsprechenden Novelle statt. Sollte die FIDESZ das Papier mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit durchwinken, wäre es dem höchsten ungarischen Gericht künftig nicht mehr möglich, menschenrechtswidrige Gesetze aufzuheben. So hatten die Richter Bestimmungen der vor einem Jahr beschlossenen Verfassung außer Kraft gesetzt, die es Obdachlosen verboten, auf der Straße zu leben, sowie eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zum Schutze der »Würde der ungarischen Nation sowie von nationalen (…) und konfessionellen Gemeinschaften« zuließen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 13. Februar 2013


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