Wahl im Osten
Machtkampf im Schatten. Abstimmung zu den Parlamenten in den ukrainischen Volksrepubliken
Von Reinhard Lauterbach *
In den Aufstandsgebieten im ostukrainischen Donbass haben am Sonntag die angekündigten Wahlen der Parlamente der Volksrepubliken Donbass und Lugansk stattgefunden. Die Abstimmung verlief unter erschwerten Umständen: Die Zahl der Wahlberechtigten war wegen der zahlreichen Flüchtlinge unbekannt, zumal die Regierung in Kiew den Behörden der Aufstandsgebiete den Zugang zu den offiziellen Wählerlisten gesperrt hatte. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor war die Tatsache, dass bereits vor der Wahl online abgestimmt werden konnte; von dieser Möglichkeit haben nach örtlichen Presseberichten rund 50.000 Bürger Gebrauch gemacht. Die Links zur Onlineabstimmung auf den Seiten der regionalen Wahlleitungen waren am Sonntag nicht mehr aktiv. Vor den Wahllokalen bildeten sich schon am Morgen lange Schlangen.
Paradoxerweise dürfte eines die Ergebnisse vor dem Vorwurf der Wahlfälschung schützen: dass die Regierung in Kiew, die EU-Staaten und die USA bereits vorab angekündigt haben, sie nicht anzuerkennen. Die Abstimmung als gefälscht zu kritisieren, bedeutete aber ihre implizite Anerkennung. Kiew hat statt dessen Strafverfahren gegen alle »Mitwirkenden« der »illegalen Wahlen« wegen »Unterstützung des Terrorismus« angekündigt. Ob sich diese Repressionsdrohung auch auf die Wählerinnen und Wähler erstreckt, ließ die ukrainische Regierung vermutlich bewusst offen, um Angst zu säen. Zumindest dies scheint ihr angesichts der hohen Wahlbeteiligung nicht gelungen zu sein. Rußland hat angekündigt, die Donbass-Wahlen anzuerkennen.
Etwa 80 ausländische Beobachter waren in die Region gekommen; unter den Beobachtern aus Westeuropa fielen mehrere exponierte Rechte auf, so der deutsche Journalist Manuel Ochsenreiter, früherer Ressortchef der Jungen Freiheit, und der französische Europaabgeordnete Jean-Luc Schaffhauser vom Front National. Während Ochsenreiter gegenüber örtlichen Medien die hohe Wahlbeteiligung als Zeichen für den authentischen Willen der Bevölkerung interpretierte, mit ihrer Stimmabgabe die Volksrepubliken zu legitimieren, rief Schaffhauser in einem Interview mit dem russischen Sender Russia Today die Politiker in Kiew, Donezk und Lugansk auf, sich auf eine Föderalisierung der Ukraine, also einen wie auch immer geregelten Verbleib der Volksrepubliken im ukrainischen Staatsverband, zu einigen.
Ob der Franzose mit diesem Statement in der Führungsetage der Volksrepubliken Gehör findet, ist allerdings zweifelhaft. Die Rhetorik – und vermutlich auch die Stimmung in der seit Monaten unter ukrainischem Beschuss liegenden Bevölkerung – läuft eher auf eine Vertiefung des Willens zur Abspaltung der Region von der Ukraine hinaus. Dazu dürfte auch ein Ereignis beitragen, das am Vorabend der Wahl bekanntgeworden war: der legendäre Kommandeur der Volksmilizen in der Stadt Gorlowka, Igor Besler, ist nach Mitteilung seines Sekretariats »in die Reserve versetzt« worden und soll auf der Krim »Urlaub machen«. Besler war nach den spärlichen glaubwürdigen Informationen über sein Wirken in der 300.000-Einwohner-Stadt Gorlowka nördlich von Donezk ein Exponent der plebejisch-antioligarchischen Strömung des Aufstands. Seine Entmachtung wäre in dieser Logik ein Schlag gegen diese basisorientierte Richtung. Den Todeskuss könnte Besler auch eine Äußerung des ehemaligen kiewtreuen Gouverneurs des Bezirks Donezk, des Oligarchen Sergej Taruta, in einem Interview kurz nach den ukrainischen Parlamentswahlen gegeben haben. Taruta, der seinerseits vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko wegen seiner Kritik an dem Kiewer Umgang mit dem Donbass und wegen zu großer Kompromissbereitschaft gegenüber den Aufständischen geschasst und durch einen General ersetzt worden war, hatte darin Besler als den einzigen Führer des Aufstands bezeichnet, mit dem man »reden könne«. Der jetzt Entlassene sei am realen Wiederaufbau der Region »auf der Grundlage der ukrainischen Gesetzgebung« interessiert, hatte Taruta seine Komplimente fortgesetzt, die offenbar insofern vergiftet waren, als sie den Hardlinern auf der Gegenseite einen Vorwand zur Entmachtung Beslers lieferten.
Mit Ergebnissen der Wahlen im Donbass ist frühestens am Montag zu rechnen. Es dürfte aber – schon wegen fehlender politischer Alternative – auf eine Bestätigung der gegenwärtigen Regierungsmannschaften unter Alexander Sachartschenko in Donezk und Igor Plotnitzkij in Lugansk hinauslaufen. Die Kommunistische Partei hatte sich zwar eigens als »KP der Volksrepublik Donezk« bzw. Lugansk neu gegründet, war aber trotzdem nicht zu den Wahlen zugelassen worden.
* Aus: junge Welt, Montag, 3. November 2014
Wahlen im Donbass: Klare Ergebnisse
Regierungschefs der Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzen sich bei Wahlen klar durch **
Nach den gestrigen Wahlen in den beiden international nicht anerkannten »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk sollen am heutigen Montag die offiziellen Endergebnisse bekanntgegeben werden. Schon zuvor hatte sich abgezeichnet, dass die bisherigen Republikchefs (Ministerpräsidenten) der beiden Gebiete mit großen Mehrheiten in ihren Ämtern bestätigt wurden. Bereits für Dienstag ist die Amtseinführung der neugewählten Ministerpräsidenten vorgesehen.
Wie die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf die jeweiligen Wahlkommissionen mitteilte, gewann in Lugansk Igor Plotnizki mit seiner Bewegung »Frieden für die Lugansker Region« die absolute Mehrheit. Nach Auszählung von knapp 28 Prozent der Stimmen lag der Amtsinhaber mit 63,17 Prozent klar vor seinem stärksten Rivalen Oleg Achimow von der Gewerkschaftsföderation, der auf 15,95 Prozent kam. Es folgten der Geschäftsmann Viktor Penner mit 10,9 Prozent und die Gesundheitsministerin der Lugansker Volksrepublik, Larisa Airaptjan, mit 8,36 Prozent. Im Parlament verfügt Plotnitzkis Bewegung demnach mit 69,18 Prozent ebenfalls über eine komfortable Mehrheit. Stärkste Oppositionskraft ist die »Lugansker Wirtschaftsunion« mit 24,07 Prozent, gefolgt von der Volksunion mit 4,96 Prozent.
Auch in Donezk setzte sich der bisherige Regierungschef durch. Alexander Sachartschenko erreichte Nachwahlbefragungen zufolge 81,37 Prozent der Stimmen. Seine Gegenkandidaten Juri Siwokonenko und Alexander Kofman kamen auf neun und 9,73 Prozent. Bei den Parlamentswahlen wurde die Bewegung »Donezker Republik« mit 65,11 Prozent klar stärkste Kraft. Ihre einzige Konkurrenz, die Bewegung »Freier Donbass«, kam auf 34,8 Prozent der Stimmen. Andere Listen traten nicht an; der neugegründeten Kommunistischen Partei der Donezker Volksrepublik war die Kandidatur verweigert worden.
Während Kiew, die EU und die USA die Abstimmungen als »illegal« bezeichneten und für ungültig erklärten, bekräftigte das Außenministerium in Moskau, dass es den Willen der Wähler in der Ostukraine achte. Die Abstimmung sei bei hoher Wahlbeteiligung im Großen und Ganzen gut organisiert gewesen. Auch führende russische Politiker erklärten die Wahlen für gültig. Die Abstimmungen seien nach internationalen Standards abgelaufen, sagte der prominente russische Außenpolitiker Leonid Sluzki am Sonntag. Russland forderte die Führungen der beiden »Volksrepubliken« auf, mit der ukrainischen Regierung in Dialog zu treten. Nur so könne die Krise in der Ukraine gelöst werden.
** Aus: junge Welt, Montag, 3. November 2014
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Informationen zum Buch (Inhalt und Einführung)
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