Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zweifelhafter Trumpf

Regierung in Kiew ist jetzt bereit, die ukrainischen Gaspipelines teilweise zu privatisieren. Doch die Frage ist: Wer braucht sie noch?

Von Reinhard Lauterbach *

Vor einigen Tagen verkündete die ukrainische Regierung etwas bisher Undenkbares: Sie erklärte ihre Bereitschaft, bis zu 49 Prozent ihres Gasleitungssystems an private Interessenten abzugeben. Potentielle Privatisierungspartner müssen allerdings aus den USA oder der EU kommen; russische Firmen sind a priori ausgeschlossen, und ein ausgeklügeltes Kontrollsystem soll dafür sorgen, daß sie auch über irgendwelche Briefkastenfirmen nicht zum Zuge kommen. Was die Welthandelsorganisation (WTO), der die Ukraine wie auch Rußland angehören, dazu sagt, könnte noch eine interessante Frage werden. 51 Prozent sollen in Staatshand verbleiben.

Die Ukraine bleibt schon seit sowjetischen Zeiten das größte Gaspipelinesystem Europas. Insgesamt 38600 Kilometer Rohre sind zwischen 1970 und 1990 verlegt worden, davon etwa 22500 Kilometer für den Export in die westlich und südlich angrenzenden ehemaligen Bruderstaaten. Seit der staatlichen Unabhängigkeit 1991 gelten die Erdgasleitungen als eine Art nationales Tafelsilber. Alle Regierungen, egal welcher Couleur, haben eine Privatisierung bisher abgelehnt. Das ist verständlich: solange das Gas fließt, strömen auch die Steuern des staatlichen Pipelinebetreibers Naftohaz Ukrainy in den Haushalt; im übrigen ließ sich die Ukraine die Transitgebühren für russisches Gas traditionell in natura bezahlen und deckte so unter dem Strich einen Teil des Brennstoffbedarfs gratis ab, mit ihrer staatlichen Souveränität als einzigem Rechtstitel. Das Leitungssystem in Kiewer Hand stellte überdies ein Druckmittel gegen russische Preisforderungen dar, denn für Kiew bestand die – in der Praxis auch immer wieder genutzte – Möglichkeit, aus dem laufenden Transitgas für Westeuropa für sich etwas abzuzweigen. Zumal vor dem Winter aus technischen Gründen die in der Ukraine liegenden Gasspeicher aufgefüllt werden müssen, so daß Rußland de facto jährlich 30 Milliarden Kubikmeter als Vorschuß auf den Transit an Kiew liefert. Das ist immerhin der halbe ukrainische Jahresverbrauch.

Doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Als die Ukraine unabhängig wurde, lief noch der gesamte russische Gasexport über die südwestliche Unionsrepublik. Mit der Inbetriebnahme der Jamal-Pipeline 1999 ging der Anteil am russischen Gastransit auf 80 Prozent zurück. Als 2011 auch die Ostseepipeline North Stream ihren Betrieb aufnahm, reduzierte sich die relative Bedeutung der Ukraine als Transitland für russisches Gas weiter auf 60 Prozent. Schon vor dem Machtwechsel in Kiew war das ukrainische Leitungsnetz nur noch zur Hälfte ausgelastet, und die geplante Schwarzmeerpipeline South Stream nach Österreich, Griechenland und Italien würde die Ukraine als Gastransitland völlig überflüssig machen. Allerdings ruht deren Bau im Augenblick, weil die EU-Kommission Bulgarien erpreßt hat: Entweder ein Baustopp von South Stream, oder es würden sämtliche Strukturhilfen an das ärmste Mitgliedsland gestrichen. Das brachte die Führung des von diesen Hilfen abhängigen Landes gegen seinen eigentlichen Willen zur Räson. Begründet wurde das Verbot von South Stream damit, daß das »Dritte Energiepaket« der EU nicht erlaube, daß Gasproduzenten auch die Leitungen kontrollierten. Klar ist der politische Wille hinter dem Dogma: Brüssel will die Ukraine im Tansitgeschäft halten. Denn bei fortschreitender Verschlechterung des ukrainisch-russischen Verhältnisses droht die Energieversorgung des neuen Klientelstaats sonst vollends auf Brüssels Kosten zu gehen. So ist zu erklären, daß der von der Ukraine als Vermittler angerufene frühere EU-Energiekommissar Günther Oettinger in einem Punkt sehr deutlich geworden ist: Die Ukraine habe gefälligst ihre Gasrechnung zu bezahlen – auch wenn Brüssel sie vorschießt, wie es faktisch der Fall sein wird.

Gleichzeitig ist die Kommission freilich dabei, mit der eigenen Politik zur Diversifizierung der Energieexporte die Bedeutung der Ukraine als Transitland zu relativieren. Denn norwegisches Erd- oder katarisches Flüssiggas wird mit Sicherheit nicht durch ukrainische Leitungen in die EU fließen. Für die Kiewer Privatisierungsbereitschaft bedeutet das, daß sich die vermeintliche Trumpfkarte zusehends in eine Lusche verwandelt. Wer wird ein Leitungsnetz kaufen, das schon jetzt nicht mehr ausgelastet ist und außerdem Investitionen von umgerechnet mindestens vier Milliarden US-Dollar erfordert? Diese Zahl ist dabei die optimistischste der kursierenden Schätzungen. Nach Medienberichten soll der US-Konzern Chevron interessiert sein, der in der Ukraine eine Konzession auf Schiefergasbohrungen bekommen hat. Doch ob es dieses Gas tatsächlich gibt und ob die Ukraine sich in diesem Falle seinen Export erlauben könnte, ist eine offene Frage. Ebenso wie die, wie diese Lösung, Chevron sein eigenes Gas durch eigene Leitungen exportieren zu lassen, mit dem »Dritten Energiepaket« zu vereinbaren wäre.

* Aus: junge Welt, Dienstag 23. September 2014

Das Buch zum Thema:

"Ein Spiel mit dem Feuer"
Im Papyrossa-Verlag ist Ende August 2014 ein Ukraine-Buch erschienen
Mit Beiträgen von Erhard Crome, Daniela Dahn, Kai Ehlers, Willi Gerns, Ulli Gellermann, Lühr Henken, Arno Klönne, Jörg Kronauer, Reinhard Lauterbach, Norman Paech, Ulrich Schneider, Eckart Spoo, Peter Strutynski, Jürgen Wagner, Susann Witt-Stahl
Informationen zum Buch (Inhalt und Einführung)




Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Erdöl- und Erdgas-Seite

Zur Erdöl- und Erdgas-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage