Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schlecht fürs Geschäft

Die politischen Spannungen mit Rußland sind dazu angetan, der deutschen Wirtschaft die Bilanzen zu vermiesen. In Kapitalkreisen regt sich Widerpruch

Von Jörg Kronauer *

Der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft hat sich Verstärkung geholt. Schon seit Wochen beklagt sein Vorsitzender Eckhard Cordes, Exchef des Handelskonzerns Metro, den unerbittlichen Machtkampf des Westens mit Rußland um die Ukraine und fordert eine einvernehmliche Lösung. Immerhin hat Steinmeiers Auswärtiges Amt sich intensiv um die Etablierung einer internationalen Kontaktgruppe zur Beilegung der Krim-Krise bemüht, wie die Wirtschaft es verlangt, um die Wogen ein wenig zu glätten. Erfolg war dem Plan jedoch nicht vergönnt: Die Anhänger konfrontativer Politik haben weiterhin Oberwasser; Entspannung ist nicht in Sicht. Und so hat sich der Ost-Ausschuß in der vergangenen Woche mit dem Deutsch-Russischen Forum, dem Deutsch-Ukrainischen Forum und dem Petersburger Dialog zusammengetan und in einer Gemeinsamen Erklärung bekundet, man beobachte »die derzeitige Krisensituation in der Ukraine mit der Folge von gefährlichen Spannungen (...) mit größter Sorge«. »Das Gebot der Stunde« für die Beteiligten sei die »Deeskalation auf allen Seiten« – und zwar so rasch wie möglich.

Aus Sicht der expandierenden deutschen Industrie birgt die Eskalation der Krise hochgefährliche Risiken – zunächst in der Ukraine selbst. Zwar ist der Handel mit dem Land vergleichsweise recht begrenzt und im vergangenen Jahr von einem Volumen von 7,18 Milliarden Euro (2012) auf 6,95 Milliarden Euro gesunken; das ist weniger als der Umfang des deutschen Handels mit Slowenien. Doch weist der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, Rainer Lindner, darauf hin, es gebe »rund 500 deutsche Unternehmen im Land, die sich natürlich um ihre Zukunft Sorgen machen«. Schon Anfang März hatte Lindner sich mit Attacken offenkundig kriminell-nationalistischer Kreise auf deutsche Firmen in der Westukraine beschäftigen müssen; da hatte etwa ein »völkisches Selbstverteidigungskomitee« in der Provinz Winnycja versucht, sich eine in deutschem Besitz befindliche Firma mit einem handstreichartigen Überfall unter den Nagel zu reißen. »Die Verunsicherung« unter deutschen Unternehmern sei seither »enorm gestiegen«, berichtete Lindner kürzlich – und warnte, es könne »zu einer Art von ausgreifenden Protestszenarien in den östlichen Provinzen kommen«, bei denen »viele große Städte wie Charkow, Donezk oder Odessa womöglich in die Hände von prorussischen Aktivisten fallen werden«. Unter solchen Umständen wären »womöglich auch Werte gefährdet«; dann müsse man »schnell handeln«. Das alles sei natürlich schlecht fürs Geschäft.

Als eigentliches Problem gilt dem Ost-Ausschuß jedoch die Verschlechterung der Beziehungen zu Rußland. Immer wieder ist von Deutschlands Abhängigkeit von russischen Rohstoffen die Rede; schließlich bezieht die Bundesrepublik ein gutes Drittel ihrer Erdölimporte und sogar rund 40 Prozent ihrer Erdgaseinfuhr aus dem Land. Ein langanhaltender Lieferstopp droht wohl kaum; schließlich finanziert Moskau rund die Hälfte seines Staatshaushalts aus dem Verkauf von Rohstoffen, der fast 80 Prozent seiner gesamten Ausfuhren ausmacht. Kostspielige Investitionen wie die Nord-Stream-Pipeline (»Ostsee-Pipeline«) wird auch Putin nicht brachliegen lassen wollen. Allerdings kann sich natürlich, wie Wirtschaftskreise fürchten, der Erdgaspreis früher oder später empfindlich erhöhen.

Gravierend ist vor allem, daß die deutsche Ausfuhr nach Rußland unter den politischen Spannungen leiden könnte. Seit die Exportmacht Deutschland die südlichen EU-Staaten in die Krise konkurriert hat und ihre südeuropäischen Käufer wegbrechen, sucht sie verzweifelt nach neuen Absatzmärkten. Als eine lukrative Option galt stets Rußland, der laut Handelsblatt fünftgrößte Verbrauchermarkt weltweit, der für einige deutsche Branchen ohnehin hohe Bedeutung besitzt; für den Maschinenbau etwa ist Rußland der viertwichtigste Abnehmer überhaupt. Allerdings ist die Lage auch ohne die aktuellen politischen Probleme bereits angespannt: Die russische Wirtschaft schwächelt, der Rubel fällt und verteuert den Kauf deutscher Produkte; tatsächlich schrumpfte der deutsche Rußland-Handel im vergangenen Jahr bereits. Weitere Belastungen sind überhaupt nicht im Interesse deutscher Firmen.

Ernsthafte Sanktionen gegen Rußland gelten dem Ost-Ausschuß als vollends verhängnisvoll. Das liegt nicht nur daran, daß Moskau mit den Muskeln spielt und droht, russische Firmen könnten die Rückzahlung ihrer Schulden einstellen. Es geht dabei um riesige Summen: Die russischen Außenstände werden in Wirtschaftsmedien auf mehr als 650 Milliarden US-Dollar beziffert; werden sie nicht beglichen, wäre das zweifellos ein schwerer Schlag auch für Gläubiger aus Deutschland. Vielleicht noch schwerer wiegen jedoch die langfristigen Folgen. Zum einen ist die Bundesrepublik erheblich stärker auf ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland angewiesen als die USA, deren Ausfuhr nach Rußland nicht einmal die Hälfte der deutschen beträgt. Sanktionen würden die deutsche Industrie also erheblich schwerer treffen als ihre amerikanische Konkurrenz. Zum zweiten ließe es sich nicht ausschließen, daß etwas geschähe, was sich in den vergangenen 15 Jahren in diversen vom Westen mit Sanktionen belegten Staaten ergeben hat: daß nämlich China in die Bresche springt und den Handel übernimmt. Würden Sanktionen verhängt, dann könnten »die aus Deutschland importierten Waren« ganz einfach »durch Waren aus China ersetzt werden«, warnt der Vorsitzende der deutschen Außenhandelskammer in Rußland, Michael Harms. Moskau hat bisher eine allzu enge Bindung an Beijing vermieden, weil es dessen ungebrochen wachsende ökonomische Stärke fürchtet. Unter dem Druck wirtschaftlicher Zwangsmittel bliebe ihm aber womöglich keine andere Wahl, als seine Kooperation mit der Volksrepublik weiter zu intensivieren – zu Lasten der deutschen Industrie.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. März 2014


Nur gemeinsam

Deutsche Wirtschaft: Kein »Entweder-Oder« für die Ukraine

Von Jörg Kronauer **


Eckhard Cordes hat die Probleme vorausgesehen. Schon kurz nach dem Beginn der Unruhen in der Ukraine ging er Ende 2013 mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Kooperation zwischen der EU und Rußlands »eurasischen« Bündnisstrukturen – der Zollunion Rußlands mit Belarus und Kasachstan etwa – zu verbessern. Das habe er intern bereits vor über zwei Jahren dem damaligen russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin vorgeschlagen, als er im Namen des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft in Moskau mit ihm verhandelt habe, berichtete er. Im Gespräch mit Putin habe er damals empfohlen, »eine Spaltung Europas in zwei Wirtschaftsblöcke mit unterschiedlichen Standards« unbedingt zu vermeiden: Nur gemeinsam »können wir uns als Europäer im globalen Wettbewerb behaupten«. Den Gedanken habe er seither weiterverfolgt.

Cordes hat seine Forderung, eine ökonomische oder eine sogar darüber hinausgehende neue Blockbildung in Osteuropa unbedingt zu verhindern, seither fast gebetsmühlenartig wiederholt. Es dürfe für die Ukraine »kein Entweder-Oder« geben, erklärte er etwa am 18. Februar beim Empfang des Ost-Ausschusses zum Jahresauftakt im noblen Allianz-Forum am Pariser Platz in Berlin. »Ich könnte mir beispielsweise eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Experten aus Wirtschaft, Politik und Think-Tanks vorstellen«, sagte Cordes, während auf dem Maidan die Proteste gewalttätig eskalierten: Die »Arbeitsgruppe« könne »Wege zur wirtschaftlichen Harmonisierung von EU-Binnenmarkt und Zollunion erörtern«. Der frühere Metro-Chef begründete auch, wieso er das für dringend nötig hält. »In die Gesamtregion Osteuropa zwischen Zagreb im Westen und Wladiwostok im Osten exportiert Deutschland heute dreimal mehr als in die USA oder China«, erläuterte er: »Unsere Wachstumsmärkte liegen in Europa direkt vor unserer Haustür.« Nur wenn man die »Wirtschaftshürden in Europa« beseitige, werde »Europa im weltweiten Wettbewerb mithalten können«.

Langfristig schlagen Cordes und der Ost-Ausschuß schon seit geraumer Zeit den Aufbau eines »Gemeinsamen Wirtschaftsraumes« aus EU und »eurasischer« Zollunion vor. »Rußland muß Teil einer Europäischen Freihandelszone werden«, forderte Cordes am 18. Februar vor mehr als 250 Gästen, darunter auch Bundestagsabgeordnete sowie Mitglieder der Bundesregierung. Es freue ihn »sehr, daß der Koordinator der Bundesregierung für die Region, Gernot Erler, unseren Vorschlag einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung dieses Gemeinsamen Wirtschaftsraums unterstützt«, schrieb er drei Tage später in einem Gastkommentar im Handelsblatt. »Freihandelszone« bedeutet freilich – wie überall – nicht nur die vollständige Öffnung fremder Märkte für die dominante deutsche Industrie, sondern auch die Durchsetzung von neoliberalen Regelwerken und von Austerität – von Lissabon bis Wladiwostok.

** Aus: junge Welt, Freitag, 14. März 2014

Lesen Sie auch:

"Wirtschaftssanktionen wegen des Krim-Konflikts könnten Konjunktur nachhaltig beschädigen"
Dokumentiert: Zwei Erklärungen des Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (10. März 2014)




Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Deutschland-Seite

Zur Deutschland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage