Kleineres Übel
Ingar Soltys Buch über die Präsidentschaft Barack Obamas
Von Gerd Bedszent *
Am 4. November 2008 setzte sich der Afroamerikaner Barack Obama als Spitzenkandidat der Demokratischen Partei gegen seinen republikanischen Gegenspieler klar durch. Die Bush-Ära endete, und die meisten Beobachter der deutschen Linken waren sich einig, dieser Wahlsieg könnte den Niedergang der Supermacht USA um mehrere Jahre verzögern – mehr nicht. Ingar Solty, Politikwissenschaftler und ausgewiesener USA-Spezialist, nahm den erneuten Wahlsieg Obamas gegen seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney vom 9. November 2012 zum Anlaß für eine kritische Bilanz der Präsidentschaft. Dem ist sein Sammelband »Die USA unter Obama. Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise« gewidmet. Er enthält Beiträge Soltys über die innen- und außenpolitische Situation der Vereinigten Staaten aus den vergangenen Jahren.
Das Fazit des Autors lautet: Obama ist weitgehend gescheitert. Sein Versprechen eines neuen »New Deal«, einer Transformation des kriselnden, neoliberalen Kapitalismus in einen stabileren »grünen« Kapitalismus, erwies sich als nicht einlösbar. Die Krise hält an. Einige der schlimmsten Auswüchse der Bush-Präsidentschaft wurden beseitigt, aber außenpolitisch agierte Washington unter Obama kaum vermindert aggressiv. Die »Obamania« in den Monaten nach seiner Amtseinführung wich auch in den USA schnell einer Ernüchterung, selbst bei seiner treuesten Anhängerschaft.
Konzessionen
Die Hauptursachen für den erneuten, wenn auch deutlich knapperen Wahlsieg des Präsidenten sieht der Autor zum einen in der Angst ärmerer Bevölkerungsgruppen vor einer Wiederkehr der neoliberalen Exzesse unter dessen Vorgänger und andererseits im Aufstieg der von Solty als faschistoid charakterisierten Tea-Party-Bewegung. Sie habe mit ihrer kruden Mischung aus religiösem und Marktfundamentalismus viele gemäßigte Republikaner in die Arme der Demokraten getrieben. Obama verdanke seine zweite Amtszeit nicht mehr dem Nimbus, neuer Hoffnungsträger der US-Gesellschaft zu sein. Er sei vor allem als kleineres Übel gegenüber einer erneuten republikanischen Präsidentschaft gewählt worden.
Der Autor unterstreicht, daß die US-Gesellschaft sozial deutlich ausdifferenziert sei: Die ärmeren Bevölkerungsgruppen wählten mehrheitlich demokratisch, während reiche oder zumindest wohlhabende US-Bürger unabhängig von ethnischer Herkunft den Republikanern zuneigten. Die unter Bush arg gebeutelten Gewerkschaften beteiligten sich nicht unwesentlich an der Finanzierung von Obamas Wahlkämpfen.
Eine theoretische Analyse des Scheiterns von Obamas ursprünglich angekündigter Wirtschaftspolitik wird in dem Band nicht geleistet, dafür stellt der Autor eine Unmenge Daten und Fakten zusammen, wie sie sich in dieser konzentrierten Form schwerlich an anderer Stelle finden lassen. Eine wesentliche Ursache für die noch immer andauernde Krise der US-Wirtschaft sieht Solty im Erbe der Regierungszeit von George W. Bush. Kreditmilliarden, die ursprünglich für eine staatlich geförderte Konjunkturpolitik vorgesehen waren, flossen hauptsächlich in dringend benötigte soziale Hilfsprogramme oder wurden zur Begleichung anderer Hinterlassenschaften Bushs verwendet. Die Frage, ob Obamas ursprünglich angestrebtes Konjunkturprogramm erfolgreich hätte sein können, stellt der Autor nicht. Er listet statt dessen Fälle auf, in denen der Präsident vor Forderungen seiner republikanischen Gegenspieler einknickte. Letztlich stehe Obamas derzeitige Politik im Widerspruch zu maßgeblichen Interessen der Mehrheit seiner eigenen Wählerschaft.
Solty charakterisiert das von Obama favorisierte System als einen »Neoliberalismus der Chancengleichheit«. Die soziale Ungerechtigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems insgesamt werde nicht in Frage gestellt, aber die strukturelle Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten schrittweise abgebaut. Der längst überfällige Sieg der aufgeklärten urbanen Bevölkerung über den reaktionären Mief evangelikaler Sekten, die weite Teile der ländlichen US-Gesellschaft dominieren, sei zwar zu begrüßen, aber damit sei noch keines der sozialen Probleme der USA gelöst.
Diese Politik geht den reaktionärsten Kräften in der US-Gesellschaft jedoch schon zu weit. Solty zitiert Politiker der fundamentalistischen Rechten, die nach Obamas zweitem Wahlsieg unverblümt eine Sezession republikanisch dominierter Südstaaten aus der Union fordern. Diese Drohungen, meint der Autor, würden derzeitig nicht ernst genommen. Denn gerade diese Unionsstaaten hingen am Finanztropf demokratisch regierter Wirtschaftszentren des Nordostens. Doch allein die Tatsache, daß in den extrem nationalistisch geprägten USA solche Stimmen laut werden, lasse auf eine tiefe gesellschaftliche Zerrissenheit schließen.
Interessant sind im Buch wiedergegebene Umfrageergebnisse zur Zufriedenheit der US-Bevölkerung mit dem kapitalistischen System. Im Herzland des Antikommunismus halten derzeit nur 53 Prozent der Menschen den Kapitalismus im Vergleich zum Sozialismus für das bessere System. Für immerhin 20 Prozent der Bevölkerung ist es genau umgekehrt, 27 Prozent sind unentschieden. Diese Werte kontrastieren in merkwürdiger Weise mit der derzeitigen Schwäche der US-Linken. Es ist nicht falsch, dafür das extrem ungerechte und Kleinparteien benachteiligende Wahlsystem der USA verantwortlich zu machen. Es kann jedoch schwerlich die alleinige Ursache sein.
Die einzige Alternative zum Marktradikalismus der Republikaner und dem gemäßigten Neoliberalismus Obamas sieht der Autor in den Forderungen von Gewerkschaften und linken Basisbewegungen. Und er scheut sich nicht vor dem Wort »Klassenkampf«.
Ingar Solty: Die USA unter Obama - Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise. Argument Verlag, Hamburg 2013, 343 Seiten, 23 Euro
(Ein Vorabdruck aus dem Band erschien am 15. März auf den jW-Themaseiten; siehe:
Blind für die Klasse)
* Aus: junge Welt, Montag, 15. Juli 2013
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