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Bush oder sein Verbündeter Kerry? Ein Sieger steht schon fest

"Skull and Bones" regieren im Oval Office - Ein enthüllender Bericht und ein Kommentar zum Präsidentschaftswahl"kampf"

Im Folgenden dokumentieren wir
  • einen Hintergrundbericht über Elitenvereinigungen in den USA, aus denen die Bewerber um das höchste Amt im Staate kommen, und
  • einen Kommentar über die Schwierigkeit, Amtsinhaber Bush und Herausforderer Kerry auseinanderzuhalten.

Herrenmenschenklub

Wer wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika? Ob Bush, ob Kerry: Die rechte Burschenschaft »Skull and Bones« regiert im Oval Office mit

Von Hermann Ploppa

Ein Sieger der Präsidentenwahl in den USA im November steht bereits fest. Die elitäre studentische Verbindung »Skull and Bones« (»Schädel und Knochen«) wird auch den neuen Präsidenten aus ihren Reihen rekrutieren. »Skull and Bones« ist einer von sieben studentischen Geheimbünden auf dem Campus der privaten Yale-Universität in der altehrwürdigen Ostküstenstadt New Haven im beschaulichen Bundesstaat Connecticut.

Können Sie sich vorstellen, wie George W. Bush oder der drahtige John Kerry sich nackt im Schlamm suhlen? Wie hochrangige Persönlichkeiten der einzig verbliebenen Weltmacht in einem Sarg liegen und den Corpsbrüdern ihre sexuellen Eskapaden beichten? Wie sie anschließend auf allen Vieren zu einer als Don Quichotte verkleideten Gestalt kriechen und deren rote Puschen küssen? Das kann man sich tatsächlich schwer vorstellen, gehört aber zu der Zeremonie, die durchmachen muß, wer unkündbares Mitglied der »Skulls« werden will. John Kerry wurde 1966 initiiert, George Bush junior im bewegten Jahre 1968.

Aufgeklärte Bürger der USA sind beunruhigt über die Zusammenballung von exekutiver Machtbefugnis in den Händen einer kleinen exklusiven Gruppe. Die »Skulls« rekrutieren jedes Jahr nur 15 neue Mitglieder. Deren Karrieregang wird von früheren »Skulls«-Jahrgängen betreut. Die Alten Herren heißen »Patriarchen«, und es gibt bei etwa 280 Millionen US-Bürgern gerade mal 600 lebende »Skull and Bones«-Mitglieder. Die Frischbekehrten der exklusiven Yale-Bruderschaft müssen einen unverbrüchlichen Treueid auf den Orden schwören. Vor der Loyalität zu Vaterland, Religion und Familie rangiert die Verpflichtung gegenüber den geheimen Logenbrüdern. Da fragt man sich schon: Wie will so einer noch den Eid auf das Gemeinwohl der Vereinigten Staaten schwören können?

Aus einem Stall

Ein anderes Paradoxon: Der Herausforderer des US-Präsidenten hätte eigentlich keinen Mangel an guten Argumenten, warum Bush abgewählt werden muß. Die Bilanz der Bush-Administration ist katastrophal. Der Irak-Krieg ist – trotz des schnell verkündeten Sieges – kein Ruhmesblatt für Bush und seine Mannschaft geworden. Der Staatshaushalt ist ruiniert. Konjunkturelle Aufschwünge ändern daran wenig. Versprochene Reformen, wie die der Krankenversorgung der Alten, können nicht finanziert werden.

Doch Herausforderer Kerry äußert sich zu den Schwachpunkten des Titelverteidigers nur sehr dezent. Sicher, Kerry findet ein Meinungsklima vor, das sich grundsätzlich im Einklang mit der Regierung befindet. Nach wie vor machen die meisten US-Bürger keinen Unterschied zwischen Saddam Hussein und Al Qaida. Die Presse in den USA – löbliche Ausnahmen wie New Yorker und New York Times bestätigen die Regel – löst diese von der Regierung gewollten Irrtümer nicht auf. Als Bush von Marsausflügen tagträumte, haben die Medien die Schimären ernsthaft diskutiert. Kerry muß einer Hofpresse Rechnung tragen, die »jede noch so haltlose Meinung, jede abstruse These und noch die abseitigste Position ernst nimmt«. So der Princeton-Ökonom Paul Krugman.

Dennoch ist es erstaunlich, wenn der Herausforderer in allen Grundpositionen mit der Bush-Administration übereinstimmt. Auch Kerry will Ariel Scharon ohne Wenn und Aber unterstützen. Den Bellizismus der Bush-Dynastie und des mit ihr verbündeten Project for a New American Century (PNAC) versucht Kerry rhetorisch zu übertrumpfen: Bush, der Kriegsdrückeberger; Kerry, der Vietnamkriegsheld. Daß von Kerry keine Renaissance eines New Deal oder auch nur eine Neuauflage der Clintonomics zu erwarten ist, könnte seinen Grund im wahlarithmetischen Kalkül haben. Gewiß spielt aber auch die Bush und Kerry gemeinsame Sozialisation durch exklusive Seilschaften an Elite-Unis eine Rolle.

Pfründeverteilungsorden

Vielleicht kann in den USA immer noch ein Tellerwäscher Millionär werden. Besser ist es, die richtigen Eltern zu haben. Der Weg in die Spitzenämter von Wirtschaft, Politik und Kultur führt über die Elite-Universitäten der Efeu-Liga, der Ivy League. Während die staatlichen Unis ums nackte Überleben kämpfen, schwimmen die berühmten acht Privatuniversitäten nur so im Geld. Harvard, der Tabellenführer, verfügt über ein Vermögen von 19 Milliarden Dollar. Die New Yorker Columbia-Universität ist der zweitgrößte Grundstückseigentümer im Bundesstaat New York.

Damit nicht gewöhnliche Sterbliche die komfortable Ruhe der studierenden Sprößlinge aus den edlen neuenglischen Ostküstenfamilien der Cabot Lodge, Coolidge, Forbes oder Harriman stören, sind die Studiengebühren so preiswert wie ein guter Mittelklassewagen. In Yale kostet das Studienjahr 28 000 Dollar. Das verschulte Curriculum währt drei Jahre bis zum Unterexamen. Es folgt ein Vorbereitungsjahr zum Vollexamen.

An allen acht Efeu-Universitäten sind Studentenbünde zu Hause. Sie suchen gezielt die Seilschaften für das spätere gemeinsame Vorpreschen in die Chefetagen zusammen. Da geistern durch Yale neben den »Skull and Bones« die »Scroll and Key«, »Book and Snake«, »Wolf’s Head«, »Eliahu« oder »Berzelius«. Verglichen mit diesen Pfründeverteilungsorden muten deutsche Burschenschaften geradezu egalitär und demokratiesüchtig an. Deutsche Corporationen »baggern« fast jeden Studienanfänger an, der in der Lage ist, einen Bierhumpen zu stemmen.

Nicht so die »Skull and Bones«. Die ordenseigenen Talentesucher beobachten auf dem Campus genau, wer in den drei Jahren bis zum Undergraduate besondere Aktivitäten gezeigt hat. So ist ihnen auch der eloquente, unerträglich ehrgeizige John Forbes Kerry aufgefallen.

Der »Skull and Bones«-Orden gehört einer eingetragenen Firma, der Russell Trust Association. Diese ist dem Bundesstaat Connecticut so wichtig, daß er 1943 per Gesetz die Russell-Gesellschaft von der Berichtspflicht gegenüber dem Staat entband. Die Sippe des Ordensstifters William Huntington Russell machte ihr Vermögen im Opiumhandel mit China. Der »Skull and Bones«-Orden wurde 1833 gegründet und erhielt als Emblem die Piratenflagge mit dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen.

»Skull and Bones« ist eine von vielen hermetischen Elitegruppen der Ivy League, die entscheidenden Einfluß auf die Politik der USA nehmen. Theodore Roosevelt war Mitglied in der studentischen Geheimverbindung Pig Club in Harvard. Die Brüder Allan und John Foster Dulles, die faktisch die Politik der USA in den fünfziger Jahren bestimmten, gehörten dem Ivy Club in Princeton an. Franklin Delano Roosevelt begnügte sich mit dem gemäßigten Fly-Club.

Die Mitglieder dieses außerordentlich wohlhabenden Netzwerkes eint das Bewußtsein, als Elite auserwählt zu sein. Mit Ekel schauen diese Vorzugsmenschen auf die Massen herab. Rechtspopulistische Bewegungen wie die Rednecks oder die McCarthy-Inquisition waren ihnen taktisch willkommen und dennoch zutiefst zuwider. Die Ivy-League-Menschen schätzten klassische Bildung: antike Literatur, englische Hochliteratur, besonders Lyrik. Sie förderten T.S. Eliott und Ezra Pound. Theodore Roosevelt las in arbeitsfreien Minuten griechische Klassiker im Original. Man verstand sich zudem als Pressuregroup moderner Forschung.

Nährboden der CIA

So überrascht es nicht, daß Irving Fischer (»Skull and Bones« 1888) Gründungspräsident der American Eugenics Society wurde. Die Vorstellung, die Qualität der Massenmenschen durch gezielte Zuchtwahl und Aussiebung der Kranken und Schwachen anzuheben, hatte unwiderstehliche Anziehungskraft auf Elitemenschen an der Ostküste. Eine herausragende Stellung als Förderer der Eugenik erlangte Averell Harriman, dessen Dynastie ihren Reichtum durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes in den USA erwarb. Zusammen mit George Herbert Walker (»Skull and Bones« 1927) faßte Averell Harriman die eugenischen Forscher u.a. aus Deutschland, England und Skandinavien zu einem schlagkräftigen Weltverband zusammen. Auf dem Eugenik-Weltkongreß 1932 sorgte Harriman dafür, daß der deutsche Eugeniker Ernst Rüdin zum Vorsitzenden des Weltverbandes gewählt wurde.

Während sich Averell Harriman um die Verbesserung der menschlichen »Rasse« kümmerte, arbeitete ein anderer »Skull and Bones«-Patriarch an der Beeinflussung des Bewußtseins der Massen. Henry Robinson Luce baute nacheinander Time-Magazine, Fortune, Life and Sports Illustrated auf. 1923 gibt ihm ein Netzwerk von 72 Wall-Street-Investoren das nötige Geld, damit Luce mit 18 Redakteuren – elf davon Absolventen aus Yale – die erste Nummer von Time starten kann. Harriman war einflußreicher Demokrat, Luce setzte die Macht seiner Presse für die Republikaner ein.

Den Erfolg jener Eliteherrschaft sichern diskrete Operationen, die – an Legislative, Exekutive und Judikative vorbei – entscheidende Weichen stellen. Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, daß der elitäre Campus der Yale-Universität einen idealen Nährboden für die CIA hergab. Durchgeistigte Lyriker wie James Jesus Angleton oder Cord Meyer verließen die Redaktionsklause ihrer poetischen Campuszeitung Yale Lit, um in Europa mit »dirty tricks« linke Milieus aufzumischen. Yale-Geschichtsprofessor Gaddis Smith beschreibt die innere Beziehung zwischen Yale und CIA: »Yale hat die CIA stärker beeinflußt als irgendeine andere Universität. Das gibt der CIA bisweilen den Charakter eines Klassentreffens.«

Parallelregierung

Einen Gipfelpunkt in der Umgehung demokratischer Kontrollinstanzen erklomm George Bush senior (»Skull and Bones« 1948, zeitweilig CIA-Chef). In seiner Eigenschaft als Vizepräsident unter Ronald Reagan ließ er in der eigens für ihn gegründeten Special Situation Group alle Informationsfäden zusammenlaufen. Sogar der Nationale Sicherheitsrat wurde zur Akklamationsinstanz degradiert. Über die Special Situation Group führte Bush ein Regiment, dessen Konturen bruchstückhaft in der Iran-Contra-Affäre sichtbar wurden. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses für Geheimdienste, der Demokrat David Lyle Boren (»Skull and Bones« 1963) nannte die Machtmaschine von George Bush sen. eine »Parallelregierung«.

Das provokante Vorgehen von George Bush ist schuld daran, daß die Öffentlichkeit auf »Skull and Bones« aufmerksam wurde. Als Bush Präsident werden wollte, fragte 1988 die Washington Post: »Hat der Vater von George Bush ein Grab geschändet?« Papa Prescott Bush brach nämlich 1919 mit einigen seiner Corpsbrüder als »Skull and Bones«-Stoßtruppe mitternächtlich auf einen Friedhof ein und entnahm dem Grab des Apachenhäuptlings Geronimo dessen Schädel. Der Schädel wurde sodann als Trophäe in einer Glasvitrine im »Skull and Bones«-Clubheim ausgestellt.

Jene Pietätlosigkeit von Prescott Bush brachte die »Skulls« in den Ruch des Rassismus. In der Tat war der Orden lange Zeit der extreme Ausdruck des WASP-Dünkels. WASP steht für »White Anglo Saxon Protestants«. Gemeint sind die weißen anglophilen protestantischen Geldaristokraten von der Ostküste, deren Vorfahren tunlichst schon auf der »Mayflower« mitgefahren zu sein hatten.

Die Kolportage der Washington Post traf nicht ganz ins Schwarze. Denn George Bush senior erkannte als einer der ersten im WASP-Lager, daß demographische Umschichtungen zuungunsten der weißen Protestanten die Mehrheitsfähigkeit seiner Machtbasis über kurz oder lang obsolet machen könnten. So kam es zu einer ethnischen Öffnung bei den »Skull and Bones«. Seit geraumer Zeit soll es bei dem Schädelorden Afroamerikaner, Homosexuelle und Frauen als willkommene Mitglieder geben.

Kerrys Zickzackkurs

Sind die »Skull and Bones« möglicherweise politisch gar nicht rechts orientiert? Sie sind sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern vertreten. Der mächtige Henry Stimson diente demokratischen wie republikanischen Präsidenten als Minister. Der Nationale Sicherheitsberater von John F. Kennedy hieß McGeorge Bundy. Auch er ein »Skulli«.

Der typische »Skull and Bones«-Aktivist kann in seinem Leben wechselweise Diplomat, Geheimagent, Minister, Wirtschaftsboß oder Universitätsdekan sein. William Sloane Coffin (»Skull and Bones« 1948) wechselte gar von der Kanzel zum Agentenauto und zurück: »Nach einem Jahr auf dem Union Theological Seminary schien sich ein Krieg mit der Sowjetunion anzukündigen, und nun wechselte ich doch zur CIA, weil ich in diesem Krieg von Nutzen sein wollte.« Der Krieg fiel gottlob aus, und in den sechziger Jahren profilierte sich Coffin als engagierter Vietnamkriegsgegner.

Und traf da gewiß John Kerry. Damals warf Kerry als dekorierter Vietnamkriegsveteran seine Orden ins Wasser. Frustrierte Veteranen folgten seinem Beispiel. Erstaunlicherweise fotografierte ein Reporter in Kerrys Haus genau diese Kriegsorden: Sie hingen algenfrei an der Wand. Warum Kerry als Senator gegen den ersten Golfkrieg, aber für Golfkrieg zwei optiert hat, weiß nur er allein. Kerrys Zickzackkurs in allen wichtigen Fragen der Politik ist hinlänglich bekannt. Verheiratet war er übrigens zunächst mit der geschiedenen Frau eines »Skull and Bones«-Mannes, bevor er Teresa Heinz, die milliardenschwere Witwe des Ketchupkönigs John Heinz (»Skull and Bones« 1931) ehelichte.

John Kerry wird gewiß niemals in seinem Leben einen Corpsbruder in Schwierigkeiten bringen. Weder Vater noch Sohn Bush. Als Senator saß er zusammen mit seinem republikanischen Kollegen Hank Brown einem Untersuchungsausschuß vor. Der Ausschuß sollte ermitteln, ob Regierungsstellen oder Geheimdienste unerlaubte Aktivitäten der pakistanischen Bank und Geldwaschanlage BCCI gefördert oder gedeckt hatten. Der Bericht ist lesenswert. Er beschreibt, wie CIA, der englische SIS, Zentralbanken, Waffen- und Drogenhändler, Warlords und BCCI zu einer einzigen globalen Firnisschicht verwachsen waren, und wie die US-Regierung mit billigen Tricks den Ausschuß daran hinderte, relevante Dokumente einzusehen. Kerry und Brown pickten sich Donald Regan und Oliver North als Hauptbösewichte der US-Regierung heraus. Der Mann, auf dessen Special Situation Group alle Fäden zulaufen, bleibt ausgespart: George Herbert Walker Bush.

Da der Kerry-Brown-Bericht erst im Dezember 1992, also einen Monat nach der Präsidentenwahl, herauskam, nützte er George Bush leider nicht mehr. Aber keine Sorge. Denn Bush-Bezwinger William Clinton wurde von Winston Lord (»Skull and Bones« 1959), seinem stellvertretenden Außenminister, gut beraten. Und nach der achtjährigen Bush-Pause sind aktuell zwei weitere »Skullis« im Kabinett vertreten: Edward McNally als Chefberater im neugeschaffenen Heimatschutzministerium sowie Robert McCallum als stellvertretender Justizminister. McCallum ist sogar ein »Skull«-Jahrgangskamerad von George Bush junior.

Offenkundig hat die neue Offenheit der WASPs gegenüber andersethnischen Privilegsanwärtern die Position der weißen Efeu-Liga noch gestärkt. Denn bei den Vorwahlen der Demokraten im letzten Winter kamen mit John Edwards, Howard Dean, Joe Liebermann und John Kerry gleich vier Aspiranten auf das Präsidentenamt aus – Sie haben es erraten: Yale.

Aus: junge Welt, 18. Mai 2004

Von Hermann Ploppa erschien auf unserer Website zuletzt:
RAND Corporation: Bellizentrische Köpfe
Ein privater Think Tank als Staat im Staate. Von Hermann Ploppa (27. Januar 2004)

John Kerry, Bushs Verbündeter

Von Norman Birnbaum

(Auszüge aus einem taz-Kommentar)

(...) Die Zahlen schwanken, doch lässt sich sagen, dass Bush 49 Prozent der Wählerschaft auf seiner Seite hat, Kerry 43 und Nader 5. Diese Letzteren, bis November gehalten, wären ein wesentlicher Beitrag zu Bushs Wiederwahl. Was für Nader spricht, ist der deutliche Mangel an Kerrys Überzeugungskraft.

Zwei Beispiele mögen genügen. Kerrys älterer Kollege im Senat von Massachusetts, Ted Kennedy, erklärte, dass Bushs Behauptung, die Folterkammern Saddam Husseins beseitigt zu haben, falsch gewesen sei: Er habe sie allenfalls unter das amerikanische Management gestellt. Kerry beeilte sich anzumerken, dass er nicht in diesen Kategorien denken würde, und zollte der "Ehre und Integrität" der amerikanischen Streitkräfte im Irak gewohnheitsmäßig Tribut. Und gegenüber dem "Democratic Leadership Council", einer Gruppe marktorientierter Demokraten, sagte Kerry: "Ich bin kein Umverteiler." (...) Und seine dummen Kampagnenberater haben sich auf eine Tagesordnung eingelassen, nach der die politische Debatte zu Bushs Bedingungen geführt wird.

Laut Meinungsumfragen hat Bush keine Mehrheiten in Schlüsselbereichen wie der Führung im Krieg und der Gestaltung der Wirtschaftspolitik. Das Weiße Haus reagierte darauf, indem sie eine Diffamierungskampagne gegen die Kriegsgegner einleitete und sie als unpatriotisch hinstellte - die Kritiker würden das Militär schmähen, indem sie das Folterthema aufbrächten. Sie werden außerdem als "schwach" abgestempelt - eine bewährte psychosexuelle Metapher, die auf Kerry abzielt. Die Republikaner versuchen, die Aufmerksamkeit vom Krieg und von den negativen Auswirkungen der Globalisierung auf den amerikanischen Arbeitsmarkt abzulenken, indem sie sich auf ein welthistorisches Thema konzentrieren: die gleichgeschlechtliche Ehe.

Kerry wird als Ostküsten-Liberaler bezeichnet - doch der konterte nicht mal damit, dass der letzte aus Massachusetts kommende liberale Präsident John F. Kennedy war, der seine Arbeit, wie sich die ältere Generation erinnert, gar nicht so schlecht machte. (...)

Kerry .. scheint den Rückhalt seiner Partei als selbstverständlich zu erachten und Stimmen in der Mitte der Wählerschaft zu suchen - eine fiktive Konstruktion. Wie Bush weiß, besteht die erste Aufgabe eines Kandidaten darin, die eigene Basis zu mobilisieren, zumal dort, wo die Wahlbeteiligung voraussichtlich nicht einmal die 50 Prozent aus den Vorjahren überschreiten wird. Kerrys diffuse Wirtschaftspolitik betont die Ausgeglichenheit des Bundeshaushalts und nicht die Sozialausgaben. Seine Programme für Bildung, Gesundheitswesen, Minderheiten- und Frauenrechte sind nur ganz vorsichtig auf Ausbau angelegt. Es fehlt ihm an innenpolitischem Profil; dennoch geht Kerry auf den Vorwurf der Republikaner ein, er sei schwach - und damit hat er die Debatte genau da, wo die Republikaner sie haben wollen: als simple Entscheidung über Personen.

Außenpolitisch, also im Hinblick auf den Irakkrieg, hat Kerry den Vorteil vergeudet, den er anfangs so sehr genoss und den er als Vietnam-Veteran gegenüber dem Präsidenten hatte - gegen einen Bush, der es vermied, in der Armee zu dienen, und nun den tapferen Kämpfer vorgibt. Kerry hat im Senat für den Krieg gestimmt, doch in dem Moment, wo Republikaner, Konservative und Generäle beginnen, dies als Fehler einzuräumen, ist alles, was er antwortete - und das auch noch zögerlich -, dass er schlecht geführt wird.

Kerrys Zögern liegt auch am Einfluss der Israel-Lobby auf die Demokratische Partei. Das gilt nicht nur für die jüdischen Stimmen in Los Angeles und New York, sondern auch für die Wahlkampfspenden, die zu mindestens einem Drittel von Juden kommen. Die Israel-Lobby unterstützt den Krieg und hat Kerry dazu bewogen, Scharons Unilateralismus zu billigen. Zu viel unnötige Diskussion über Amerikas Folterungen könnte zwangsläufig zu der Frage nach der Behandlung der Palästinenser in Israel führen. Kerry fürchtet sich so sehr davor, als unpatriotisch abgestempelt zu werden, dass er den französischen Medien nicht einmal Interviews in seinem fließenden Französisch gibt. Er kritisiert die Entscheidung des neuen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero, seine Truppen aus dem Irak abzuziehen. (...)

Besteht Hoffnung, dass Kerry die Wahl tatsächlich gewinnen könnte? Der größere Teil der amerikanischen Wählerschaft konzentriert sich nicht vor Oktober wirklich auf die Wahl, die am 2. November stattfinden wird. Kerry hat also noch genügend Zeit für einen Wechsel von Strategie und Taktik. Mit steigenden Zinsen und in die Höhe schießenden Benzinpreisen bräuchte er eine sehr konkrete und expansive Wirtschaftspolitik.

Und in Bezug auf die Besetzung des Irak, der in das totale Chaos zu gleiten droht, müsste er eine klare Vorstellung davon geben, wie er die US-Truppen abzuziehen gedenkt. Aber es könnte sein, dass er im Sommer nach Truppenverstärkungen schreit, während Bush den Rückzug beginnt. Zurzeit ist er äußerst erfolgreich damit, diejenigen zu enttäuschen, die begonnen haben, Bush den Kampf anzusagen.

Deutsch von Ute Eggert/bz

Aus: taz, 18. Mai 2004



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