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RAND Corporation: Bellizentrische Köpfe

Ein privater Think Tank als Staat im Staate

Von Hermann Ploppa

Folgt man den Debatten in deutschen Presseerzeugnissen, dann entsteht der Eindruck, die Bushisten in Washington ließen sich vornehmlich von religiösen Fundamentalisten und einem deutsch-jüdischen Philosophen namens Strauss leiten.

Man sollte vielleicht doch zwischen Rhetorik und tatsächlicher Regierungspraxis unterscheiden. "Rede viktorianisch (d.h. angelsächsisch-christlich) und handle heidnisch", rät Pentagon-Ideologe Robert Kaplan.[1] Würde nicht am Ende die amerikanische Neigung zu pragmatischen Lösungen über atavistische Weltanschauungen triumphieren, es wäre unerklärlich, wie die USA erfolgreich und in aller Stille in 170 Ländern der Erde ihre "silent professionals", ihre effektiv handelnden Agenten, arbeiten lassen können.[2] Diese Leute agieren in Kleingruppen, passen sich den Landesgewohnheien an, sprechen die Landessprache flüssig und wissen genau, welche Personen und Cliquen im Lande sie für die Zwecke der USA einspannen können.

Mögen auch miserabel instruierte GIs im Irak Minarette unter Feuer nehmen, weil sie jene Türme für Funkstationen halten: an den entscheidenden Stellen der Bush-Administration sitzen Leute, die über den Irak bestens unterrichtet sind.[3]

In aller Stille hat sich in den USA ein Wissenskonglomerat herangebildet, das zu einem Staat im Staate zu werden sich anschickt. Die Rede ist von RAND. RAND steht für Research and Development. RAND ist ein privater Think Tank, der sich durch staatliche Zuschüsse, private Spenden und Erträge aus Auftragsgutachten finanziert. RAND verfügt über einen Stamm von festen Mitarbeitern, die zu bestimmten Projekten profilierte Wissenschaftler aus aller Welt heranziehen. Eine Unzahl von Buchveröffentlichungen zu den Themen Politik, Justiz und Soziales sind von RAND produziert worden. Mit Doktorandenstipendien und Fellowships zieht das Wissenszentrum Nachwuchs heran. RAND ist keiner politischen Couleur verpflichtet. Die US-Regierungen der Demokraten und Republikaner kommen und gehen, RAND aber bleibt, und kein Präsident würde es wagen, sich der beratenden Umarmung durch RAND zu entziehen.

Denn RAND ist eine Geburt aus dem Geiste der Rüstungsindustrie. Die Generäle H.H. Arnold und Curtis LeMay sowie Edward Bowles vom Massachusetts Institute for Technology (MIT) begriffen am Ende des Zweiten Weltkriegs Folgendes: im Kriegsgeschehen waren Massen der besten Wissenschaftler aus aller Welt in die amerikanische Rüstungsindustrie eingebunden worden. Diese Konzentration technisch-wissenschaftlicher Intelligenz hatte technologische Entwicklungsschübe wie noch nie ausgelöst. Die Luxushirne wollte man nicht so einfach wieder ins Zivilleben absickern lassen. Also musste man eine Organisation schaffen, um die Leute zu halten. Es galt, eine Stagnation wie nach dem Ersten Weltkrieg zu vermeiden.

Im Büro der Douglas Aircraft im kalifornischen Santa Monica wurde das Projekt RAND aus der Taufe gehoben. Das erste Projekt-Gutachten schätzte 1946 die Entwicklungschancen von Satelliten ab. 1948 wurde die RAND ganz offiziell gegründet.

Mit dem neuentwickelten Magnetbandcomputer UNIVAC befreite RAND 1951 die amerikanische Volkszählungsbehörde von den lästigen Hollerith-Lochkarten. Rüstung und Administration wurden in den Fünfziger und Sechziger Jahren mit computertechnischen Konzepten aus dem Hause RAND wesentlich windschnittiger gestaltet. RAND-Mann Paul Baran erfand das sog. Packet Switching, eine Methode, elektronische Nachrichten über lange Entfernungen in Segmente zu zerlegen, über verschiedene Leitungen simultan zu versenden und so das Übermittlungstempo zu beschleunigen. Eine entscheidende Voraussetzung für das Internet.

Die hauseigene Chronik von RAND weiß zu berichten, ihre Forscher hätten sich in jenen Jahren mit Spieletheorie, linearem und dynamischem Programmieren, mathematischem Modellieren und Simulieren, Netzwerktheorie, Kosten- und Systemanalyse für Militärs befasst.

Um das Image einer Denkwerkstatt für das Militär los zu werden, erweiterte die RAND in den Jahren der Johnson-Regierung ihren Tätigkeitsbereich auf soziale Felder.

"Systemanalyse diente als methodische Grundlage für sozialpolitische Planung, sowie für die Analyse so verschiedenartiger Bereiche wie Niedergang städtischer Strukturen, Armut, Gesundheitsfürsorge, Erziehung und die effiziente Einrichtung kommunaler Dienste wie Polizeischutz und Feuerwehr.", fasst RAND-Doktorand David Jardini zusammen. Das hieß in der Praxis: Planung und Durchführung der Gesundheitsvorsorge Medicare oder den Bau von Häusern für Einkommensschwache. Die Johnson-Regierung arbeitete effizienter durch das Planning, programming and budgeting system (PPBS) des Think Tanks.

RAND ist flexibel und passt sich der politischen Farbe ihrer Auftraggeber an. Ein Energie-Gutachten für die Region Columbia gibt sich rot-grün: der Abriss von vier Staudämmen mit Wasserkraftwerken wird vorgeschlagen. Die Wasserläufe sollen renaturiert werden. Lachse sollen sich wieder tummeln. Energiesparen ist Trumpf und es soll in erneuerbare Energie investiert werden. Das, so schätzt RAND, bringt 15.000 neue Arbeitsplätze! RAND ist mittlerweile in allen Ecken der Welt präsent mit Gutachten, Planspielen und geopolitischen Analysen. Stolz verweist RAND auf eine Anzahl "größerer Kunden und Sponsoren", u.a. in Deutschland. Neben DaimlerChrysler und Airbus gehören zu den deutschen Großkunden das Bundesverkehrsministerium, aber auch das Bundesverteidigungsministerium. Die formelle Anfrage des Autors dieser Zeilen nach dem Charakter jener Kooperation beantwortete das Verteidigungsministerium recht allgemein: es handele sich um Forschungsaufträge, "um Projekte aus den Bereichen Sicherheitspolitik, Militärpolitik und ... transatlantische(n) Rüstungskooperation."

Kerngeschäft Militär

Die Kerngeschäfte von RAND liegen eindeutig in den Bereichen: Militär und Innere Sicherheit. Einen guten Einblick in die Gedankenwelt von RAND bietet ein Artikel der Juli-August-Nummer dieses Jahres der Zeitschrift Atlantic Monthly. Verschiedene RAND-Autoren konfrontieren die Öffentlichkeit mit zehn Krisenpotentialen, die nach Ansicht der Verfasser mehr unter die Lupe genommen werden sollten, als dies bislang der Fall ist.

Julie Davanzo entwirft ein ebenso erschütterndes wie zutreffendes Bild der Lage in Russland. Die Bevölkerung schrumpfte in den letzten zehn Jahren um drei Millionen Menschen. Alkoholismus, Tuberkulose und AIDS führen dazu, dass sich die Sterblichkeitsrate unter jungen Männern zwischen 15 und 25 Jahren verdoppelt hat, und damit dreimal so hoch ist wie in der Vergleichsgruppe in den USA. Die Hoffnungslosigkeit drückt sich zudem in stark verminderten Geburtsraten aus.

Diese untragbare humanitäre Tragödie macht Davanzo Sorgen: "Anders als in europäischen Staaten, die ebenfalls eine Abnahme in der Kopfzahl unter jungen Menschen verzeichnen, ist Russland im Moment nicht in der Lage, den Verlust an Humankapital dadurch auszugleichen, dass es mehr Geld investiert in sein Militär und in die anderen Sicherheitsorgane. Denn die Bereiche Wirtschaft und Wissenschaft haben schwer gelitten im letzten Jahrzehnt." Die kargen Geldmittel flössen in die Versorgung einer immer älter werden Bevölkerung anstatt in die Sicherheitstechnik. Wenn es nicht genug Polizisten und Milizen gibt, dann breiten sich Schmuggel und Terrorismus aus; die Grenzen werden unsicher. Frauen als Soldaten anzuwerben, so überlegt Davanzo: das ist unmöglich, denn die russische Gesellschaft ist extrem frauenfeindlich.

Kevin O'Brien entwirft ein noch schwärzeres Bild für das südliche Afrika: in Zimbabwe ist die Hälfte aller Soldaten HIV-infiziert, in Angola sogar 60 % aller Soldaten. Spitzenreiter ist die südafrikanische National Defence Force mit einer HIV-Rate von 90 %. Das südafrikanische Manöver "Blue Crane" konnte 1999 nicht durchgeführt werden, da 30 % der Soldaten durch AIDS derart geschwächt waren, dass sie nicht mehr Krieg spielen konnten. O'Brien weiß auch, warum die HIV-Quote bei Rekruten in Afrika bedeutend höher ist als in der Zivilbevölkerung: "Länder mit der größten Ausbreitung von HIV-Infektionen sind auf die eine oder andere Weise in militärische Auseinandersetzungen verwickelt, und Vergewaltigung stellt häufig eine Taktik oder ein Nebenprodukt des Krieges dar." Die Behandlung von AIDS-infizierten Offizieren zieht jedoch unmäßig viel Geld ab von dem eigentlichen Daseinszweck des Militärs - nämlich: Kriege zu führen, schimpft O'Brien. Das Krankfeiern der afrikanischen Truppen stelle eine ernste Gefahr für die Sicherheit der USA dar.

Nun wird der Leserschaft aufgefallen sein, dass sich die Autoren Sorgen machen um das Ordnungsgefüge der zerfallenden Staaten und die Misere dabei mit einem Engwinkelobjektiv beäugen. Ausgeblendet werden die Ursachen der Verelendung. Dass sich eine Gesellschaft rasch erholen könnte über den Hebel des Neuaufbaus einer sozial ausgewogenen Zivilordnung: dieses Denkmodell ist den RAND-Analytikern grundsätzlich fremd. RAND bewegt sich in einem bellizentrischen Orbit: weil Spannungen zunehmen, und diese Spannungen unerklärt bleiben, können Konflikte nur mit militär-polizeilichen Mitteln gelöst werden.

Kritiker werden einwenden: es ist eben nicht Aufgabe dieser Abteilung von RAND, sich mit Sozialpolitik zu beschäftigen, sondern die rein polizeitechnische Dimension von Konflikten auszuloten. Es erweist sich jedoch, dass RAND dem für Finanzmittel zuständigen US-Kongress und der Presse in den USA Begründungen liefern muss, warum mehr Geld in die Rüstung gepumpt werden soll. RAND finanziert sich nämlich zum großen Teil aus Bedrohungsgutachten für Pentagon und Rüstungsindustrie. Unter dem Zwang, immer neue, bisweilen phantastisch klingende Bedrohungsszenarien auszumalen, können zivilistische Lösungsansätze nicht gebraucht werden. Wie die Beispiele Afghanistan und Irak zeigen, existieren gar keine Konzepte, wie über eine militärische Intervention mit nachfolgender sozialer Befriedung eine neue Zivilordnung erstehen könnte. Die die Bush-Administration umkreisenden Think-Tanks wie z.B. RAND haben, entgegen wohlklingender Regierungsrhetorik, keine Zivilordnung für die Zukunft vorgesehen.

In der Atlantic Monthly raunen RAND-Autoren, Russland, China, Pakistan, Nordkorea sowie der Iran seien in den nächsten fünf Jahren in der Lage, Satelliten mit Nuklear-Raketen zu beschießen. Wahrscheinlich kommt keine Nation auf so eine idiotische Idee, räumen die Autoren Mueller und Harris ein, aber man kann ja nie wissen ...

John Birkler und John Schank finden, dass zwölf Flugzeugträger für die USA noch nicht ausreichen. Naja, 12 Milliarden Dollar für den Bau eines einzigen Flugzeugträgers, und 100 Millionen Dollar pro Jahr für deren Unterhaltung sind zugegebenermaßen viel Holz. Und dann ist so ein Pott nur ein Drittel seiner Lebenszeit wirklich im Einsatz. Aber mit Flugzeugträgern können die USA dank der internationalen Hoheitsgewässer überall herumoperieren ohne einen anderen Staat um Erlaubnis zu fragen. Im Irak-Krieg hat der Bestand an Flugzeugträgern noch gerade so gereicht, aber: " ... wenn man bedenkt, welchen militärischen und sicherheitstechnischen Herausforderungen die USA sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stellen werden, dann sind zwölf Flugzeugträger einfach zu wenig." Das wird hart für den US-Etat, meinen Birkler und Schank, aber Opfer müssen sein ... Neben diesen eindeutigen Appellen an die Adresse der Politiker, öffentliche Gelder in die Taschen der Rüstungskonzerne umzuleiten, gibt es die allgemeineren geopolitischen Bedrohungsszenarien, die ein ganzes Verbundsystem von Rüstungsartikeln zur Folge haben können. Da warnt RAND-Expertin Christine Fair vor einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Indien und Iran, die den geopolitischen Interessen der USA: Bau einer Pipeline von Zentralasien an den Persischen Golf, in die Quere kommen könnte.

Das spektakulärste Bedrohungsszenario, mit dem RAND unfreiwillig in die Top-Nachrichten geraten ist, basiert auf einer peinlichen personellen Fehlbesetzung im Washingtoner RAND-Büro. Der dort stationierte französische Politologe Laurent Murawiec nutzte seine Credentials als RAND-Mitarbeiter, um sich im August letzten Jahres von Richard Perle als Gastredner zu einer Sitzung des Defense Policy Board einladen zu lassen. Dieses Gremium, besetzt mit Top-Leuten aus dem Pentagon und der Rüstungsindustrie, "berät" die US-Regierung in zentralen Fragen - ohne jede demokratische Legitimation. DPB-Vorsitzender Richard Perle gilt als beinharter Sharon-Lobbyist.

Murawiec schloss sein Laptop an die Projektionsmaschine an und hielt einen aufrüttelnden Vortrag, unterstützt von bunten Grafiken und Tabellen, in dem er zu dem Schluß gelangte, die Terrorschiene Al-Qaida habe ihren Heimatbahnhof im Saudi-arabischen Establishment. Die USA müsse die Saudis fortan als Feinde behandeln, die US-Konten der Saudi-Prinzen einfrieren und letztendlich die saudischen Ölfelder beschlagnahmen.

Perle hatte gut vorgearbeitet: am nächsten Tag diskutierten alle Talkshows der USA die Frage, "ob wir den Saudis noch vertrauen können." RAND hatte alle Hände voll zu tun, sich von den abenteuerlichen Spekulationen ihres Mitarbeiters Murawiec zu distanzieren. RAND ist zu klug, um sich in die Schlammschlachten zwischen Israel-Lobbyisten und "Arabisten" hinab zu begeben.

Bleibt die Frage, auf welche Weise ein rechtsextremer Fanatiker wie Murawiec in die oberen Etagen von RAND gelangen konnte. Murawiec, Spross trotzkistischer Eltern, betätigte sich in den Achtziger Jahren in der Wiesbadener Europazentrale der EAP, einer obskurantistischen Sekte um den amerikanischen Multimillionär Lyndon LaRouche. Dann wurde er politischer Berater einer Genfer Bank, der Geldwäscheaktivitäten für Drogenbarone nachgesagt werden, sodann Berater im französischen Verteidigungsministerium, um schließlich bei RAND unterzukommen.

Für RAND hat er Expertisen geschrieben über demographische Entwicklungen im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und pries in einem Artikel den Stalin-Geheimdienstchef Lawrenti Berija für sein weitsichtiges "social engineering". Auf Symposien fiel Murawiec durch sein pöbelhaftes Auftreten auf. So brüllte er den angesehenen pakistanischen Politologen Pervez Houdhboy nach Gutsherrenart zusammen.
Murawiec ist von RAND bislang nicht verwarnt worden.

Drehtüreffekt

Wo wir gerade bei den Personalien der RAND Corp sind, wollen wir uns den Aufsichtsrat (Board of Trustees) anschauen. Dort finden wir allerlei ehrenwerte ergraute Ruheständler aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, wie z.B. den ehemaligen schwedischen Regierungschef Carl Bildt. Noch etwas frischer im Saft ist John S. Reed, der die Bank Citigroup vertritt, oder Donald Rice von der Agensys Inc. Da ist Paul O'Neill, der zunächst den Aluminiumkonzern Alcoa in Pittsburgh sanierte, bevor er im Jahre 2001 Finanzminister bei George Bush II. wurde. O'Neill wollte die Entwicklungshilfe komplett abschaffen und die Staatsfinanzen durch eine rigide Ausgabensperre sanieren. Die Republikaner ekelten ihn im Dezember 2002 aus dem Kabinett. Denn die Republikaner sind nicht im mindesten daran interessiert, den Staat durch sanierte Finanzen wieder handlungsfähig zu machen.

Gleich zwei Herren vertreten die Carlyle-Gruppe, die sich im Rüstungs- und Erdölgeschäft im Umfeld der Bushisten besonders vorteilhaft positionieren konnte. Da ist zum einen Carlyle-Vorstand Arthur Levitt, zum anderen Frank Carlucci, ehemals Verteidigungsminister und jetzt enger Berater von Donald Rumsfeld, den er zu jeder Tages- und Nachtzeit mit den neuesten Angeboten von Carlyle vertraut machen darf.

Um die ganze Dynamik US-amerikanischer Gravitationszentren wie RAND zu begreifen, muss man sich den sog. "Drehtür-Effekt" (Revolving Door Effect) vergegenwärtigen. Das Curriculum eines amerikanischen Karrieremenschen sieht so aus, dass er einen Studienabschluss an einer eleganten Uni macht, dass er eine Zeitlang einem Industriekonzern vorsteht, in einem Think Tank mitwirkt, einer Uni als Dekan - de facto als Geldbeschaffer - vorsteht, und seinen Kurswert durch ein politisches Amt noch einmal steigert. Die RAND-Alumni rotieren auf diese Weise kreuz und quer durch die oberen Etagen der US-Gesellschaft.

In einer Zeit, wo der Staat und die Kommunen finanziell kollabieren, treten immer stärker private Gruppierungen wie RAND auf den Plan und übernehmen Aufgaben, die bislang der Staat wahrgenommen hat. An die Stelle der öffentlichen Abstimmung und Diskussion über Ziele und Reichweiten gesellschaftlicher Vorhaben tritt nunmehr eine demokratisch nicht kontrollierbare Planung auf mäzenatischer Basis.

RAND hat diese Entdemokratisierung in ihre Hände genommen, und preist die Enteignung des demokratischen Volkssouveräns als "Öffentlich-Private Partnerschaft" (Public-Private Partnership - PPP). RAND ist dabei, wenn Küstenschutzprojekte oder Klimaüberwachung neu strukturiert werden und hortet die ermittelten Daten.

RAND hat die Konzeption des neugeschaffenen Ministeriums für Heimatschutz geprägt. Bevor das Ministerium überhaupt eingerichtet war, hatte RAND bereits alle Informationsfäden in ihren Büros verknüpft und sich selbst zum Sammelpunkt aller sensiblen Informationen gemacht. Zunächst trafen sich 127 Vertreter von Bund, Bundesstaaten, örtlichen Verwaltungen und der Privatindustrie im Washingtoner RAND-Büro und ermittelten, welche Transportkapazitäten für terroristische Anschläge besonders verwundbar sind. In einer zweiten Runde erzählten Energie-Experten der RAND treuherzig, wo ihre Achillesfersen liegen. Diese Befunde wertete RAND aus, um in einer dritten Runde Leuten, die als erste im Falle einer terroristischen Attacke schnell handeln müssen, zu sagen, was sie tun sollen. Als Heimatschutzminister Thomas Ridge sein Amt antrat, hatte RAND die Hausaufgaben des Ministers schon gemacht. In Computersimulationen ermittelte RAND, was terroristische Attacken an Dollars, Leben und politischen Verwerfungen kosten würden. Ridge braucht im Fall des Falles nur noch die RAND-Software anzuwerfen, um auf Bösewichte zu reagieren. Was für die Kriege draußen gilt, das ist auch für die Kriege im Innern gültig: warum Leute aufmüpfen, ist egal. Für RAND ergibt sich hier nur ein Security-Problem. Und dafür haben die personell und finanziell assoziierten Privatfirmen technische Lösungen zur Hand.

So wissen die Autoren Critton und Anton in der Doppelnummer von Atlantic Monthly zu berichten, dass sich Bösewichte in dichtbesiedelten Stadtbereichen gut einnisten können. Die Erfahrungen der Kollegen von der Wehrmacht in Stalingrad oder der GIs in Mogadischu 1993 habe das gezeigt. Was also tun, um das Ungeziefer auszutilgen? Critton/Anton bieten Microair Vehicles - kleine Videokameras - an, die den Rekruten begleiten. Minikameras in Flugrobotern, die aussehen wie Insekten, brummen in vom Feind besetzten Gebieten und senden das Bild zu den wackeren GIs. Smart Dust: ein intelligenter Staub legt sich auf Feindesland und dient mit Kleinstspiegeln als Reflektor für Laserabtastung. Echte Insekten sollen die Vergiftung uneroberter Territorien abchecken.

Sollte es jedoch in Ihrer Stadt noch nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen sein, so darf doch auch die Gefährlichkeit des befriedeten Zivillebens in urbanen Zusammenhängen nicht unterschätzt werden. In einem anderen Artikel weist RAND nämlich auf die gigantische Gefahr hin, die uns tagtäglich durch Terroristen und Kinderschänder dräut. Doch RAND wartet mit dem geeigneten Equipment auf: Mass Face Scanning. Städte werden in Zukunft flächendeckend von Videokameras erfasst, die Gesichter biometrisch erkannt und Bewegungen durch die Stadt nahtlos rekonstruiert: " ... Es gibt Belege, dass solche Überwachungen Verbrechen verhindern können. In Newham in England fiel die Kriminalitätsrate, nachdem die Polizei 300 Videokameras aufstellte und sie mit Gesichtserkennungs-Software verband. Wenn es auch möglich ist, dass die Kriminellen ihre Aktivitäten lediglich in andere Bezirke verlagert haben, wurde Verbrechen in Newham zumindest abgewehrt."

Zuerst sind also die Einkaufspassagen gesichert. Verbrechen hört natürlich erst auf, wenn auch das letzte Slumhaus videotechnisch überwacht wird, der letzte Ede Knack bis in die hintersten Winkel Grusiniens softwaretechnisch verfolgt werden kann.

NGOs im Visier

Abschließend seien noch internationale Bürgerrechts- und Umweltorganisationen darauf hingewiesen, dass sie sich seit geraumer Zeit im Visier der RAND befinden: "Der Kampf der Zukunft spielt sich nicht ab zwischen Armeen der führenden Staaten, und er wird auch nicht mit den Waffen der konventionellen Streitkräfte ausgefochten. Vielmehr stammen die Kämpfer aus bombenbauenden Terroristengruppen wie Osama bin Ladens Al Quaida, oder aus Drogenschmugglerkartellen wie jenen aus Kolumbien und Mexiko. Auf der positiven Seite sind jene Zivilgesellschaftsaktivisten, die für Umwelt, Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Was sie alle gemeinsam haben: sie operieren in kleinen, verstreuten Einheiten, die überall eingesetzt werden können, jederzeit bereit, einzusickern und Dinge zum Stillstand zu bringen. Sie alle bilden netzwerkartige Formationen der Organisation, Doktrin, Strategie und Technologie, angepasst an das Informationszeitalter. Und, von der Intifada bis zum Drogenkrieg erweisen sie sich als sehr schwer zu besiegen."

So lautet die Zusammenfassung eines RAND-Buches, das im Auftrag der US-Streitkräfte die Potentiale globaler Netzkriege auslotet. RAND hat die aufständische Region Chiapas in Mexiko als Hort einer neuen durchtriebenen Kriegführung ausgemacht. Die Zapatisten von der EZLN treten gar nicht mehr mit ihren rostigen Gurken von Waffen gegen Armeen an. Sie mobilisieren durch das Internet internationale Gruppen (NGOs) und die liberale Presse. Mit ihren Sperrmüllcomputern, durch schläfrige Analogleitungen, informieren sie die Weltöffentlichkeit, was gerade in Chiapas vorgeht. Für die RAND-Autoren ist dies ein Akt des Netzkrieges.

Ihren Kunden, den US-Militärs, deren kantige Kinnladen bei der Lektüre dieser Befunde vor Entgeisterung noch tiefer runterhängen dürften als sonst, versichern die RAND-Leute trotzig: "Die NGOs der globalen Zivilgesellschaft, deren Schwerpunkt eher im Informationsbereich als in Wirtschaft, Politik oder Militär liegt, könnten sich als mächtiger erweisen als die politischen und strategischen Instrumente im Computerzeitalter." In diesem Falle scheinen die RAND-Dienstleister eher ihre eigenen Interessen als die ihrer Kunden zu bedienen. Krampfhaft erproben sie die abwegigsten Konstruktionen, um die NGOs zu einer realen Gefahr für die Neue Weltordnung der Bushisten heraufzufrisieren. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vermutlich sieht RAND die NGOs als Konkurrenten, weil sie auf der selben Ebene wie sie selber zwischen Staat und Privatgesellschaft agieren.

Mal sehen, ob eine RAND-assoziierte Firma demnächst ein wirksames Produkt gegen NGOs auf den Markt bringt.

Fußnoten
  1. Aus einem Interview mit Robert Kaplan in Atlantic Monthly, Juli/August 2003
  2. Ebd. Atlantic Monthly nennt die Zahl von 170 infiltrierten Ländern, und Kaplan widerspricht nicht.
  3. Unglaublich, aber wahr. Die Geschichte mit den beschossenen Minaretten berichtet der "embedded journalist" Sean Maguire in der London Literary Review of Books, Vol 25, Nr. 11, 5. Juni 2003



Dieser Beitrag erschien in: Marxistische Blätter, Heft 6, 2003

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