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"Es ist die Wirtschaft, du Dummkopf!"

Die Demokraten wollen mit einer Job-Offensive Wähler zurückholen

Von Olaf Standke *

Selbstkritisch, kämpferisch und mit neuen Prioritäten ist Barack Obama in sein zweites Amtsjahr gegangen. Der Schwerpunkt der Regierungspolitik werde künftig auf der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Regulierung der Finanzmärkte liegen, sagte der USA-Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation am Mittwochabend (27. Jan.).

Es war sein erster Bericht zur Lage der Nation, und er könnte eine Zäsur in der Amtszeit Barack Obamas einleiten. Denn mit der Niederlage bei einer Senatsnachwahl in Massachusetts war die Euphorie des Neuanfangs in Washington endgültig der Ernüchterung gewichen. Nach den enormen Erwartungen bei seinem Amtsantritt sind die Umfragewerte Obamas inzwischen kräftig abgerutscht: Nur 56 Prozent der US-Amerikaner zeigen sich zufrieden mit seiner Politik, vor einem Jahr waren es noch 74. Lediglich 42 Prozent sehen ihn als hervorragenden Präsidenten, einst waren zwei Drittel der Befragten sicher, dass er im Weißen Haus Außerordentliches leisten werde.

Auch die Wahlniederlage im Kennedy-Land spiegelte die verbreitete Unzufriedenheit über die schleppende wirtschaftliche Erholung, eine hohe Arbeitslosigkeit (zehn Prozent) und die Rekordverschuldung von 1,4 Billionen Dollar im Vorjahr wider. Im November dieses Jahres stehen die nächsten regulären Kongresswahlen an, und die Demokratische Partei fürchtet weitere herbe Verluste. Vor allem beim Thema Wirtschaft kann ihr Präsident gerade noch 47 Prozent der Bürger überzeugen. Doch letztlich »It's the Economy, Stupid«, wie schon Bill Clinton wusste.

Kein Wunder also, dass Obama gerade hier Zeichen setzte. Ungeachtet des Verlustes der »Supermehrheit« im Senat will er aber auch an seinem wichtigsten innenpolitischen Wahlkampfversprechen, der Gesundheitsreform, festhalten. »Im Interesse des amerikanischen Volkes - lasst uns einen Kompromissweg finden«, appellierte er jetzt an die Republikaner im Kongress. Ohne Reaktion. Und selbst der Hinweis darauf, dass seine Regierung die Steuern gesenkt habe, »und zwar für 95 Prozent der arbeitenden Familien«, entlockte den Konservativen keinen Beifall. Sie ziehen seit Monaten gegen das »sozialistische« Projekt mit dem Argument zu Felde, es sei unbezahlbar und werde den so hart schuftenden Amerikanern nicht nur ein Stück Freiheit nehmen, sondern auch noch höhere Ausgaben bescheren.

Obama dagegen kündigte Steuererleichterungen für über eine Million kleinerer Firmen zur Förderung von Neueinstellungen oder Lohnerhöhungen an und will dafür die 30 Milliarden Dollar nutzen, die die Wall-Street-Banken zurückzahlen müssen. Er rief den Kongress dazu auf, umgehend ein von ihm vorgeschlagenes Arbeitsbeschaffungsprogramm zu verabschieden. Dabei warb der Präsident auch für mehr Jobs durch erneuerbare Energien. Man dürfe bei Innovationen nicht den Anschluss an Länder wie China, Deutschland oder Indien verlieren.

Er versprach bessere Schulen, Straßen und Schienenwege - will aber zugleich zur Reduzierung des Haushaltsdefizits einen Teil des Etats einfrieren. Eine Kommission soll Wege zum Schuldenabbau finden. Bereits im Haushaltsjahr 2010 werde es Einsparungen in Höhe von 20 Milliarden Dollar geben. Notfalls werde er Haushaltsdisziplin mit seinem Veto durchsetzen, drohte Obama. Zugleich setzte sich der Präsident für eine strengere Regulierung der Finanzmärkte ein. Er wolle die Banken nicht bestrafen, verteidigte auch das viel kritisierte Rettungsprogramm für die Finanzinstitute, doch müsse die Wirtschaft vor jenem leichtsinnigen Verhalten geschützt werden, das fast das ganze System zum Einsturz gebracht habe.

Seiner Regierung bescheinigte der Redner dagegen, die Wirtschaft, wenn auch mit unpopulären Maßnahmen, aus der Rezession geführt zu haben. Das Schlimmste des Sturms sei überstanden, aber er wisse sehr wohl, dass »die Verwüstung bleibt«. So präsentierte sich Obama als Präsident, der die Sorgen Joe Sixpacks, des sprichwörtlichen »kleinen Mannes«, versteht. Weißes Haus und Kongress müssten die »ätzenden Zweifel daran, wie Washington arbeitet«, ab- und neues Vertrauen gemeinsam »mit gesundem Menschenverstand« aufbauen. Und dabei auch den übermäßigen Einfluss von Lobbyisten auf die Politik beenden.

Bei aller Verunsicherung der Bürger, bei allen Rückschlägen seiner Regierung im ersten Amtsjahr - »wir geben nicht auf, ich gebe nicht auf«, versicherte Barack Obama. Es klang, als müsste sich der Hoffnungsträger in seiner ersten Amtskrise selbst Mut machen.

Schulden am Hindukusch

Rund 70 Minuten sprach Barack Obama vor dem Kongress. Kaum oder gar nicht berührt wurden dabei die großen Themen seines ersten Amtsjahres, ob Guantanamo, Klimaschutz oder Afghanistan-Krieg. Nichts habe das Land in seiner Geschichte derart vereint wie seine Sicherheitsinteressen, betonte der Präsident. Die Lücken, die durch den Anschlagsversuch auf eine Passagiermaschine zu Weihnachten sichtbar geworden seien, werde man schließen. Während man sich auf Al Qaida in Afghanistan konzentriere, verließen die Streitkräfte »verantwortungsvoll« Irak. »Wir werden unsere Truppen dort bis August herausgeholt haben«, versprach Obama.

Im April soll es bei einem nuklearen Sicherheitsgipfel mit 45 Teilnehmerstaaten um die Sicherung allen »ungeschützten nuklearen Materials« gehen, damit es nicht in Terroristenhände falle. Die USA hätten auch ihre diplomatischen Bemühungen im Umgang mit jenen Ländern verstärkt, die nach Atomwaffen strebten. Die internationale Gemeinschaft trete nun geschlossen auf, Nordkorea oder Iran dagegen seien isoliert. Obama drohte Teheran: »Wenn die iranischen Führer weiter ihre Verpflichtungen ignorieren, dann sollte es keinen Zweifel daran geben - auch auf sie werden stärkere Konsequenzen zukommen.« Der Präsident bekräftigte sein Ziel einer atomwaffenfreien Welt. So vollendeten jetzt die USA und Russland Verhandlungen über den weitestreichenden Waffenkontrollvertrag seit fast zwei Jahrzehnten.

Kurz skizzierte Obama auch noch einmal die Strategie Washingtons am Hindukusch: Man werde die Zahl der eigenen Soldaten erhöhen und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken, so dass sie im Juli nächsten Jahres die Dinge selbst in die Hand nehmen »und wir beginnen können, unsere Truppen nach Hause zu holen«. Man wolle »Gutes Regieren« in Kabul und den Abbau der Korruption honorieren sowie die Rechte aller Afghanen, ob Männer oder Frauen, sichern. Dabei setzten die USA auf das verstärkte Engagement der Verbündeten, mit denen man auf der Londoner Afghanistan-Konferenz diese Absicht bekräftigen werde.

»Schwere Zeiten liegen vor uns«, sagte Obama, »doch ich bin überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden.« Mehr als 70 Delegationen haben gestern in London erklärt, Präsident Karsai nun stärker in die Pflicht nehmen zu wollen - nicht nur mit einer schrittweisen Übertragung der Sicherheitsaufgaben schon ab Ende dieses Jahres, sondern auch mit einem Programm zur Wiedereingliederung gemäßigter Taliban. Wie groß der versprochene internationale Afghanistan-Fonds für den zivilen Wiederaufbau wird, wusste jedoch niemand zu sagen. Karsai fordert allein 500 Millionen Dollar für sein Versöhnungsprogramm.

Die zusätzlichen 30 000 US-Soldaten werden Washington mindesten 30 Milliarden Dollar mehr kosten. Bislang gab man monatlich 3,6 Milliarden Dollar für den Krieg aus. Auch er wird auf Kredit finanziert - vorwiegend von ausländischen Gläubigern wie etwa China. Trotzdem denkt Obama nicht an die Militärausgaben, wenn er davon sprach, große Teile des Haushalts einzufrieren, um das Rekorddefizit endlich unter Kontrolle zu bekommen. Das Pentagon steht noch immer über den Sorgen um den »kleinen Mann«. Olaf Standke



* Aus: Neues Deutschland, 29. Januar 2010


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