Kritik an Obamas Zickzackkurs
Syrien-Rede des USA-Präsidenten zwischen diplomatischem Durchbruch und militärischer Drohung
Von Max Böhnel, New York *
In einer
viertelstündigen Rede zur besten Sendezeit plädierte USA-Präsident Barack Obama am Dienstagabend (Ortszeit) erneut für Militärangriffe auf Syrien, falls die jüngste diplomatische Initiative Russlands scheitert. Überzeugend wirkte er auf die skeptische Öffentlichkeit damit jedoch nicht.
Wie oft Barack Obama und seine Redenschreiber die im Weißen Haus live gesprochenen Sätze vorher noch schnell umschreiben mussten, ist nicht bekannt. Es dürfte einige Male gewesen sein, wie das hektische Hin und Her auf dem diplomatischen Parkett seit Montag nahelegt. War bis dahin eine scharfe Rede erwartet worden, die den skeptischen Washingtoner Kongress von der Richtigkeit und Unvermeidlichkeit von Bomben- und Raketenangriffen auf Syrien hätte überzeugen sollen, so trat Obama am Dienstagabend um 21 Uhr Ostküstenzeit im letzten Drittel seiner Ansprache doch noch auf die Bremse.
Denn noch am selben Tag hatte Syrien auf einen russischen Vorstoß hin die Bereitschaft erklärt, seine Chemiewaffen aufzugeben. Dafür hatte schon wenige Minuten danach das Weiße Haus für sich die Lorbeeren beansprucht. Mit den Worten von Obamas Sprecher Jay Carney: »Dieser potenzielle diplomatische Durchbruch kam wegen der glaubwürdigen Drohung mit einem Eingreifen der USA zustande.« Obama nannte die russische Initiative in seine Rede ein »ermutigendes Zeichen«. Sie habe »das Potenzial, die Bedrohung durch chemische Waffen ohne den Einsatz militärischer Gewalt zu beseitigen«. Um dem diplomatischen Lösungsweg mehr Zeit zu geben, habe er den Kongress gebeten, das Votum über den Militäreinsatz aufzuschieben. Darüber hinaus seien die USA an der Kooperation mit Russland für die Erarbeitung einer UN-Resolution interessiert, um den Syrien-Plan umzusetzen. Am Donnerstag soll USA-Außenminister John Kerry deshalb in Genf seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow treffen.
Gleichwohl rührte Obama in den ersten zehn Minuten seiner Rede die Kriegstrommel. Der Giftgasangriff gegen die syrische Bevölkerung am 21. August sei als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« zu werten und »eindeutigen Beweisen zufolge« auf das Assad-Regime zurückzuführen. Es habe mit tödlichem Gas gefüllte Raketen auf Gebiete abgefeuert, die von den Aufständischen kontrolliert wurden. Obama zog mit dem Begriff »Vergasung« einen Bogen vom Ersten Weltkrieg über den Holocaust bis zu Assad, der zur Verantwortung gezogen werden müsse. Deshalb habe er sich zunächst für einen »begrenzten Militärschlag« entschieden, sagte Obama. Die USA-Armee stehe dafür in Bereitschaft.
Eine Weltpolizei seien die USA nicht, so Obama, »aber die Ideale, Prinzipien und die nationale Sicherheit der USA stehen in Syrien auf dem Spiel«. Wenige Minuten später behauptete der Präsident das Gegenteil. Da nach den Giftgasangriffen am 21. August keine unmittelbare Gefahr für die nationale Sicherheit der USA bestanden hätte, habe er von seinem Recht als Oberkommandierender keinen Gebrauch gemacht und den Kongress vor Militärangriffen um Zustimmung gebeten.
In einer CNN-Blitzumfrage unmittelbar nach der Rede erklärten sechs von zehn US-Amerikanern, sie würden Obamas Herangehensweise befürworten. Fast zwei Drittel sagten, die Probleme in Syrien würden am ehesten durch Diplomatie und Verhandlungen gelöst. Die Hälfte der Befragten gab sich dabei »nicht überzeugt« von Obamas Argumenten für ein militärisches Eingreifen. Damit konnte der Präsident seine in den Keller gerutschten außenpolitischen Umfragewerte nur geringfügig aufbessern.
Auch in den Medien überwogen skeptische bis scharfe Kritiken. Der ehemalige Chefredakteur der »New York Times« Bill Keller schrieb in einer Kolumne für das Blatt, es sei rein technisch unmöglich, alle syrischen Chemiewaffen zu finden und außer Landes zu schaffen. Washington habe sich bei einem »Schachspiel« mit Moskau zu einem »leichtsinnigen Bauernzug« hinreißen lassen. Im rechten Fernsehsender »Fox« hieß es, die Rede habe »null Effekt« auf die kriegsmüden Amerikaner.
Der Nahostexperte Professor Shibley Telhami von der University of Maryland, der der Regierung mehrmals als außenpolitischer Berater gedient hatte, erklärte im Online-Politikmagazin »Politico« anhand einer langen Liste von Widersprüchen, dass die Obama-Rede von einem »Mann stammt, der mit sich selbst uneins ist«. Der Präsident kämpfe eine »verlorene Schlacht, die Welt, das amerikanische Volk und den Kongress von der Notwendigkeit eines Angriffs auf Syrien zu überzeugen. Dafür hat er die Stimmen einfach nicht, und das weiß er.« Ironischerweise sei es allein der russische Vorschlag, der Obamas Dilemma lösen und ihm die Chance eröffnen könnte, das Gesicht zu wahren.
Der weltberühmte Linguist Noam Chomsky, bekannter Kritiker der USA-Außenpolitik, ging am Mittwochmorgen im linken Radioprogramm »Democracy Now« noch weiter. Der russische Vorschlag sei für den Präsidenten »ein Geschenk des Himmels«, da er ihn vor einer schlimmen außen- wie innenpolitischen Niederlage bewahren könnte. Auch unter Obama würden sich die USA international als »Schurkenstaat« gebärden, der sich nicht um das Völkerrecht Recht schere. Die Kriegsdrohung gegen Syrien sei »an sich schon ein Verstoß gegen die UN-Charta«.
Interessant, so Chomsky, seien in der Obama-Rede auch die Auslassungen gewesen. Denn gerade jetzt biete sich die einzigartige Gelegenheit, im Pulverfass Naher Osten ein Verbot chemischer Waffen durchzusetzen. Entgegen der Aussage Obamas verbiete die C-Waffen-Konvention nicht nur den Gebrauch, sondern auch die Produktion und die Lagerung dieser Massenvernichtungsmittel. Obama habe das nicht erwähnt, um den Verbündeten Israel nicht zu brüskieren. Der hat die Konvention zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Der Rest der Rede sei für einen USA-Präsidenten nicht ungewöhnlich, aber trotzdem wieder schockierend gewesen, sagte Chomsky. Er verwies auf den Satz, die USA seien »seit sieben Jahrzehnten ein Anker globaler Sicherheit«, und nannte als eines von Dutzenden Gegenbeispielen den CIA-gestützten Putsch in Chile vor genau 40 Jahren.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. September 2013
Die meisten Israelis wollen keinen Krieg gegen den Nachbarn
Verunsicherung und Sorge vor einer Eskalation waren in den vergangenen Tagen allgegenwärtig
Von Oliver Eberhardt, Jerusalem **
Viele Israelis sind erleichtert, dass es vorerst keinen Angriff auf Syrien geben wird. Noch in der vergangenen Woche war die Sorge vor einer Eskalation allgegenwärtig. Und die eigene Regierung wie auch Soldaten aus den USA trugen maßgeblich dazu bei.
»Also«, die drei Soldaten schauen interessiert, auch wenn sie nach dem x-ten Bier sichtbar Mühe haben, die Blicke auf der Landkarte zu fixieren, »also das da«, der Wirt der Kneipe im Hafenviertel von Haifa deutet in Richtung Karte, »das ist Ägypten. Und da hinten, das ist Syrien. Merkt euch das. Nicht, dass ihr noch vorbeischießt.«
Die anderen Gäste schauen amüsiert, erleichtert und bestürzt zugleich. »Absolut unfassbar«, sagt ein älterer Mann betont langsam. Gut eine Stunde lang hat der Trupp US-Soldaten, mit dem die Drei in die Kneipe gekommen sind, die Anwesenden in ohrenbetäubender Lautstärke darüber informiert, dass »Äissaahd« endlich einen Denkzettel verdiene, denn: »Es ist Zeit, den Islamismus auszurotten.« Behauptete jedenfalls einer, der von sich sagte, er sei Offizier. Auf den Einwand, dass Syriens Präsident eher kein Islamist sei, das seien vielmehr einige der Rebellen, erwiderte er, Assad werde von Iran unterstützt, was ihn sehr wohl zum Islamisten mache. Als dann auch noch betont wurde, wie wichtig es sei, den Suezkanal zu schützen, war klar, dass da etwas mächtig durcheinandergeraten ist.
Es sind Situationen wie diese, die in diesen Tagen für große Verunsicherung in Israel sorgen. Nie zuvor, das geht aus Umfragen hervor, hatten so viele Israelis das starke Gefühl, dass die Interessen der USA und Israels auseinandergehen. Und in Momenten wie diesem wächst die Verunsicherung. Mehrere Tausend Marinesoldaten durften in den vergangenen Tagen zum letzten Mal vor einem möglichen Angriff auf Syrien in Israel an Land gehen. Und der Kontakt zwischen ihnen und den Menschen im Lande hat vielen vor Augen geführt, dass »in einem fernen Land, in dem man wenig über die Situation in der Region weiß, über unser Leben oder unseren Tod entschieden wird, ohne die Menschen zu fragen, ob sie das auch wollen«. So fasste es ein Fernsehkommentator zusammen.
Die meisten Israelis wollen keinen Krieg in Syrien, sie haben Angst davor. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Da ist die angeschlagene Wirtschaft, die unter einem Ausnahmezustand weiter leiden würde. Da sind auch die massiven Einschnitte im Sozialhaushalt: Durch die Kürzung des Kindergeldes sind vielen Israelis erhebliche Summen genommen worden. Eine Mobilisierung würde jene, die nicht auf Lohnfortzahlung bauen können, was in unteren und mittleren Einkommensgruppen regelmäßig der Fall ist, an den Rande des Ruins treiben.
Und außerdem: Man sieht den Sinn von Luftschlägen nicht. »Was ist das Ziel? Was, wenn die Rebellen mittlerweile auch Giftgas haben?«, fragte der 38-jährige Eli Maoz, während er in Tel Aviv in einer gigantisch langen Schlange wartete. Vier Stunden schon, wie er sagte. Wie alle anderen auch wollte er eigentlich nur Gasmasken für sich und seine Familie.
Auch das ist seit den Sparmaßnahmen nicht mehr so einfach: Die neue Regierungskoalition, die zu einem erheblichen Teil aus Parlamentsneulingen besteht, hat die Zahl der Ausgabestellen und die Lagerbestände reduzieren lassen. Weil man davon ausging, dass Giftgas in der heutigen Zeit kein Thema mehr sein werde. Wirklich um Abhilfe bemüht ist die Regierung erst, seit vor Tagen eine Ausgabestelle stundenlang von der Polizei geschlossen wurde, um einer Produktionsfirma das Filmen einer Serienepisode zu ermöglichen. Denn nun steht Premierminister Benjamin Netanjahu selbst in der Kritik. Jüngst erklärte er in einem Interview: »Es wird alles werden.« Eine Äußerung, die an den Golfkrieg Anfang der 90er Jahre erinnert. Damals antwortete ein Mitarbeiter von Regierungschef Yitzhak Schamir auf die Reporterfrage, wie man den Sorgen und Nöten der Menschen gerecht zu werden gedenke: »Sie sollen einen Schluck Wasser trinken.«
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. September 2013
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