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Die Sprache aller Zungen

Woody Guthrie zum 100.

Von Gerd Bedszent *

Es ist eine wilde Zeit, in die Woodrow Wilson Guthrie am 14. Juli 1912 hineingeboren wird: Als Heranwachsender mußte er in Okemah, Oklahoma, lernen, sich mit Fäusten seiner Haut zu wehren. Die Ölfunde des Jahres 1920 hatten dazu geführt, daß Glücksritter und Abenteurer aller Art in die Kleinstadt strömten. Sein Vater war ein zum Tagelöhner heruntergewirtschafteter Grundstücksspekulant. Erst ging der Ölboom zu Ende, dann begann die Weltwirtschaftskrise, und schließlich setzte im »Dust Bowl« des mittleren Westens der USA auch noch eine Dürrekatastrophe ein. Der junge Maler und Sänger Woody machte sich auf den Weg in das vielgelobte Wunderland Kalifornien.

Hierüber hat er in seiner nun abermals in deutscher Sprache neu aufgelegten Autobiographie »Dies Land ist mein Land« geschrieben. In den USA erschien sie 1943 unter dem Titel »Bound for Glory«. Damals war Guthrie schon ein Folk-Star, bekannt geworden durch seine »Dust-Bowl Ballads«. Der zweite Teil seiner sehr gut zu lesenden Autobiographie ist irgendwo angesiedelt zwischen Jack Londons »Abenteuer des Schienenstrangs« und Jack Kerouacs »On the road«. Als Hobo mit Gitarre singt Guthrie ein wildes Lied der Straße, eine Anklage gegen Verhältnisse, die die Menschen entwurzeln, aber auch ein Hohelied auf gegenseitige Hilfe, die ihnen das Überleben ermöglicht. Deutlich ergreift er Partei gegen gierige Farmbesitzer, die die Not der Wanderarbeiter schamlos ausnutzen und die Löhne ins Bodenlose drücken, und gegen Rassisten, die die halbverhungerten Armen aufeinanderhetzen. »Die Welt wird von Räubern gedreht und gerollt / Sie rauben mit dem Füller und sie rauben mit dem Colt«, heißt es in einem seiner bekanntesten Songs (in der deutschen Übersetzung von Hans-Eckart Wenzel).

Guthrie beherrschte in seinen Songtexten genau das, was der heutzutage hochgezüchtete bürgerliche Kulturbetrieb schon seit langem verlernt hat: eine schonungslose Reflexion sozialer Wirklichkeit, die nicht in Depression endet, sondern dem Publikum Mut machen soll. »Und dort auf der Texas-Ebene, mitten im toten Punkt des Dust-Bowl, der Ölboom vorbei und der Weizen verweht, und die schwer arbeitenden Leute stolpern nur herum, geplagt von Hypotheken, Schulden, Rechnungen, Krankheit, daherwehenden Sorgen aller Art – da sah ich, es gab dort genug Stoff, um Lieder darüber zu machen. Einige Leute liebten mich, haßten mich, gingen mit mir, gingen über mich, höhnten und tönten, tobten und lobten, (…) aber ich entschied, daß Lieder Musik waren und eine Sprache aller Zungen«, schreibt Guthrie in seiner Autobiographie.

Wie schon seine Mutter litt Guthrie an der unheilbaren Nervenkrankheit Chorea Huntington. Mitte der 1940er Jahre zeigte er erste Symptome, Mitte der 1950er Jahre konnte er keine Musik mehr machen, wurde zum Pflegefall und starb 1967 in einem New Yorker Krankenhaus.

Nicht ganz zu Unrecht gilt er in verschiedenen Kreisen als Kommunist. Zwar war er nie KP-Mitglied, doch er unterstützte sie und schrieb regelmäßig in der kommunistischen Presse. Für die Gewerkschaft sang er seine berühmten Zeilen »You can’t scare me, I’m sticking to the union«. Bis die Krankheit ausbrach, war er überaus produktiv. Als der Schriftsteller John Steinbeck sein Lied »Tom Joad« hörte, zu dem Guthrie durch die Verfilmung des berühmten Steinbeck-Romans »Früchte des Zorns« angeregt worden war, soll er ausgerufen haben: »Dieser Hurensohn! Er hat in einer Nacht das niedergeschrieben, wofür ich zwei Jahre brauchte.«

Zusammen mit Pete Seeger gründete Guthrie 1941 die Band Almanac Brothers als Keimzelle der Protestsongkultur. Aus ihr gingen die Weavers hervor, mit denen Seeger in den 1950ern auch kommerziell sehr erfolgreich war.

Guthrie hat zahlreiche Musiker beeinflußt, der bekannteste ist Bob Dylan, der sich an seinem unprätentiösen nasalen Gesang schulte und Guthrie auch in Popkreisen durchsetzte. Im Nachwort zu »Dies Land ist mein Land« schreibt Michael Kleff, daß ohne Woody Guthrie die großen Protestbewegungen ab Mitte der 1960er Jahre anders ausgesehen hätten.

»Woody ist ein Anstifter«, vermerkte der Liedermacher Hans-Eckart Wenzel 2003 in den Liner-Notes zu seinem Album, »Ticky Tock«, auf dem er Guthrie-Songs neu bearbeitete. Der Anstifter einer »internationale (n) Kultur, deren Reflex auf die höllischen Phänomene der Industrialisierung nie in pure Wald- und Wiesenseligkeit verkam«.

Woody Guthrie: »Dies Land ist mein Land«. Edition Nautilus, Hamburg 2012, 448 Seiten, 19,90 Euro * 2. aktualisierte Auflage, aus dem Englischen von Hans-Michael Bock

* Aus: junge Welt, Samstag, 14. Juli 2012


Drei Stürme, eine Gitarre

Zum 100. Geburtstag von Woody Guthrie

Von Victor Grossman **


Woody Guthries Karriere begann mit einem Sturm. Kein Beifallssturm war das, sondern einer aus schwarzem Staub. Der bedeckte 1935 das riesige Präriegebiet der USA - auch in Oklahoma, dem Heimatstaat jenes jungen Mannes, der (neben Robeson, Eisler, Busch, Victor Jara und Pete Seeger) einer der größten »Liedermacher« der Welt werden sollte. Woodrow Wilson Guthrie - genannt Woody - folgte damals den Hunderttausenden von notleidenden Farmerfamilien nach Kalifornien.

Als halbes Waisenkind wild aufgewachsen, hatte Guthrie neben dem Schildermalen und dem Herumtreiben auch das Gitarrespielen gelernt - und viel gelesen. Für die Menschen, die wie er selbst nach Los Angeles ausgewandert waren, begann er dort in täglichen Live-Radiosendungen jene Lieder zu singen, mit denen sie aufgewachsen waren, ergänzt durch aktuelle Neudichtungen auf alte Melodien. Oft ging es darin um die erbärmliche Situation der Zugewanderten; um Kartoffel-Eintopf, der so dünn ist, das man durch ihn eine Zeitschrift lesen kann, oder um »Do-Re-Mi« (was ein Slang-Wort für Geld ist), ohne das auch die neue Heimat sich nicht als Paradies offenbart.

Guthries bissig ironische, dabei oft augenzwinkernd humorvolle Songs ließen die Leute weinen und lachen, und sie ließen sie ihre Fäuste ballen. In schlichter Volkssprache gehalten, waren sie zum Nachsingen geradezu angetan.

Die Lieder schickte er, auf lose Blätter abgezogen, an sein rasch wachsendes Publikum. »Dieses Lied steht für 28 Jahre unter Copyright Nr. 154085«, stand auf einem dieser Zettel, »und wer sich ohne unsere Erlaubnis beim Singen erwischen lässt, wird unser ganz großer Freund, denn das ist uns Wurst. Verlegt es. Schreibt es ab. Singt es. Tanzt dazu oder jodelt. Wir schrieben es, mehr wollten wir nicht.«

An der Seite von Kommunisten zog Guthrie bald mit Liedern und Sketchen durch ganz Kalifornien, um Geld für die ausgebeuteten Okies, wie die Farmer aus seiner Heimat genannt wurden, zu sammeln. Und, um sie zum Widerstand zu ermuntern.

Weniger ermuntert war seine junge Frau Mary, bald Mutter dreier Kinder. Guthrie liebte seine Familie, konnte aber seine Wanderlust nie überwinden. So stark sein Verantwortungsgefühl für die Armen der Welt war, seine Liebsten ließ er darüber oft allein.

Guthrie folgte einer Einladung nach New York, das er bald mit spöttischen Liedern bedachte. Aber er fasste Fuß in der Stadt. Für Sendungen, die im ganzen Land ausgestrahlt wurden, zahlte ihm eine Tabakfirma so viel Geld, wie er nie im Leben bekommen hatte (»Ich decke mich nachts damit zu.«) Er holte die Familie nach. Die Kinder bestaunten den Zoo und die Spültoilette, die sie stundenlang betätigten. Endlich konnte Mary ein normaleres Leben führen. Aber nicht lange. Die Firma wollte Werbung in die Lieder einflechten, linke Texte waren tabu. Guthrie sträubte sich: So könne er nicht singen. Also steckte er die Familie in ein Auto, das längst noch nicht abgestottert war, und fuhr 5000 Kilometer bis in den Bundesstaat Washington, wo er Lieder über das Projekt eines riesigen staatlichen Staudammes schreiben sollte. Binnen eines Monates schuf er 28 Lieder, mindestens drei davon Meisterwerke. Dann wollte er weiter - und Mary machte Schluss.

Im (leeren) Viehwaggon reiste er zurück nach New York und bildete mit Seeger, Leadbelly und anderen Meistern eine lockere Gemeinschaft, die gemeinsam wohnte, stritt und vor allem sang. Diese »Almanac Singers« (die einzige Gruppe, »die ihre Proben erst auf der Bühne macht«,) schuf bei ihren später »Hootenanny« genannten Konzerten Lieder, die noch heute gesungen werden.

Inzwischen jedoch nahte ein Sturm, der noch weitaus gefährlicher war als jener aus schwarzem Staub: der Faschismus. Die »Almanacs« sangen Lieder gegen Hitler, dann zogen sie in den Krieg. Guthrie war Küchengehilfe auf Transportschiffen. Einst gelang es ihm, während einer Seeschlacht die Rekruten durch lautes Singen zu beruhigen - gegen alle Regeln mit schwarzen und weißen Soldaten gemeinsam!

Seinen Hass gegen Faschisten, solche in Europa und solche zu Hause, behielt Guthrie zeitlebens. Ich erinnere mich daran, wie wir uns als Studenten an der Harvard-Universität an Guthries Songs erfreuten, anfangs aber über die Losung stutzten, die jahrelang auf seine Gitarre gemalte war: »Diese Maschine tötet Faschisten!«

Noch vor Kriegsende nahte ein dritter Drecksturm: der Antikommunismus. Für einstige Gefährten, die nun nicht tief genug kriechen konnten und alte Freunde und Genossen denunzierten, hatte Guthrie nur Verachtung übrig. Bis heute ist unklar, ob er jemals Mitglied der Kommunistischen Partei geworden ist. Jedenfalls schrieb er eine Zeit lang eine humorvolle Kolumne für die Parteizeitung.

Seit 1942 war Guthrie mit der Tänzerin und Tanzpädagogin Marjorie Mazia liiert und später verheiratet. Ihr ist es zu danken, dass er sich nicht nur ordentlicher pflegte - sein oft ungekämmter Lockenkopf und das unrasierte Kinn sind Legende -, sondern auch ein eigenwilliges autobiografisches Buch schrieb: »Bound for Glory«. Zwei der vier gemeinsamen Kindern Mazias und Guthries sind der Sänger Arlo und die Guthrie-Archivarin Nora. Doch die erste Tochter, Cathy Ann, die er über alles liebte und für die er unvergessliche Kinderlieder schrieb, starb vierjährig durch einen Brandunfall. Das traf ihn äußerst hart - zumal seine geliebte Schwester eines ähnlichen Todes gestorben war.

Guthrie litt an einer fortschreitenden Krankheit, die zunächst als Folge seines Alkoholkonsums betrachtet wurde. Tatsächlich war es die Huntington-Krankheit (früher Veitstanz), an der bereits seine Mutter gestorben war. Durch dieses furchtbare Leiden in seiner Bewegung, seinem Spielen, auch psychisch gestört, wanderte er weiter, wurde Vagabund. Mit der Einweisung in ein Krankenhaus endete die Wanderschaft. Hier fristete er die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens. Am 3. Oktober 1967 starb Woody Guthrie.

Seine Lieder - und seine Prinzipien - sind nicht unumstritten, aber unsterblich. Sie waren eine Inspiration für Freunde wie Pete Seeger, anfangs auch für Bob Dylan, für Generation von weiteren Sängern: Billie Bragg, Bruce Springsteen oder Tom Morello, der heute für die Occupy-Bewegung singt. Kurz vor Barack Obamas Amtseinführung sangen Seeger und Springsteen 2008 vor einer halben Million Menschen vor dem Capitol in Washington Woodys bekanntesten Lied »This Land is my Land«, das heute fast als zweite Nationalhymne gilt. Sie sangen aber auch jene drei Strophen, die kaum oder nie in den Schulen gesungen werden. Darin deutet Guthrie das lange Band aus Fernstraßen, das von Kalifornien bis nach New York führt, als Weg zum Glück, zur echten Freiheit, zum Sozialismus.
  • Eine aktualisierte Neuauflage der deutschen Übersetzung von Woody Guthries Autobiografie erschien jetzt unter dem Titel »Dies Land ist mein Land« (Edition Nautilus, 448 S., brosch., 19,90 €) - mit Vorwort von Billy Bragg und Guthries Original-Zeichnungen.
  • Zum 100. Geburtstag erschien zudem Barbara Mürdters Biografie »Woody Guthrie - Die Stimme des anderen Amerika«. Verlag neues leben, 240 S., geb., 17,95 €.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Juli 2012


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