Die britischen "Peaceniks" bleiben wachsam
Friedensbewegte knüpfen an die Tradition der Aldermaston-Märsche an
Von Thomas Kachel *
50 Jahre Ostermärsche, fünf Jahre "Stop the War": Die britische Friedensbewegung ist nach wie vor eine politische Größe auf der Insel.
Am vergangenen Wochenende jährten sich zwei Daten, die zeigen, wie traditionsreich das
Friedensengagement in Großbritannien ist: Vor 50 Jahren begannen die »Aldermaston Marches«,
die Ostermärsche gegen das britische Atomwaffenprogramm. Sie wurden als Modell für ganz
Westeuropa zum festen Friedenstermin.
Die Ostermärsche begannen 1958 mit einem Aufruf zur Einstellung der Produktion von
Atomwaffensprengköpfen in der Atomforschungsanlage Aldermaston. Sie zogen eine breite Koalition
von Friedensbewegten an: Liberale, Künstler, Gewerkschaftsaktivisten. Linke marschierten
gemeinsam – und bekamen, von der konservativen Presse prompt als Moskauer Satelliten
verdächtigt, den Spitznamen »Peaceniks« verpasst. Den tragen sie bis heute. Veranstalter war die
im selben Jahr gegründete CND, die Kampagne für nukleare Abrüstung, die sich auch heute noch
der einseitigen nuklearen Abrüstung Großbritanniens verpflichtet sieht. In den frühen 80ern war die
CND auf dem Höhepunkt ihres öffentlichen Profils – die Friedenscamps bei Greenham Common
wurden zu einem Symbol des Widerstands gegen die Stationierung US-amerikanischer Pershing-IIRaketen
in Westeuropa.
1982 ging die Labour Party mit dem Ziel der einseitigen nuklearen Abrüstung in den Wahlkampf,
verlor jedoch haushoch; die britische Öffentlichkeit war mehrheitlich für einseitige Abrüstung nicht zu
gewinnen. Seitdem, und erst recht seit Ende des Kalten Krieges, ging die Zahl der Teilnehmer an
den Ostermärschen zurück, und auch das Camp in Greenham Common löste sich auf.
CND blieb aber weiter aktiv, und ihre Netzwerke bildeten eine Grundlage für die Renaissance der
Friedensbewegung vor fünf Jahren, vor dem Angriff auf Irak. Auch die Organisatoren der neuen
Welle britischen Friedensengagements sehen sich durchaus in der Tradition der Ostermärsche; in
der Tat haben viele der jetzt Aktiven in der »Stop the War Coalition« ihre politische Sozialisation bei
den Ostermärschen und im CND begonnen.
Am 15. Februar 2003 triumphierten die Friedensbewegten in Europa, und besonders in
Großbritannien: Fast zwei Millionen Menschen kamen nach London, um Tony Blair zu zeigen, dass
er nicht im Namen der britischen Bevölkerung sprach. Durch Umfragen belegt, stand die Mehrheit
der Briten tatsächlich auf Seiten der Friedensbewegten.
Diesen Erfolg hatte die Koalition »Stop the War« zwei Umständen zu verdanken: zum einen der
Zugkraft eines konkreten Anliegens (»Don’t attack Iraq!«), zum anderen aber auch der Tatsache,
dass sich die Friedensaktivisten aus einer politisch recht engen linken Ecke heraus begaben und mit
einer anderen neuen politischen Kraft kooperierten – den Verbänden der Eingewanderten. Der
Erfolg wirkt bis heute nach. Der regierungsamtlichen Verschleierungsrhetorik steht eine skeptische
Öffentlichkeit gegenüber, die die imperialistischen Reflexe ihrer Eliten durchschaut. In einer Umfrage
zum fünften Jahrestag der Invasion sahen die Briten die Eroberung der Ölressourcen mehr als jede
andere Motivation als wahren Grund für den Krieg im März 2003 an.
Dass es gelungen ist, diese Skepsis in den Köpfen einer Mehrheit von Briten festzusetzen, ist für
sich schon ein großer Erfolg der Aktivisten von Ostermärschen und Antikriegskoalition. Nicht von
ungefähr gilt vielen britischen Journalisten als ausgemacht, dass sich New Labour außerstande
sieht, ein militärisches Vorgehen gegen Iran auch nur öffentlich zu erwägen. Andrew Murray, einer
der Vorsitzenden der Stop-the-War-Coalition, schrieb im »Guardian« durchaus richtig: »Welchen
Krieg haben wir (am 15. Februar 2003) verhindert? Den nächsten.«
An die Erfolge vom Februar 2003 will nun auch die Kampagne anknüpfen. Die CND-Vorsitzende
Kate Hudson hatte dazu aufgerufen, am Ostermontag zum 50. Jahrestag des ersten Ostermarschs
wieder nach Aldermaston zu ziehen. Angesichts des neuen Atomprogramms von New Labour, das
die komplette Erneuerung aller britischen U-Boot-gestützten Atomraketen vorsieht (Kosten: 22
Milliarden Pfund), und der Drohung in der am vergangenen Mittwoch vorgestellten neuen
Sicherheitsstrategie, sich »um gescheiterte Staaten bemühen« zu wollen, scheint das wieder mehr
als geboten.
* Aus: Neues Deutschland, 25. März 2008
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