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Viel Unmut im tschechischen Wahlvolk

Wahlen zum Senat und zu den Regionalvertretungen werden zur Zitterpartie für die Regierung

Von Jindra Kolar, Prag *

Die tschechische Regierungskoalition unter Petr Necas (Demokratische Bürgerpartei - ODS) steht vor ihrer nächsten Zitterpartie: An diesem Freitag und Sonnabend ist das Wahlvolk erneut zu den Urnen gerufen.

In Tschechien werden ein Drittel der Senatoren und die Regionalvertretungen neu bestimmt. Wenngleich die Abstimmung nicht den Stellenwert einer Wahl zum Abgeordnetenhaus hat, ist sie doch ein Stimmungsbarometer.

Schon derzeit verfügen die oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) im 81-köpfigen Senat über eine Mehrheit von 41 Mandaten. Heute und morgen wird in 27 Kreisen gewählt, darunter sind 19 mit einem Senator aus den Reihen der ODS. Angesichts der Unzufriedenheit über die Zustände im Lande könnten diese Wahlen zu weiteren Verlusten für die konservative Koalition aus ODS, TOP 09 und Veci Verejne (Öffentliche Angelegenheiten - VV) führen. Denn auch Tschechien leidet unter der Krise, sowohl der gesamtstaatliche als auch die meisten Regionalhaushalte sind überschuldet, und immer neue Korruptionsfälle kommen ans Licht: Erst in der vergangenen Woche kündigte Arbeits- und Sozialminister Jaromir Drabek (TOP 09) seinen Rücktritt an. Drabek übernimmt damit die Verantwortung für das Handeln seines Stellvertreters Vladimir Siska, der wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft sitzt. Drabeks Rücktritt ist bereits der zehnte eines Ministers in der erst zweijährigen Regierungszeit der Necas-Koalition, die vor allem versprochen hatte, gegen Korruption und Amtsmissbrauch vorzugehen.

Doch nicht nur deshalb herrscht Unmut in der Bevölkerung. Das Volk ist des Dauerstreits zwischen Premier Necas und Finanzminister Miroslav Kalousek (TOP 09) müde. Es sieht aber auch, dass die Lage in den Regionen nicht viel besser ist. Dabei werden alle 13 Regionen, in denen jetzt gewählt wird, von den Sozialdemokraten oder Koalitionen unter ihrer Führung regiert. CSSD-Chef Bohuslav Sobotka weist freilich darauf hin, dass die Prager Regierung von den Regionen extrem hohe Steuern verlangt, was einen ausgewogenen Haushalt nahezu unmöglich macht. Zugleich musste Sobotka angesichts einer Korruptionsaffäre des mittelböhmischen Bezirkshauptmanns David Rath gestehen, dass auch die CSSD nicht frei von Sünde ist.

Schon 2008 lag die Beteiligung an den Regionalwahlen kaum höher als 41 Prozent. Diesmal ruft die »Bewegung Freie Demokratie« die Bürger dazu auf, ihren Unmut dadurch deutlich zu machen, dass sie ihre Wahlscheine zerrissen in der Urne versenken. »Anhand der ungültigen Stimmen wird man erkennen, wie hoch der Grad der Unzufriedenheit des Volkes mit seinen Politikern ist«, erklärte Milan Valach, Sprecher der Bürgerbewegung. Der Politologe Michal Pehr wandte dagegen ein: »Das spielt nur den Parteien in die Hände, die doch die Wähler gerade bestrafen wollen.«

Für den 18. und 19. Oktober sind Stichwahlen in jenen Kreisen anberaumt, in denen sich die Wähler im ersten Urnengang nicht eindeutig für einen Kandidaten entschieden haben. Danach, Ende Oktober, könnte die Regierung Petr Necas' durchaus in ein finsteres Loch blicken.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 12. Oktober 2012


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