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Petr Necas in der Kritik

Tschechiens Opposition bemängelt München-Rede des Premiers

Von Jindra Kolar, Prag *

Der Auftritt von Petr Necas in München rief in Prag Kritik bei Sozialdemokraten und Kommunisten hervor. Der tschechische Regierungschef hatte die Vertreibung der Sudetendeutschen bedauert.

Die Rede von Ministerpräsident Petr Necas in München hat in der Tschechischen Republik mehr Kritik als Beifall hervorgerufen. Necas, der am Donnerstag als erster tschechischer Regierungschef vor dem Bayrischen Landtag sprach, zitierte den Artikel 3 einer von Helmut Kohl und Vaclav Klaus 1997 unterzeichneten Erklärung, in der das Bedauern über die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ausgedrückt wurde. In seiner mit Beifall aufgenommenen Rede fügte Necas dem Zitat keine eigene Wertung bei. Er schloss allerdings aus, dass die tschechische Seite eventuelle Restitutionsansprüche akzeptieren werde. Sowohl der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer als auch der Sprecher der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, lobten die Rede als »einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung«.

Das sehen Prager Oppositionsvertreter ganz anders. Sowohl von Seiten der Sozialdemokratie als auch aus der kommunistischen Opposition wurde kritisiert, dass Necas kein Wort über die Beihilfe der Sudetendeutschen, insbesondere der Henlein-Partei, zur Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland im Jahre 1938 verloren habe. Necas habe zwar an die lang währende gemeinsame Geschichte der Tschechen und Deutschen, insbesondere der Bayern erinnert. Aber weder sei er auf die demokratischen Traditionen der ersten tschechoslowakischen Republik unter Masaryk eingegangen, in der die Deutschen gleichberechtigte Staatsbürger waren, noch eben darauf, dass ein großer Teil der deutschen Mitbürger sich 1938 bei der Besetzung des Sudetenlandes und im März 1939 bei der Okkupation für Hitler und gegen die demokratische Tschechoslowakei entschieden hatten.

Mit seiner Rede habe Necas dem tschechischen Staat Schaden zugefügt, erklärte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei (KSCM), Vojtech Filip. Gerade München sei für die tschechischdeutsche Geschichte ein sensibler und belasteter Ort. »Ich bin mit dem Auftritt von Necas nicht einverstanden«, betonte Filip, »es ist unfassbar, dass er kein Wort der Würdigung der tschechischen Opfer des Zweiten Weltkriegs fand und in seinen Ausführungen nicht auf die tschechische Geschichte und die staatliche Souveränität der Tschechoslowakei einging.« Necas habe wieder einmal bewiesen, dass er und seine Regierung die tschechischen Interessen verletzten; es sei an der Zeit, dass er endlich zurücktrete und sich aus der Politik verabschiede.

Zugleich kündigte Filip an, die Verfassungsmäßigkeit des Auftritts Necas' vor dem Bayrischen Landtag prüfen zu lassen: Es sei nicht möglich, dass der Ministerpräsident der Republik einem deutschen Bundesland einen offiziellen Besuch abstatte; dies sei lediglich Vertretern auf gleicher Ebene, also den Bezirkshauptleuten, vorbehalten.

Auch in den Reihen der Sozialdemokratie (CSSD) wurde kritisiert, dass Necas kein Wort über die tschechischen Opfer verloren habe. Zwar habe der Ministerpräsident bedauert, dass es viele »unschuldige deutsche Opfer bei der Vertreibung« als Reaktion auf eine Kollektivschuld gegeben habe. Doch habe es Petr Necas versäumt, an die Opfer von Lidice und Lezak zu erinnern – Dörfer, die unter dem Vorwurf der »Kollektivschuld der Tschechen« dem Erdboden gleichgemacht und deren Einwohner ermordet wurden. In diesem Zusammenhang gab es auch Kritik an der Rede der bayrischen Parlamentspräsidentin Barbara Stamm, die zwar Übergriffe der deutschen Truppen und der SS einräumte, jedoch kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns fand.

Lubomir Zaoralek, Vizevorsitzender der CSSD und »Schattenaußenminister«, bedauerte zudem, dass Necas vor seinem Besuch in München weder das Parlament noch die Parteien informiert hat. Kritik kam auch aus der Präsidialkanzlei. Vizekanzler Petr Hajek betonte, Necas hätte in München »die Position seiner Partei ODS, nicht aber Tschechiens« vertreten.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 23. Februar 2013


Versöhnungsgeste des tschechischen Regierungschefs

Necas bedauert Vertreibung von Deutschen nach 1945 **

In München stimmten Großbritannien, Frankreich und Italien 1938 der von Hitlerdeutschland geforderten Abtrennung des Sudetenlands von der Tschechoslowakei zu - ohne dass die Prager Regierung gefragt wurde. »Für die meisten Tschechen bleibt die Stadt München bis heute das Symbol dieser Zerschlagung«, sagte Tschechiens Ministerpräsident Petr Necas, der am Donnerstag als erster tschechischer Regierungschef im bayerischen Landtag sprach. Necas beschwor die »Schicksalsgemeinschaft« von Bayern und Böhmen, »die von Inspiration und Bereicherung, aber auch von Traumata und Vorurteilen geprägt« sei. Und er sagte: »Wir bedauern, dass durch die Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen nach Kriegsende aus der ehemaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung, unzähligen Menschen viel Leid und Unrecht angetan wurde.«

Als das 1997 in einer deutsch-tschechischen Erklärung stand, war es der Sudetendeutschen Landsmannschaft wie auch der CSU noch zu wenig. Diesmal lobte Bernd Posselt als Sprecher der Sudetendeutschen: »Aus einem kleinen Schritt ist ein sehr großer geworden.« Und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nannte es einen »Riesen-, Riesenschritt«. Necas hatte eingeräumt, dass die Vertreibung für niemanden ein Gewinn war. Die Grenzgebiete seien entwurzelt worden, »ihre Identität wurde zum Schaden der Tschechen und Deutschen gewaltsam geändert«. Zugleich bekräftigte er jedoch: »Die Eigentumsverhältnisse vor dem Krieg können nicht wiederhergestellt werden.«

Necas erhielt viel Beifall. Kritik traf dagegen Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU). Sie hatte bei der Begrüßung die deutschen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg erwähnt, aber nicht ausdrücklich bedauert. »Der Satz, der nötig gewesen wäre, der fehlte«, bemängelte die Grüne Margarete Bause.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. Februar 2013


Bedauern

Von Detlef D. Pries ***

Bayern nennt die Sudetendeutschen seinen »vierten Stamm« neben Bayern, Franken und Schwaben. Bayrische Politiker betrachten sich als wichtigste Interessenvertreter derer, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei ausgesiedelt oder vertrieben wurden. Meine Großeltern verschlug es damals allerdings nach Mecklenburg. Vertrieben sahen sie sich in der Tat, und weder das Wissen um die deutschen Verbrechen, die dem Verlust der eigenen »Hejmt« (Heimat) vorausgegangen waren, noch die völkerrechtliche Sanktionierung des »Transfers« durch das Potsdamer Abkommen vermochten ihr Leid zu lindern. Aber dank der Bodenreform im Osten Deutschlands richteten sie sich auch ohne bayrische Fürsprache ganz passabel ein.

Als die Bodenreform hierzulande 1990 jedoch in Frage gestellt wurde, dachte mancher Erbe sicherlich auch an Rückübertragungsforderungen, wie sie im Westen stets ausgesprochen worden waren. Nicht zuletzt deshalb fällt es den Tschechen schwer, Schuld auf eigener Seite anzuerkennen und Unrecht zu bedauern. Und deshalb betonte Ministerpräsident Petr Necas am Donnerstag im bayrischen Landtag: Ein Zurück zu den Eigentumsverhältnissen vor dem Krieg kann es nicht geben. Das Leid, das Sudetendeutschen 1945 angetan wurde, hatte Prag schon in der deutsch-tschechischen Erklärung 1997 bedauert. Necas bekräftigte das jetzt eigens für Bayern. In der Begrüßungsrede der Landtagspräsidentin fehlte allerdings ein ausdrückliches Bedauern für die deutschen Gräueltaten. Und das ist mehr als bedauerlich!

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. Februar 2013 (Kommentar)


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