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Abenddämmerung an der Moldau

Der tschechische Regierungschef Necas verliert einen Koalitionspartner - Opposition bereitet Misstrauensvotum vor

Von Jindra Kolar, Prag *

Die Liberaldemokraten - kleinster Partner der Prager Koalition - ziehen sich nach der Entlassung von Verteidigungsministerin Peake aus der Regierung zurück. Sozialdemokraten und Kommunisten wollen Premier Necas stürzen.

Petr Necas gibt sich als unverbesserlicher Optimist. Obwohl er die Mehrheit im Parlament verloren hat, besteht der Ministerpräsident von den Bürgerlichen Demokraten (ODS) darauf, die Regierung fortzusetzen.

Erst am Donnerstag hatte Necas seine Stellvertreterin Karolina Peake nach nur achttägiger Amtszeit als Verteidigungsministerin entlassen. Präsident Vaclav Klaus bestätigte die Entlassung und setzte den Premier selbst ins Amt des obersten Militärs ein.

Karolina Peake habe derartige Verwirrung im Verteidigungsressort gestiftet, dass ihr Verbleiben im Amt unmöglich sei, begründete Necas seine Entscheidung. Der von Peake entlassene Generalstabschef, Armeegeneral Vlastimil Picek, wurde umgehend wieder in seine Funktion eingesetzt.

Die Ministerin aus der liberaldemokratischen Partei LIDEM reagierte beleidigt und kündigte den Rückzug aller drei LIDEM-Minister zum 10. Januar 2013 an. Gleichzeitig werde ihre Partei in die Opposition gehen, erklärte Karolina Peake. Die Liberaldemokraten hatten sich erst im Herbst nach Abspaltung von den »Öffentlichen Angelegenheiten« (VV) als Partei formiert. Die übrigen VV-Abgeordneten und -Minister hatten Necas bereits zuvor nach Korruptionsvorwürfen gegen Mitglieder der Partei den Rücken gekehrt.

Jedenfalls hat die Rumpfregierung aus ODS und TOP 09 endgültig die Mehrheit im Parlament verloren. Petr Necas will dennoch weitermachen. Er führe bereits jetzt eine Minderheitsregierung - im Abgeordnetenhaus verfügt die Koalition derzeit nur über 98 der 200 Mandate - und sehe daher keinen Grund, warum er nicht auch weiterhin für jede parlamentarische Entscheidung die erforderliche Mehrheit suchen solle. Erst am Mittwoch war es gelungen, den Haushalt für 2013 durch beide Kammern des Parlaments zu schleusen. Präsident Klaus hat das Gesetzeswerk bereits unterschrieben. Es enthält unter anderem eine Mehrwertsteuererhöhung ab 1. Januar, die eine deutliche Verteuerung der Lebenshaltungskosten für alle Tschechen bewirkt.

Die oppositionellen Sozialdemokraten und Kommunisten sowie die VV-Abgeordneten haben derweil bereits Kontakt aufgenommen, um die Regierung Necas durch ein Misstrauensvotum zu stürzen. Bohuslav Sobotka, Chef der sozialdemokratischen CSSD, erklärte am Freitag, seine Partei fordere Necas auf, umgehend die Vertrauensfrage im Abgeordnetenhaus zu stellen. Die Regierung habe jedes Vertrauen der Bevölkerung verloren. Endlose Korruptionsskandale und letztens die Bestallung Karolina Peakes als Verteidigungsministerin hätten die völlige Inkompetenz des Kabinetts offenbart.

In Umfragen liegen Sozialdemokraten und Kommunisten deutlich vorn. Die nächsten regulären Parlamentswahlen sind erst für 2014 vorgesehen, doch niemand in Prag glaubt ernsthaft, dass Necas diesen Termin als Premier erreicht.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Dezember 2012


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