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Tschechen tendieren nach links

Konservative rutschen in den Umfragekeller

Von Jindra Kolar, Prag *

Vier Wochen sind es noch bis zu den Wahlen in der Tschechischen Republik. Derzeit sehen die Demografen Sozialdemokraten und Kommunisten auf der Siegerstraße. Das Lager der vormaligen Regierung rutscht bei Umfragen in den Keller.

Was sich bei vergangenen Regional- und Kommunalwahlen schon andeutete, Demografen haben es jetzt ermittelt: Die linken Parteien werden die Sieger bei den Parlamentswahlen Ende Oktober.

Den Umfragewerten zufolge werden die tschechischen Sozialdemokraten (CSSD) die stärkste Fraktion des neuen Abgeordnetenhauses in Prag bilden. Beobachtet wird jedoch auch, dass ihr Stern schon vor den Wahlen im Sinken begriffen ist: Noch im Mai hätte die CSSD etwa 40 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen können, Ende September sind es nur noch 30,5 Prozent – immerhin noch ein deutlicher Abstand zu den nachfolgenden Parteien.

Auf dem zweiten Rang findet sich mit 19,5 Prozent (anderen Studien zufolge 20 Prozent) die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) ein. Beide Linksparteien dürften damit als Koalition die Mehrheit (mit zwei Sitzen) der Mandate bekommen. Allerdings hatte sich bei vergangenen Wahlen gezeigt, dass sowohl CSSD als auch KSCM ihre Wähler besonders zu motivieren imstande sind. Durchaus vorstellbar ist also, dass das Wahlergebnis noch deutlicher für eine Linkskoalition ausfällt. Es wäre das erste Mal seit der »Samtenen Revolution« von 1989, dass die Kommunisten wieder in der Regierung vertreten sind.

Die Aktion Unzufriedener Bürger (ANO), 2011 vom Düngemittelproduzenten und Milliardär Andrej Babis ins Leben gerufen, kommt bei ihrer ersten Beteiligung an Parlamentswahlen den Umfragen zufolge auf erstaunliche 14 Prozent. Die Wahlversprechen von Babis sind klar und einfach: Arbeit für alle, keine Korruption, Transparenz des Staates, Mitbestimmung des Volkes durch Referenden. Wahlslogans, mit denen bislang die Öffentlichen Angelegenheiten (VV) und auch die neoliberale TOP 09 punkten konnten. Babis, der laut Forbes zwei Milliarden Dollar Vermögen hat, verspricht eine prosperierende Republik, die er ähnlich erfolgreich wie seinen Konzern führen möchte. Und er gewinnt damit Zuneigung.

Davon können die traditionellen bürgerlichen Parteien ODS und TOP 09 nur träumen. Die Korruptions- und Bespitzelungsaffäre des vormaligen Ministerpräsidenten und ODS-Chefs Petr Necas, gemeinhin als »Nagygate« bezeichnet, hat den Bürgerlichen Demokraten quasi das Genick gebrochen. Jana Nagyova, die Abgeordnete bestechen ließ, damit sie bei einer Vertrauensabstimmung die Regierung retteten, und die den militärischen Geheimdienst nutzte, um die Gattin des Regierungschefs – ihres Geliebten – bespitzeln zu lassen, muss sich nun vor Gericht verantworten. Necas erwies sich trotz seines Abgangs als dankbar und versüßte die Untersuchungshaft von Frau Nagyova, indem er sie am vergangenen Wochenende heiratete. Für eine Wiederwahl steht er freilich nicht zur Verfügung. Spitzenkandidatin der ODS soll die bisherige Parlamentspräsidentin Miroslava Nemcova werden. Mit den laut Umfragen zu erwartenden sieben Prozent kann sie jedoch nicht auf ein Regierungsamt hoffen, ebenso wenig wie der frühere Außenminister Karel Schwarzenberg, dessen TOP 09 die Demografen 12 Prozent zubilligen.

Als sechste Partei dürfte die des Präsidenten Milos Zeman ins Parlament einziehen. Zwar schaffen die »Zemanovci« nur knapp die Fünfprozenthürde, könnten aber als dritter Partner in eine Regierungskoalition einbezogen werden, sollten die Sozialdemokraten dazu bereit sein.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. September 2013


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