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Ein Oligarch macht Politik

Tschechien: Milliardär Andrej Babis mischt Wahlkampf auf

Von Reinhard Lauterbach *

Wenige Wochen vor den vorgezogenen Parlamentswahlen am 25. und 26. Oktober mischt eine neue Partei die politische Landschaft Tschechiens auf. Die »ANO 2011« des Milliardärs Andrej Babis kann nach den jüngsten veröffentlichten Umfragen aus dem Stand auf etwa zehn Prozent der Stimmen hoffen und dürfte mit ziemlicher Sicherheit im neuen Parlament vertreten sein.

ANO dechiffriert sich offiziell als »Aktion beunruhigter Bürger«, das Wort bedeutet im Tschechischen aber auch »Ja«. Die Partei vertritt ein Programm aus politischen Gemeinplätzen wie Kampf gegen die Korruption und für ein gerechteres Steuersystem, bessere Bildungschancen und gleiche Regeln für alle. Sie lebt in ihrer Agitation wesentlich von der Persönlichkeit des Parteigründers. Der 1954 geborene Sohn einer Familie von Parteifunktionären aus der Slowakei hatte den ersten Teil seiner Berufslaufbahn im sozialistischen Außenhandel der CSSR gemacht. Ob er auch für die tschechoslowakische Staatssicherheit tätig war, ist unklar: Es gibt eine 21seitige Akte auf seinen Namen, deren Echtheit Babis allerdings bestreitet. Der Milliardär, der als zweitreichster Mann des Landes gilt, präsentiert lieber seine Karriere nach dem Systemwechsel als Ausweis seiner Führungsqualitäten. 1994 gründete er mit Krediten der US-amerikanischen Citibank die Holdinggesellschaft Agrofert. Dieses Unternehmen ist vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Agrarchemie tätig und wird in den Wirtschaftsranglisten als viertgrößtes Unternehmen der Tschechischen Republik geführt. Anfang dieses Jahres, als hätte Babis geahnt, daß Wahlen vor der Tür stehen, erwarb seine Holding von der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft, die die Rheinische Post herausgibt, den Medienkonzern MAFRA, der in Tschechien zwei konservative Zeitungen mit landesweiter Verbreitung herausgibt: die »seriöse« Lidové Noviny und das Boulevardblatt Mladá Fronta Dnes. Hinzu kommen eine Gratiszeitung, zwei Radiosender und mehrere Internetportale.

Der Aufstieg der Partei ANO 2011 vollzieht sich vor dem Hintergrund nicht enden wollender Skandale und Skandälchen im etablierten Politikbetrieb. Das jüngste Beispiel lieferten Ende September Petr Necas, Expremier von der konservativen Bürgerpartei ODS, und seine langjährige Geliebte und frisch angetraute Ehefrau Petra Nagyova. Als diese im Zuge der Ermittlungen wegen Korruption in der Amtszeit ihres Mannes zur Staatsanwaltschaft vorgeladen wurde und der Beamte sie fragte, ob sie Petra Nagyova sei, zog sie triumphierend einen Personalausweis auf ihren Ehenamen Petra Necasova hervor und verweigerte die Aussage. Wie Radio Prag Anfang der Woche als kleine Wirtschaftsmeldung informierte, sind einer Analyse der Organisation Transparency International zufolge in den letzten Jahren öffentliche Aufträge im Umfang von umgerechnet sechs Milliarden Euro an Unternehmen mit Sitz in Steuerparadiesen gegangen.

Der Aufstieg der ANO 2011 scheint vor allem auf Kosten der tschechischen Sozialdemokraten von der CSSD zu gehen. Deren Umfragewerte sind von über 34 Prozent im Juli auf nunmehr 26 Prozent gesunken; sie dürfte aber stärkste politische Kraft bleiben. Auf dem zweiten Platz halten sich stabil die tschechischen Kommunisten, denen um die 16 Prozent vorhergesagt werden, rund ein Drittel mehr als bei der letzten Wahl 2010. Stärkste Kraft auf der konservativen Seite dürfte mit etwa 14 Prozent die Partei TOP 09 des früheren Außenministers Karel Schwarzenberg werden; sie konkurriert mit einer christdemokratischen Partei und der ODS von Necas, die sich knapp über der Fünfprozenthürde stabilisiert hat. Die Regierungsbildung in Tschechien dürfte somit schwierig werden: Wenn die Sozialdemokratie sich nicht entscheidet, den seit 1990 geltenden politischen Bann gegen die Kommunisten aufzubrechen und sie in Koalitionsverhandlungen einzubeziehen, dürfte es auf eine sozialdemokratisch-konservative Koalitionsregierung hinauslaufen, deren wesentliche Gemeinsamkeit die Postenverteilung sein wird.

* Aus: junge Welt, Freitag, 11. Oktober 2013


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