"Der Verbündete der Friedensbewegung ist die leidende Zivilbevölkerung"
Rede über "Syrien" bei der Auftaktkundgebung zur Woche der "Friedensstadt" Tübingen
Von Jens Rüggeberg *
Es ist Krieg. Jeden Tag vermelden die Nachrichten neue Todesopfer. Aber Syrien
ist weit weg von uns. Worum geht es, und was geht uns dieser Konflikt an?
Angefangen hatten die Auseinandersetzungen mit Demonstrationen gegen die
Regierung Assad, deren Absetzung sich Teile der Bevölkerung des Landes
wünschten. Die Auseinandersetzungen breiteten sich aus, die Demonstrationen
wurden teilweise blutig niedergeschlagen, und Teile der Opposition bewaffneten
sich. Alles in allem handelte es sich um eine Situation, wie es sie immer wieder in
verschiedenen Ländern gab und gibt, gerade auch in autokratisch regierten
Ländern, völkerrechtlich gesprochen handelte es sich allerdings um eine innere
Angelegenheit des Landes.
Aber der Konflikt weitete sich zu einem veritablen Bürgerkrieg aus. Bewaffnete
Rebellengruppen bildeten sich. Diese Rebellengruppen und die syrische Armee
begannen sich zu bekämpfen. Inzwischen werden die Rebellengruppen massiv mit
Geldern aus Saudi-Arabien und einigen Staaten am Golf aufgerüstet, und die
Waffen gelangen über die Türkei, den Nordlibanon und Jordanien, möglicherweise
auch über den Irak, zu den Rebellengruppen. Laut FAZ befinden sich im
türkischen-syrischen Grenzgebiet auf türkischem Boden CIA-Berater. Sie
verteilen Waffen an Rebellengruppen und versuchen so, dafür zu sorgen, dass nur
solche Rebellengruppen mit Waffen versorgt werden, die dem Westen genehm
sind, nicht aber so genannte dschihadistische Gruppen.
Nachdem nicht nur Waffen aus dem Ausland nach Syrien gelangen, sondern auch
Kämpfer, die sich in die Rebellengruppen einreihen, muss von einer
Internationalisierung des Konflikts gesprochen werden. Möglicherweise handelt es
sich inzwischen also um mehr als nur einen Bürgerkrieg – obwohl ein Bürgerkrieg
für die Zivilbevölkerung schon schlimm genug ist.
Eine so genannte "Freie syrische Armee" behauptet, für sämtliche
Rebellengruppen zu sprechen, und ein so genannter "Syrischer Nationalkongress"
behauptet, für sämtliche Oppositionsgruppen zu sprechen. Doch nach den
Berichten, die zu uns gelangen, ist die Situation komplizierter: Es scheint
Dutzende von Rebellengruppen ohne einheitliches Oberkommando zu geben, und
wenn man einen Waffenstillstand oder gar einen Frieden vermitteln möchte, wie
das Kofi Annan versucht, hat man auf Rebellenseite keinen wirklichen
Ansprechpartner. Und die Opposition ist offenbar in sich zerstritten. Die einen
wollen eine Demokratie nach westlichem Vorbild, die anderen eine islamische
Republik, die je nach politischem oder religiösen Standpunkt verschieden
aussehen soll. Schließlich gibt es auch linke Gruppen, von denen es die einen mit
der Regierung halten und die anderen mit der Opposition. Diejenigen zivilen
Oppositionsgruppen, die seinerzeit mit dem Protest begannen, sind, egal ob sie
sich noch im Land befinden oder bereits im Exil, offenbar strikt gegen
Waffengewalt gegen die Assad-Regierung. Denn sie wissen: Sobald die Waffen
sprechen, können sich zivile Oppositionsgruppen nicht mehr Gehör verschaffen.
Und noch etwas ist klar: In einem Krieg oder Bürgerkrieg leidet die
Zivilbevölkerung. Sie leidet direkt unter dem Waffeneinsatz, und sie leidet unter
Versorgungsmängeln. Die Menschen fürchten um ihr Leben. Aber nicht nur die
Menschen sind gefährdet, auch die Kulturschätze. Syrien ist eine Wiege der
Zivilisation. Damaskus ist die älteste ständig besiedelte Stadt der Welt. Berichten
zufolge wurden in Syrien inzwischen Museen geplündert und archäologische
Fundstätten ausgeraubt. Denkmäler, teilweise auch solche, die als Weltkulturerbe
unter dem Schutz der UNESCO stehen, wurden durch direkten Beschuss
beschädigt oder zerstört. Oft lässt sich nicht klären, ob Regierungstruppen oder
Rebellen die Schuldigen waren. Das gilt übrigens auch für die Massaker an der
Zivilbevölkerung, von denen in der Berichterstattung immer wieder die Rede ist.
So gibt es glaubwürdige Berichte darüber, dass das Massaker in Hula nicht von
der Armee oder einer Miliz der Regierung verübt wurde, sondern von einer der
zahlreichen Rebellengruppen.
Die Haltung der westlichen Regierungen ist nicht einheitlich. Dass CIA-Berater
auf türkischem Boden Waffen verteilen, habe ich schon gesagt. Dass Verbündete
des Westens, nämlich Saudi-Arabien und verschiedene Golfstaaten, Waffen an die
Rebellen liefern und ihnen Geld zur Verfügung stellen, habe ich auch schon
erwähnt. Die türkische Regierung bekennt offen, einen Regierungswechsel in
Damaskus anzustreben. Die NATO-Staaten aber wollen – jedenfalls gegenwärtig –
nicht direkt militärisch intervenieren. Aber wir fordern die Bundesregierung und
die anderen NATO-Staaten auf, dafür zu sorgen, dass ihre Verbündeten ab sofort
jegliche Unterstützung der Rebellen einstellen, denn die Waffenlieferungen an die
Rebellen führen zu einer immer stärkeren Eskalation der Gewalt.
Die israelische Regierung, auch eine Verbündete des Westens, scheint eine
ambivalente Haltung einzunehmen: Einerseits war für sie die syrische Regierung
immer ein Gegner, aber ein kalkulierbarer Gegner, mit dem sie leben konnte.
Sollten nach einem Sturz der Assad-Regierung Islamisten die Regierung
übernehmen, was die Saudis anstreben, hätte es die israelische Führung mit einem
unkalkulierbaren Gegner zu tun. Auf der anderen Seite ist die Regierung von
Assad direkt mit der iranischen Führung verbündet, und die israelische Regierung
wünscht offensichtlich einen Regimewechsel im Iran, will ihn vielleicht sogar
durch Waffengewalt herbeiführen. Wenn sie also die iranische Führung schwächen
möchte, wenn sie ihren Einfluss in der Region eindämmen möchte, wird sie einen
Regimewechsel in Damaskus anstreben.
Auch wenn der Westen gegenwärtig – noch – nicht direkt militärisch einzugreifen
gedenkt, muss die Forderung der Friedensbewegung klar sein: Es dürfen keine
Waffen nach Syrien geliefert werden, weder an die Rebellen noch an die
Regierung. Beides muss unterbunden werden. Der Westen muss seine Verbündeten
in Ankara, Amman und Beirut auffordern, die Grenzen nach Syrien für
Waffenlieferungen zu schließen. Der Verbündete der Friedensbewegung ist die
leidende Zivilbevölkerung. Sie haben wir im Auge, ihr gilt unsere Anteilnahme,
ihre Interessen sind unser Leitschnur.
Nur solche humanitären Organisationen verdienen Spenden von uns, bei denen
sichergestellt ist, dass die Gelder nicht direkt oder indirekt auf den Konten
bewaffneter Rebellengruppen landen.
Je länger der Krieg dauert, desto größer sind die Leiden der Zivilbevölkerung und
desto schwerer die Schäden an den Kulturschätzen Syriens.
Beendet das Blutvergießen!
* Jens Rüggeberg, Tübinger Friedensplenum/Antikriegsbündnis. Die Kundgebung fand am 14. Juli 2012 statt.
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