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"Sanktionen treffen immer die Bevölkerung"

Wirtschaftsembargo gegen Syrien und Iran stärkt die Funktionseliten und soll helfen, neuen Krieg vorzubereiten. Ein Gespräch mit Sevim Dagdelen *


Sevim Dagdelen ist Abgeordnete des Bundestages und Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion.


Zusammen mit über 1500 Unterzeichnern unterstützen Sie den Friedensappell »Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens« und fordern: Kriegsvorbeitungen stoppen, Embargos beenden. Sie haben damit in dieser Woche Spiegel online, Springer und SPD, ja selbst den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung und CDU-Generalsekretär Gröhe auf den Plan gerufen. »Die Linke solidarisiert sich mit dem Schlächter Assad«, so deren Tenor. Können die alle nicht lesen oder haben Sie die falschen Freunde?

Die Denunziationen, es handle sich bei diesem Aufruf um eine Parteinahme für den Diktator Assad oder das Mullah-Regime, sind schlicht Lügen und Teil der Kriegspropaganda. Wer gegen Kriege ist, wird als Unterstützer von autoritären Regimen verleumdet.

Die Vorwürfe sind auch absurd, weil es in Wahrheit die Politiker der Koalitionsfraktionen und der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung waren, die eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der »illegalen Migration« vorangetrieben und jahrelang Oppositionelle an das syrische Regime ausgeliefert haben. Der Bundestagsuntersuchungsausschuß »zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus« brachte ans Licht, daß es die damalige SPD-Grünen-Bundesregierung war, die eine vertiefte Geheimdienstkooperation mit Damaskus in Gang brachte, obwohl damals schon die Einschätzung bestand, daß es sich in Syrien um »eine ganz schlimme Diktatur« handelt. Der heutige Verteidigungsminister und damalige Kanzleramtschef Thomas de Maizière wird im Bericht des Ausschusses mit den Worten zitiert: »Manchmal muß man mit dem Teufel vielleicht Kirschen essen«, denn Syrien sollte »zu einer umfassenden weiteren Sicherheitszusammenarbeit bei der Aufklärung des Internationalen Terrorismus und der Bekämpfung der illegalen Migration bewegt werden.« Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergab, daß 2011 noch 166 Menschen nach Syrien abgeschoben werden sollten.

Ausgerechnet eine Untergliederung Ihrer Partei, der Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom der Linksjugend, hat die Lüge von der »linken Solidarität mit den Schlächtern von Syrien und Iran« in die Welt gesetzt. Ihr Fraktionsvize Dietmar Bartsch hat bekundet, Sie sprächen nicht in seinem Namen. Gab es auch andere Reaktionen in Ihrer Partei?

Die übergroße Mehrheit der Partei Die Linke steht ohne wenn und aber gegen Krieg und Kriegstreiberei. Das wurde auch in Erfurt mit rund 97 Prozent so beschlossen. Ich habe aus der Partei, aber auch darüber hinaus, auch von eher konservativ orientierten Menschen sehr viel Unterstützung für meine Position erfahren.

Sie drängen auf die Aufhebung des Embargos. Kritiker werfen Ihnen vor, das würde nur den Regimen nutzen.

Wirtschaftliche Sanktionen sind ein anti­humanitäres Mittel der Außenpolitik der NATO-Staaten. Sie treffen immer die Bevölkerung und sollen Kriege mit vorbereiten helfen. Der Irak war das beste Beispiel dafür. Dort führte die Sanktionspolitik zu einer humanitären Katastrophe: chronische Unterernährung, Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes und starke Zunahme der Todesfälle, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren. Das Embargo war nur eine Vorstufe für die Entfesselung eines blutigen Krieges gegen die Zivilbevölkerung.

Aber auch aus den Reihen der Linken gibt es Befürworter von Sanktionen gegen den Iran oder Syrien unter Berufung auf die Menschenrechte in den jeweiligen Ländern, die man damit schützen wolle.

Sanktionsverhängende Staaten berufen sich regelmäßig auf hehre Ziele wie Menschenrechte, doch die bisherige Praxis belegt, daß mit ihnen die Reihen der herrschenden Klasse autoritärer Regime noch mehr zusammenrücken. Die neuen Sanktionen gegen Syrien und den Iran stärken die Funktionseliten, die sonst um ihre Legitimität fürchten müßten. Die beständige Drohung mit militärischen Maßnahmen dient auch dazu, ein weiteres Aufrüsten der NATO-Staaten zu rechtfertigen sowie ihre Mitverantwortung an der langjährigen Stabilisierung dieser Regime zu vernebeln.

Es war ja bislang die Politik aller deutschen Regierungen, diejenigen autoritären Regime zu unterstützen, die ihr nützlich sind, und es wird zunehmend zu ihrer Politik, sich am militärischen Sturz derer zu beteiligen, die ihr im Wege stehen, weil die deutsche Außenpolitik immer stärker imperial auf die Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen orientiert ist. So wird die Außenpolitik regelrecht zu einer perfiden Kriegs- und Kriegsvorbereitungspolitik zugerichtet. Notwendig sind dagegen neben einer Stärkung des Völkerrechts und dem Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen friedliche und kooperative Konfliktlösungen, Abrüstung und globale Solidarität.

Interview: Rüdiger Göbel

* Aus: junge Welt, 14. Januar 2012


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