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Wenn der Waffenschein trügt

Während syrische Rebellen auf die NATO hoffen, will die Bevölkerung Frieden

Von Karin Leukefeld, Damaskus/Beirut *

Die neue Koalition der syrischen Opposition hofft auf Waffen und Widerhall in der Bevölkerung des Landes. Diese jedoch ist eher skeptisch.

»Zehntausende Demonstranten sind landesweit zur Unterstützung der neu gebildeten Syrischen Nationalen Koalition auf die Straße gegangen«, berichtete das Syrische Forschungs- und Kommunikationszentrum (SRCC) in seinem täglichen »Überblick über die Syrische Revolution« vom 16. November 2012. Die Demonstranten drängten auf die Anerkennung der neuen Koalition als »einzige Vertretung des syrischen Volkes« und hätten gefordert, »die Rebellen zu bewaffnen«. Mitgeliefert wird ein Foto, das eine Gruppe von etwa 20 Männern in der nordsyrischen Stadt Kafr Nabl (Provinz Idlib) zeigt, die ein entsprechendes Banner in die Kamera halten.

Das in London ansässige SRCC wird von Osama Monajed vom Syrischen Nationalrat (SNR) geleitet, der sich bei internationalen Auftritten für eine militärische Intervention stark macht. Der Gründer und frühere Chef des oppositionellen syrischen Barada-Fernsehsenders (London) war 2008 auch zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung (London), einem Netzwerk syrischer Auslands-Oppositioneller.

Sowohl dieses Netzwerk als auch Barada TV erhielten seit 2006 etwa sechs Millionen US-Dollar aus dem Budget des US-Außenministeriums, wie von Wikileaks veröffentlichte interne US-Korrespondenzen belegen.

Selbst wenn so mancher Regierungsgegner in Syrien auf eine Militärintervention der NATO hoffen mag, die nach den arabischen Fernsehsendern Al-Dschasira und Al-Arabija unmittelbar bevorzustehen scheint, dürften die Männer von Kafr Nabl in Syrien eine Minderheit sein. »Die einzigen, die zu Zehntausenden auf den Straßen sind«, seien nicht Demonstranten für die Bewaffnung der »Doha-Koalition«, meint eine Gesprächspartnerin in Damaskus. »Es sind Familien auf der Suche nach einem sicheren Ort.«

Eine solche Familie ist die von dem Fahrer R., der in Dareya wohnt, einer der Satellitenstädte vor den Toren von Damaskus. Vor wenigen Tagen zerstörte eine Granate, die die Aufständischen aus den Feldern hinter dem Ort abgeschossen hatten, das Haus seines Nachbarn. In seiner eigenen Wohnung gingen sämtliche Scheiben zu Bruch, eine Außenwand wurde beschädigt. Er selber war nicht zu Hause, seine Frau floh mit den drei Kindern zu Verwandten in einem anderen Ort.

»Es reicht«, sagt der Mann, der erst nach drei Tagen Frau und Kinder wiedersah, weil Kämpfe die Straßen versperrten. »Sie müssen reden, der Krieg muss ein Ende haben.«

Die in Doha unter Federführung des ehemaligen US-Botschafters in Syrien, Robert Ford, gegründete Syrische Nationale Koalition schließt allerdings Gespräche mit der syrischen Regierung und selbst mit Russland aus und fordert Geld und Waffen. Frankreich und Großbritannien prüfen bereits, wie ein EU-Waffenembargo für Syrien umgangen und »Verteidigungswaffen« an die Aufständischen geliefert werden können.

»Sie wollen Waffen, aber wir brauchen Dialog«, sagt George Jabbour, Vorsitzender der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Damaskus. Ahmet Mouaz al-Khatib, Riad Seif und Suhair Atassi vom Vorstand der Koalition sollten für einen friedlichen Übergang eintreten, meint Jabbour: »Wie sie es früher getan haben, als sie noch in Syrien waren.« Die Regierung genieße weiterhin Unterstützung von vielen Syrern, nicht zuletzt von der Armee, ein militärischer Sieg sei nicht möglich. »Sie werden Syrien mit ihren Waffen vernichten«, ist Jabbour überzeugt. Er frage sich, ob die neue Koalition tatsächlich Einfluss auf alle bewaffneten Gruppen habe. »Haben Sie Kontakt mit der Al-Nusra-Gruppe, die für die meisten Anschläge verantwortlich ist?«

* Aus: neues deutschland, Montag, 19. November 2012

Karin Leukefeld

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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