Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Druck auf Damaskus

Europäische Union verhängt Waffenembargo gegen Syrien und Reisebeschränkungen. Präsident Assad von Strafmaßnahmen noch ausgenommen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Vor dem Hintergrund anhaltender Berichte über gewaltsame Auseinandersetzungen in Syrien hat die Europäische Union am Montag ein umfassendes Waffenembargo sowie Reise- und Vermögensbeschränkungen gegen 13 Personen verhängt. Die von den Sanktionen betroffenen Personen werden von der EU direkt für die Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich gemacht. Betroffen sind vor allem Personen aus dem Sicherheitsapparat und Geschäftsleute. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Sanktionen, auf die Deutschland »zusammen mit Frankreich und anderen EU-Partnern« gedrängt hätte. Die Strafmaßnahmen seien »ein unmißverständliches Signal Europas an die syrische Führung, daß die brutalen Übergriffe auf Demonstranten und die willkürlichen Verhaftungen von Oppositionellen unverzüglich enden müssen«, so Westerwelle. Präsident Baschar Al-Assad müsse einen »Kurswechsel und den Beginn glaubhafter Reformen« vornehmen, sonst »werden wir den Druck verstärken und die Sanktionen verschärfen«. Der Staatschef ist, im Gegensatz zu seinem Bruder Mahar Al-Assad, von den Sanktionen ausgenommen – noch, wie es heißt.

Spiegel online schlagzeilt derweil, »Assad soll Stadien als Gefängnisse benutzen«, ohne Beweise für die Behauptung vorzulegen, mit der Assoziationen an die chilenische Militärdiktatur Augusto Pinochets geweckt werden. Beweise gibt es auch nicht für die »äußerste Brutalität«, mit der die syrische Armee gegen Oppositionelle in der Hafenstadt Banias und in Homs vorgehen soll. Offiziell wurden vom Militär Operationen in der Umgebung von Deraa, Homs und Banias gegen »bewaffnete terroristische Banden« eingeräumt. Dabei seien am Montag »Dutzende gesuchte Personen festgenommen und große Mengen Waffen, Munition und Sprengstoff sichergestellt« worden.

Maddamiya, ein westlicher Vorort von Damaskus war ebenfalls in der Nacht zum Montag abgeriegelt worden, nachdem es dort anhaltende Schießereien gegeben hatte. Seit Wochen versuchten Jugendliche, bewaffnete »Nadelstiche gegen das Militär« zu setzen, wie ein Anwohner aus Maddamiya am Dienstag junge Welt berichtete. Vor zwei Wochen habe es eine Vereinbarung zwischen »angesehenen Familien« und der für den Ort zuständigen Republikanischen Garde, der 4. Division, gegeben, die unter dem Kommando des Präsidentenbruders Maher Al-Assad steht. Die Familien verpflichteten sich dabei, die jungen Männer im Zaum zu halten, das Militär zog sich zurück. Andere Jugendliche des Ortes hatten daraufhin eine Art Bürgerwehr gebildet und mit Nachtwachen versucht, ihre Wohngebiete von bewaffneten Männern freizuhalten. Anwohner berichteten, bei den neuen Schießereien habe es sich offenbar um Gefechte gehandelt, die bis in die Abendstunden immer wieder aufflammten. Demonstrationen oder Proteste habe es nicht gegeben. Panzer seien weder im noch vor dem Ort stationiert gewesen, Soldaten seien zu Fuß im Ort unterwegs und hätten anhand von Listen nach Personen gesucht. Dabei seien sie, sofern zu beobachten war, »höflich« gewesen. Eine große Zahl von Personen sei offenbar festgenommen worden, so der Einwohner, der am Dienstag morgen den Ort wieder normal zur Arbeit verlassen konnte. Telefonleitungen waren den ganzen Tag unterbrochen, nicht aber Strom und Wasser, wie westliche Agenturen behaupteten. Man vermute hinter den bewaffneten Männern religiöse Gruppen.

In einem Interview mit der New York Times sagte derweil die Präsidentenberaterin Bouthaina Schaaban, sie glaube und hoffe, daß die Unruhen bald zu Ende wären. Der »gefährlichste Augenblick« sei wohl überwunden, so Schaaban, die »eine Kombination von Fundamentalisten, Extremisten, Schmugglern und ehemaligen Häftlingen« hinter den bewaffneten Angriffen vermutet. »Sie werden benutzt, um Ärger zu machen.« Gleich nach den Ereignissen in Deraa am 8. März hatte Schaaban die Reformlinie von Präsident Assad bekräftigt und die Proteste der Bevölkerung als legitim bezeichnet. Vor einigen Tagen war sie mit vier Vertretern der syrischen Opposition zusammengetroffen.

Ein Team der Vereinten Nationen konnte am Montag (9. Mai) nicht nach Deraa fahren, wo es sich von der Lage der Bevölkerung ein Bild machen wollte. Gründe für die Weigerung wurden UN-Angaben zufolge nicht genannt. Präsident Baschar Al-Assad hatte der UN-Mission erlaubt, die »humanitären Bedürfnisse« der Einwohner von Deraa zu untersuchen. Eine Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz war bereits in der Stadt.

Weiterhin festgehalten wird Dorothy Parvaz, die als Journalistin für den Nachrichtensender Al-Dschasira arbeitet. Sie hatte vor einer Woche versucht, ohne gültiges Journalistenvisum nach Syrien einzureisen und wurde am Flughafen festgenommen.

* Aus: junge Welt, 11. Mai 2011


Syrien-Programme auf Eis gelegt

Westen antwortet auf Unruhen mit Sanktionen gegen Damaskus

Von Karin Leukefeld **


Im Mai ist in Syrien Hochsaison. Hotels und Restaurants haben sich herausgeputzt. Die Osterfeierlichkeiten in der Altstadt von Damaskus und im Gebirgsort Maalula ziehen alljährlich Tausende Menschen an. Ausstellungen, Konferenzen, Konzerte und Workshops stehen in dem Kalender, den das Tourismusministerium monatlich herausgibt. Im Veranstaltungsplan des deutschen Goethe-Instituts stehen Foto- und Videokurse auf dem Programm, in der Vortragsreihe »Focus Syrien« sollte es am heutigen Mittwoch um »Integrierte Stadtplanung« gehen. Und mit dem Film »Renn, wenn du kannst« wollte sich Deutschland am Europäischen Filmfestival in der syrischen Hauptstadt beteiligen, das bis Ende Mai eine Vielzahl von Filmen auf dem Programm hatte.

In diesem Frühling ist alles anders. Die anhaltenden Unruhen in Syrien mit vielen Toten beantwortet der Westen mit neuen Sanktionen. Nach Großbritannien und den USA forderten auch europäische Staaten ihre Bürger auf, nicht nach Syrien zu reisen, und diejenigen, die schon dort waren, das Land zu verlassen, »solange es noch Linienflüge nach und aus Syrien« gebe. Zehntausende Buchungen werden storniert, Hotels stehen leer, Personal wird in unbezahlten Urlaub geschickt oder entlassen, Konzerte, Ausstellungen und Vorträge sind abgesagt. Das Goethe-Institut ist geschlossen, alle von Deutschland in Syrien laufenden Programme sind auf Eis gelegt, das deutsche Personal wurde abgezogen.

Noch im Oktober schienen die syrisch-deutschen Beziehungen bestens. Syrien stimmte für den nicht-ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, den die BRD auch erhielt. Doch nun fordert Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) an vorderster Front von der Europäischen Union Sanktionen gegen Syrien, die inzwischen eingeleitet wurden. Zusätzlich soll verhindert werden, daß Syrien Mitglied des UN-Menschenrechtsrates werden kann, worum es sich seit langem beworben hat und worüber die UN-Vollversammlung Ende Mai abstimmen soll. »Der Versuch Syriens, Mitglied im UN-Menschenrechtsrat zu werden, während es brutal gegen weitgehend friedliche Proteste vorgeht, ist blanker Hohn«, heißt es in einer Erklärung von Human Rights Watch vom 6. Mai.

Dabei weiß man in Syrien, daß mit den zivilen und Bürgerrechten vieles im argen liegt, und man arbeitet seit Jahren daran, daß sich das ändert. Mit einer landesweiten Kampagne sorgt die Präsidentengattin dafür, daß Behinderte respektiert, besser versorgt und nicht mehr von den Familien versteckt oder im Alltag ausgegrenzt werden. Interessierten wurde die Teilnahme an Schulungsprogrammen des UN-Menschenrechtsrates in Genf ermöglicht. Eine von ihnen ist Fadia Affash, eine junge Malerin, die sich besonders für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzt. Häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, Diskriminierung im Alltag und im Beruf, »es gibt viele Herausforderungen«, sagt sie im Gespräch mit junge Welt. »Wir müssen vor allem das Bewußtsein in der Bevölkerung über die Bürgerrechte stärken. Die Gesellschaft muß verstehen, daß Frauen Rechte haben und wie sie diese Rechte umsetzen können.« Große Probleme sieht Af­fash auch im Bildungssystem, in dem Menschenrechte – wie vieles andere – bisher gar kein Thema seien. »Allein kann die Regierung das nicht schaffen«, meinte die 33jährige, die kürzlich auch einen ersten Film zu dem Thema Frauenrechte fertigstellte. »Die ganze Gesellschaft muß zusammenarbeiten, Nichtregierungsorganisationen und die Regierung, sonst werden wir gar nichts ändern können.« Sie kenne die Kritik, die aus Deutschland und Europa an Syrien geübt werde, doch es gebe auch Vorurteile. »In den »entwickelten« Ländern meinen die Leute immer, alles sei bei ihnen in Ordnung, und die Menschenrechte werden umgesetzt.« Sie selbst habe das lange auch gedacht, doch bei Recherchen im Internet habe sie herausgefunden, daß es auch dort Diskriminierung gegen Frauen gibt. »Da habe ich erkannt, daß die entwickelten Länder genauso Probleme mit den Menschenrechten haben wie wir. Vielleicht auf einer anderen Ebene, aber sie haben Probleme. Und wie sie können auch wir ein Problem lösen, wenn wir es erkannt haben.«

** Aus: junge Welt, 11. Mai 2011


Zurück zur Syrien-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zur Seite "Embargo, Sanktionen"

Zurück zur Homepage