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"Wir rufen aus dem Glauben heraus zu Protesten auf"

Bund der Deutschen Katholischen Jugend wendet sich gegen einen Militäreinsatz in Syrien. Appell an Abgeordnete. Gespräch mit Tobias Agreiter *


Tobias Agreiter ist Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in Nordrhein-Westfalen, dessen Dachverband bundesweit 16 katholische Jugendverbände und -organisationen mit rund 660 000 Mitgliedern umfaßt.


Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) lehnt einen Militäreinsatz in Syrien ab – insbesondere eine deutsche Beteiligung daran. Wie wollen Sie Druck auf die Bundesregierung ausüben? Sollen die Pfarrer in den Kirchen von der Kanzel gegen den Krieg protestieren?

Aus unserem Glauben heraus ist es sinnvoll, sich auch so um Frieden zu bemühen. Wenn Pfarrer den Bürgerkrieg in Syrien zum Thema der Predigt machen, hören wir das natürlich gern. Unser erster Weg, Politik zu machen, ist aber, unsere Ablehnung zu einem Militäreinsatz in Syrien gegenüber Bundestagsabgeordneten zu kommunizieren: Ziel aller Bemühungen muß sein, den Krieg in Syrien mit diplomatischen und politischen Mitteln zu beenden und friedenssichernde Maßnahmen zu ergreifen. Wir meinen, daß dies nicht durch militärisches Eingreifen gelingen kann.

Unseren Aufruf, in dem wir appellieren, daß ein Militäreinsatz nicht zur Machtfrage zwischen zwei Staaten werden darf, haben wir auch an Abgeordnete geschickt. Darin heißt es: Wir können nicht weiter zu militärischer Gewalt greifen, wenn ein Konflikt komplexere Dimensionen annimmt. Rußland wird einem militärischen Eingriff in Syrien im Sicherheitsrat nach jetzigem Stand nicht zustimmen – ohne ein UN-Mandat ist ein solcher Einsatz aber mehr als fragwürdig.

Was gibt es sonst noch für Druckmittel – wollen Sie eine Schweigeminute propagieren und Kerzen halten?

Klar rufen wir unsere Mitglieder in solchen Momenten aus unserem Glauben heraus zu solchen Aktivitäten auf. Vor allem aber appellieren wir an den Bundestag, sich von anderen Staatsmächten, die ein Einschreiten mit militärischen Mitteln befürworten, in einer solchen Situation nicht unter Druck setzen zu lassen. Wir fordern, daß die UN-Experten die Beweise zunächst ordentlich prüfen, ob tatsächlich chemische Waffen eingesetzt wurden. Sollte das der Fall sein, sind unserer Auffassung nach zunächst andere Möglichkeiten zu erwägen: Alle Waffenexporte nach Syrien müssen gestoppt werden. Wir sind schon seit langem Teil des Bündnisses »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel«, das sich für ein Rüstungsexportverbot einsetzt.

Was halten Sie davon, wie die Bundesregierung mit den wenigen Flüchtlingen aus Syrien hierzulande umgeht – sie hat ja nur einem Kontingent von 5 000 zugestimmt? Dabei hat ein kleines Land wie der Libanon mit 4,2 Millionen Einwohnern fast eine Million Flüchtlinge aufgenommen.

Auch dazu haben wir eine klare Position. Die Regierungen von Bund und Ländern diskutieren ständig, wie die Aufnahme von Flüchtlingen reduziert werden kann. In einem solchen Konfliktfall muß das Gegenteil der Fall sein: Wir müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen, um die Zivilbevölkerung in Syrien zu schützen und ihnen sicheren Wohnraum in anderen Ländern anzubieten. Zu prüfen ist: Welches europäische Land kann wie viele Flüchtlinge aufnehmen? Deutschland kann dazu einiges leisten.

Ist es nicht fragwürdig, vom Bürgerkrieg traumatisierte Flüchtlinge hier in Lagern unterzubringen?

Wir setzen uns generell für die Rechte von Flüchtlingen ein. Allerdings kann es in einem solchen Konfliktfall und einer Notsituation zunächst legitim sein, sie möglicherweise sogar vorübergehend in Zeltlagern unterzubringen. Längerfristig aber müssen diese Menschen besser untergebracht werden. Das ist eine wichtige Diskussion in Deutschland: Wie gehen wir mit Menschen um, die in unser Land kommen und Hilfe suchen?

Wäre es nicht sinnvoll, daß die katholische Kirche, die über viel Geld verfügt, Mittel für die Unterkunft von Flüchtlingen zur Verfügung stellt?

Vorrangig sehen wir das als staatliche Aufgabe, zweitrangig setzen wir uns damit auseinander, was wir als katholische Kirche tun können.

Die Partei Die Linke ist wie Sie gegen einen Militäreinsatz – werden Sie auch mit den Linken gemeinsam aktiv werden?

Die Linke hat als eine politische Partei sicherlich andere Beweggründe als wir, gegen Kriegseinsätze zu sein. Aber wenn es im konkreten Fall darum geht, sich gegen diesen Einsatz in Syrien zu verwehren, kann ich mir das vorstellen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. August 2013


"Der Bogen ist überspannt"

Nach Lügen vor Krieg gegen Jugoslawien und Irak: Berichte über Giftgaseinsatz der syrischen Regierungstruppen überzeugen nicht mehr. Ein Gespräch mit Sebastian Bahlo **

Das Frankfurter Solidaritätskomitee für Syrien ruft anläßlich des Weltfriedenstags zu einer Demonstration gegen den Krieg in Syrien auf. Raketenangriffe der USA und ihrer Partner auf das Land stehen unmittelbar bevor. War diese Eskalation abzusehen?

Diese Entwicklung haben wir immer für möglich gehalten, aber unsere Demonstration wurde unabhängig davon geplant. Seit zwei Jahren wird ein Krieg gegen Syrien geführt, entgegen der verbreiteten Meinung, es würde sich um einen Bürgerkrieg oder gar einen »Volksaufstand« gegen den Präsidenten Baschar Al-Assad handeln. Wir rufen nun auch Menschen, die unsere Einschätzung der zurückliegenden Phase des Krieges nicht geteilt haben, dazu auf, mit uns ein starkes Zeichen gegen die nunmehr offene Aggression zu setzen. Es gibt keine bessere Gelegenheit dazu als unsere Demonstration zum Weltfriedenstag.

Im Fall Syriens ist die Positionierung von Friedensgruppen und Linken bisweilen diffus. Wie ist die Resonanz auf Ihren Antikriegsprotest?

An unserer Demonstration 2012 nahmen schon 3000 Menschen teil, obwohl unsere Position damals noch extrem unpopulär war. Seitdem haben die Entwicklungen in Syrien dazu geführt, daß viele das Szenario eines Volksaufstandes bezweifeln. Die Erfolge der regulären syrischen Streitkräfte brachten auch notorische Hetzer dazu, ihre Einschätzung zu revidieren. Mit der Auffassung, daß »der Westen« in Syrien islamistische Terrorbanden unterstützt, waren wir letztes Jahr noch ziemlich allein, jetzt wird sie allgemein anerkannt. Israel bewies zuerst mit Luftangriffen gegen syrische Ziele, daß eine Aggression von außen stattfindet. Nun bereiten die Hauptkriegstreiber Großbritannien, Frankreich und die USA einen offenen Angriffskrieg vor. Sie gehen von der ersten, verdeckten Phase des Krieges in die zweite über, die keinen Zweifel mehr an seinem Charakter zuläßt. Im September 2012 war es noch provokant, zu fordern »Hände weg von Syrien«, da es auf Grundlage der verbreiteten Meinung unsinnig erschien. Unsere diesjährige Losung »NATO, Golfmonarchien, Israel: Hände weg von Syrien!« ist für jeden verständlich.

Müssen Sie sich nicht mit den zur Kriegsbegründung angeführten Behauptungen eines Giftgasangriffs seitens der syrischen Streitkräfte auseinandersetzen?

Es fällt auf, daß selbst in der Medienlandschaft kein großer Eifer mehr gezeigt wird, die Menschen von der Giftgasgeschichte restlos zu überzeugen. Seit dem angeblichen Massaker von Racak, das 1999 als Vorwand für den NATO-Angriff auf Jugoslawien benutzt wurde, haben sich alle »humanitären« und anderweitig heuchlerischen Kriegsbegründungen als Lügen und die folgenden imperialistischen Überfälle als die eigentlichen Katastrophen erwiesen. Denken Sie nur an Colin Powells Powerpointpräsentation in der UNO vor der Irak-Invasion … Der Bogen ist überspannt. Mit dem Hinweis, daß die syrische Führung kein Interesse daran haben kann, den Feinden einen Angriffsvorwand zu liefern, rennt man dieser Tage viele offene Türen ein.

Von wem wird das Syrien-Solikomitee getragen?

Die Mitglieder kommen unter anderem aus arabischen, türkischen und deutschen politischen, kulturellen und religiösen Organisationen im Rhein-Main-Gebiet. Gemeinsam sind ihnen die Ideale der Toleranz und des Säkularismus. Auf der Demo am Samstag reicht die Rednerliste vom Linke-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke über einen Vertreter der Deutsch-Syrischen Gesellschaft bis zu christlichen und islamischen Geistlichen.

Wird sich die veränderte Wahrnehmung des Krieges auf das Teilnehmerspektrum auswirken? Im vorigen Jahr dominierten Assad-Bilder und Sprechchöre von Assad-Anhängern.

Die wird es wieder geben. Daß sich die Syrer in ihrer Abwehr der imperialistischen Aggression hinter ihrem Präsidenten zusammenschließen, der sie nicht im Stich gelassen, sondern sein Schicksal mit dem Syriens verbunden hat, und ihn selbst hier, im feindlichen Ausland unterstützen, ist bereits für sich genommen ein Teil der Realität, den die Öffentlichkeit ruhig zur Kenntnis nehmen soll. Ob Assad-Anhänger das Bild dominieren, hängt letztlich von der Zahl der anderen Teilnehmer ab. Es heißt oft, daß Assad-Bilder abschreckend auf Mitglieder der traditionellen Friedensbewegung wirken. Ich bin überzeugt, daß kein echter Kriegsgegner vor Assad-Bildern mehr Angst hat als vor Tomahawk-Raketen.

Interview: Cathrin Schütz

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. August 2013


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