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Gegen Intervention und Krieg

Moderieren statt massakrieren – Die syrischen Konfliktparteien an den Verhandlungstisch! Hände weg von Kriegsspielen

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel, Berlin, 1. Juni 2012 – Zur Eskalation im syrischen Bürgerkrieg und den Chancen auf eine Beendigung der Gewalteskalation erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer Erklärung, die sich sowohl an die Bundesregierung als auch an die Öffentlichkeit richtet:

Die vor wenigen Wochen begonnene Vermittlungsmission der Vereinten Nationen in Syrien mit dem Sonderbotschafter Kofi Annan gerät in äußerste Gefahr. Von Interventionsbefürwortern und einem Teil der publizierten „öffentlichen Meinung“ war dem Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan von Beginn an ein Scheitern vorhergesagt worden. Mit der syrischen Regierung unter Assad, so lautete die Botschaft, könne es keine Verhandlungen und keinen Kompromiss geben. Der „blutrünstige Schlächter“ von Damaskus werde weiter auf sein Volk schießen lassen und keinen Zentimeter von seiner militärgestützten Macht weichen. Vor allem die bewaffneten Teile der Opposition (die sich in der „Freien syrischen Armee“ zusammengeschlossen haben und von der Türkei und Saudi-Arabien unterstützt werden) und der vom westlichen Ausland aus operierende „Syrische Nationalrat“ (SNR) plädieren seit langem für eine militärische Intervention der NATO, wobei ihnen offenbar Libyen als Beispiel gilt. Der Annan-Plan, so heißt es in einer jüngsten Erklärung des SNR, solle „zum Teufel gehen“.

Dem gegenüber haben es die Stimmen aus Syrien schwer gehört oder hier zu Lande publiziert zu werden, die sich für einen gewaltlosen Weg der Reform und Demokratisierung des Landes aussprechen und sich eine ausländische Einmischung verbitten. Zivilgesellschaftliche Akteure in oppositionellen Parteien, Nichtregierungsorganisationen – die sich in den letzten Monaten zahlreich gebildet haben – und Interessenverbände aus den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft plädieren für Gespräche und Verhandlungen unter Einschluss aller Kontrahenten. Alles andere würde den Bürgerkrieg weiter entfesseln und das Eingreifen ausländischer Mächte provozieren.

Besorgnis erregend ist neben der Gewalteskalation im Inneren die Formierung einer Interventionsfront, die im Westen von Frankreich, im Nahen Osten von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei angeführt wird. Bewaffnete Kräfte sind mittlerweile aus Libyen nach Syrien gelangt um dort den Bürgerkrieg am Leben zu halten; zahlreiche Anschläge mit Dutzenden Toten tragen die Handschrift von professionellen Terrorbanden à la al-Kaida. All diese Gewaltexzesse müssen ebenso wie die jüngsten Massaker von Hula von unabhängigen Ermittlern aufgeklärt werden.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wendet sich entschieden gegen alle Gedankenspiele, die Gewalt in Syrien mit einer Militärintervention beenden zu wollen. Abgesehen davon, dass der Einsatz von Militär grundsätzlich keinen Konflikt lösen kann, sondern eher noch zu dessen weiterer Eskalation beiträgt, würde sich eine Intervention in Syrien unweigerlich zu einem Flächenbrand ausweiten. Syrien ist verbündet nicht nur mit Iran, sondern auch mit der mächtigen Hisbollah in Libanon. Viele Palästinenser sehen in Syrien nach wie vor eine Art Verbündeten zur Vertretung ihrer Interessen. Sollte sich die türkische Armee an einer Kriegskoalition beteiligen, würde das die ca. drei bis vier Millionen syrischen Kurden auf den Plan rufen. Der Irak ist involviert einmal wegen der Millionen Kriegsflüchtlinge, die heute noch in Syrien leben, zum anderen wegen der Konkurrenz mit Saudi Arabien (aber auch Ägypten) um eine regionale Führungsposition. Saudi-Arabien bekämpft das syrische Regime, um damit auch die Achse Teheran – Bagdad - Damaskus – Libanon zu schwächen. Saudi-Arabien wird dabei insbesondere von Katar und den Emiraten unterstützt. Katar unterstützt die Muslimbrüder insbesondere durch seinen Sender Al Dschasira, die Emirate liegen im Streit mit dem Iran über drei Inseln in der Straße von Hormus. Kurzum: Der Nahe und Mittlere Osten würde in eine unkontrollierte Neuordnung hineingezogen, die mit „Ordnung“ nichts, mit Chaos und Gewalt aber sehr viel zu tun hätte.

Vorschläge zur Deeskalation der Gewalt und zur Lösung des syrischen Knotens jenseits einer militärischen Option liegen auf dem Tisch.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag fordert:
  1. Die Mission von Kofi Annan muss fortgesetzt und personell erweitert werden. Die syrische Demokratische Plattform schlägt z.B. eine Erhöhung der internationalen Beobachter von 300 auf bis zu 3.000 vor. Sie müssten auch in Kleinstädten und Dörfern stationiert werden und dort präsent sein, wo die Geheimdienste agieren.
  2. Absage an alle Gedankenspiele über eine militärische Intervention; die Vereinten Nationen sollten – in Erfüllung der beiden Sicherheitsrats-Resolutionen 2042 und 2043 - ihre Dienste zur Vermittlung im syrischen Konflikt anbieten; Moderieren ist besser als massakrieren;
  3. Ausstieg aus dem Sanktionsmechanismus der EU und Zurücknahme bisher erfolgter Sanktionen; stattdessen Umsetzung eines allgemeinen Waffenembargos;
  4. Sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens; dies schließt Schützenpanzer in die Vereinigten Emirate genauso ein wie Kampfpanzer nach Saudi-Arabien oder U-Boote nach Israel;
  5. Bereitstellung humanitärer (z.B. medizinischer) Hilfe für Syrien, allerdings ohne jeglichen „militärischen Begleitschutz“;
  6. Erlass eines sofortigen Abschiebestopps für Flüchtlinge aus Syrien; ihnen kommt der Status von Kriegsflüchtlingen zu; sie fallen somit unter die Genfer Flüchtlingskonvention; darüber hinaus sollte syrischen Flüchtlingen ein Aufenthalt in den Staaten der Europäischen Union angeboten werden.
Krieg und Intervention sind keine Sandkastenspiele sondern tödlicher Ernst. Die Erfahrungen aus den gescheiterten Interventionen in Afghanistan, Irak und Libyen müssen von der Politik endlich zur Kenntnis genommen werden: Krieg kann nicht mit Krieg, Gewalt nicht mit Gewalt beantwortet werden. Die Friedensbewegung wird sich sowohl in Deutschland als auch international gegen jeglichen militärischen Einmischungsversuch wenden und die Öffentlichkeit zum Widerstand auffordern.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin
Peter Strutynski, Kassel


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