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Das Agrarland Syrien, die Wirkung der Sanktionen und die "Geberkonferenz" in Kuwait

Von Karin Leukefeld, Damaskus

Es ist noch tiefste Nacht, als die beiden Arbeitskollegen, Nabil und Aziz, sich auf den Weg zum Bab Srijeh Markt machen, einem beliebten Markt im alten Midanviertel, vor den Toren der Damaszener Altstadt. Wenig später reihen beide sich in eine lange Schlange von Männern ein, es ist 4 Uhr morgens. Schweigend, geduldig und in sich gekehrt, warten die Männer vor der staatlichen Bäckerei, die um 4 Uhr mit dem Verkauf beginnt. Seit 2 Uhr haben die Bäcker Teig zubereitet und die Maschinen – Made in Germany - eingestellt, über deren Bänder die Brotfladen bis auf den Verkaufstisch transportiert werden. Dann verteilen die Bäcker die noch heißen Brotfladen in großen Mengen durch das kleine Verkaufsfenster an die Wartenden. 1800 kg, 9 Brote, kosten 15 Syrische Pfund, erzählt Nabil. Umgerechnet sind das 15 Eurocent.

An diesem Morgen warten die beiden Arbeitskollegen 2 Stunden. Durch die hohe Zahl an Inlandsvertriebenen, die in Damaskus Schutz suchen, ist die kleine Bäckerei enorm gefordert. Nach dem Morgengebet, als die Dämmerung sich um 6 Uhr langsam von der östlichen Ghouta über Damaskus erhebt, ziehen sie mit dem Brot von dannen. Brot ist das wichtigste Lebensmittel für die Menschen in der arabischen Welt, bei keiner Mahlzeit darf es fehlen. „Wer Geld hat und nicht so lange warten will, kauft das Brot in den privaten Bäckereien“, sagt Nabil. „Da kostet ein Kilogramm 80 Syrische Pfund und hat es etwas mehr Zutaten, wie Milch. Doch wir sind froh, dass die Regierung das Brot weiter subventioniert. Alle anderen Lebensmittel sind heute fast doppelt so teuer wie am Anfang der Krise.“

Mit einem Nothilfeprogramm der Dringlichkeitsstufe 3 wollen die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen, die unter dem Dach von OCHA, dem Humanitären UN-Nothilfeprogramm arbeiten, den Syrern in ihrer Krise beistehen. Für den Zeitraum von Januar bis Juni 2013 sind insgesamt 1,5 Milliarden US-Dollar beantragt. Davon sollen 519 Millionen USD für Hilfsprogramme im Land eingesetzt werden, „um die Bemühungen der syrischen Regierung zu unterstützen, der betroffenen Bevölkerung humanitär beizustehen“. Innerhalb Syriens wird die Zahl der Betroffenen auf 4 Millionen geschätzt, rund 2 Millionen gelten als Inlandsvertriebene, allein in Damaskus wird deren Zahl auf 1 Millionen geschätzt.

Der Rest der beantragten Hilfsgelder, 1 Millionen US-Dollar, soll den Nachbarstaaten Türkei, Libanon, Irak und Jordanien helfen, mit den etwa 600.000 syrischen Flüchtlingen fertig zu werden, die in diesen Ländern Schutz gesucht haben. Die tatsächliche Zahl der Geflohenen könnte sehr viel höher sein, doch nicht alle Flüchtlinge registrieren sich bei den Vereinten Nationen.

Dringlichkeitsstufe 3 bedeutet die umgehende Mobilisierung eines UNO Hilfsprogramms, in dem alle UN-Hilfsorganisationen das jeweilige Land zu ihrem Schwerpunkt erklären und ihre Tätigkeit miteinander koordinieren, erläutert ein Offizieller der UN-Organisation für Nahrungsmittel und Landwirtschaft (FAO). Dabei kann ein mit besonderen Vollmachten ausgestatteter Koordinator oder eine Koordinatorin eingesetzt werden, um über alle Planungen, Schwerpunktsetzung und Verteilung der Ressourcen zu entscheiden.

In den Einsatzländern, deren Regierungen einem UNO-Einsatz zustimmen müssen und auf deren Kosten die Hilfsorganisationen untergebracht werden, gelten für die Hilfsprogramme strenge Regeln. Die Tätigkeit wird kontrolliert, über jeden ausgegebenen Dollar wird akribisch Buch geführt, eine Forderung.

In Syrien hat die OCHA vier Kategorien hilfsbedürftiger Personen ausgemacht. Menschen, die in oder nahe bei umkämpften Gebieten leben, Inlandsvertriebene, Familien und Gemeinden, die die Vertriebenen aufnehmen und Arme, die in städtischen oder ländlichen Gebieten „unter den vielen Auswirkungen der aktuellen Ereignisse und den Folgen der Wirtschaftssanktionen“ zu leiden haben, heißt es in einer Erklärung der Organisation.

Trotz des Krieges und der Sanktionen sei Syrien noch immer in der Lage, seine Bevölkerung zu ernähren, betont der Agraringenieur Abdul Mouen Al-Kudmani (im Gespräch mit der Autorin). Im Landwirtschaftsministerium in Damaskus ist Al-Kudmani für die Pflanzenproduktion und –forschung zuständig. Trotz der Umstände seien im letzten Jahr rund 3 Millionen Tonnen Weizen geerntet worden, die Regierung habe davon entsprechend einer langfristigen Vereinbarung mit den Bauern, 2 Millionen Tonnen gekauft. Allerdings seien – insbesondere in den Provinzen Homs, Aleppo und Idlib - Lager aufgebrochen und der Weizen gestohlen worden.

Dass die FAO von einem Rückgang von 50 Prozent in der Weizenernte ausgeht (normale Jahresernte 4 Millionen Tonnen, bei gutem Regen), führt Al-Kudmani auf „unvollständige Daten“ der UNO-Organisation zurück. Seitens der FAO wird eingeräumt, dass „jede Regierung in einer Krisensituation strategische Daten ungern bekannt gibt“.

Die syrische Landwirtschaft ist zu 50 Prozent von Regen abhängig, 50 Prozent bezieht das Wasser aus Brunnen und Staudämmen über Bewässerungssystem. Die Ernte von Gemüse und Obst sei in der vergangenen Saison „dank des Regens“ gut gewesen, so Al-Kudmani weiter. Allerdings seien Ernte und Verkauf durch die „widrigen Umstände“ beeinträchtigt worden. Es fehle an Heizöl, mit dem die landwirtschaftlichen Maschinen und Bewässerungspumpen betrieben würden, auch der Transport sei dadurch beeinträchtigt. Düngemittel, die in Syrien von der Privatwirtschaft hergestellt würden, seien knapp geworden. „Durch die Sanktionen ist der komplette Handel mit dem Ausland blockiert, für die Regierung aber auch für die Privatwirtschaft.“ Hilfe sei im Bereich der Bewässerung nötig, viele Bewässerungssysteme seien zerstört worden, Pumpen wurden gestohlen.

Der Agraringenieur hofft auf einen baldigen Frieden und ein Ende der Kämpfe. Und er zeigt sich „stolz, dass wir trotz des Krieges und trotz der Sanktionen gegen unser Land, unsere Menschen ernähren können.“

Mittwoch, 30.01.2013


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