Warum ich den Syrien-Aufruf von medico international und adopt a revolution "Freiheit braucht Beistand" nicht unterschreiben kann
Von Mohssen Massarrat
Als ich den
Syrien-Aufruf las und sah, dass viele namhafte Persönlichkeiten aus dem Lager der Friedensbewegung ihn unterschrieben haben, der mir persönlich aber sehr merkwürdig vorkam, teilte ich einem kleinen Freundeskreis aus der Friedensbewegung meine starken Bedenken dagegen mit. Durch eingegangene Rückmeldungen fühlte ich mich in meiner Ablehnung des Aufrufs mehr als bestätigt. Hans-Peter Dürr, einer der prominentesten Unterzeichner des Aufrufs, wundert sich in seiner Rückmeldung an mich, wieso sein Name unter diesen Aufruf gelangt ist. Konstantin Wecker hat offensichtlich seine Unterschrift zurückgezogen. Elmar Altvater warb um Verständnis für seine Unterschrift, er hätte mangels Alternativen und weil er der Auffassung sei, dass man etwas gegen das schlimme Blutvergießen tun müsse, den Aufruf trotz Bedenken unterschrieben. Inzwischen weiß ich von sehr vielen, die diesen Aufruf nicht unterschreiben werden. Die Unsicherheit in der Friedensbewegung scheint ziemlich groß zu sein, zumal der Aufruf von medico international, einer namhaften NGO, die sich u. a. sehr intensiv für die Freiheit der Kurden im Mittleren Osten einsetzt, mit initiiert worden ist. Gerade deshalb muss genauer erklärt werden, worin das Hauptproblem dieses Aufrufes besteht, mit dem jeder Kriegsgegner sich aufrichtig
auseinandersetzen sollte. Der Aufruf wendet sich dezidiert gegen Waffenlieferungen und die Einmischung von allen Seiten in den Syrien-Konflikt und plädiert für die Unterstützung der nicht bewaffneten Oppositionsgruppen gegen das Assad-Regime. Er formuliert damit auf den ersten Blick positive Positionen, denen normalerweise jede/r Friedensbewegte zustimmen könnte. Auffällig sind allerdings folgende Aspekte:
1) Die ganze politische Stoßrichtung des Aufrufs zielt ausschließlich auf die
Gräueltaten des Assad-Regimes und lässt damit einen regime change suggestiv als
alternativlos erscheinen. Dies wird zusätzlich mit der Behauptung untermauert, das
Assad-Regime hätte sämtliche Dialogmöglichkeiten mit der Opposition ignoriert. Immerhin gab es den russischen Vorschlag der Schaffung einer Übergangsregierung unter Mitwirkung des Assad-Lagers, der jedoch an der Ablehnung durch die syrischen Oppositionsgruppen und der sie unterstützenden Staaten (Saudi-Arabien und USA) gescheitert ist. Im übrigen bleibt der Aufruf hinsichtlich der Identität der unbewaffneten syrischen Oppositionsgruppen und wie man sie vom Ausland aus unterstützen kann unkonkret.
2) Will man aber wirklich ein weiteres Blutvergießen und eine Ausweitung des
Bürgerkrieges und eine mögliche militärische Intervention der NATO verhindern,
dann wäre gerade ein Übergangsregime, selbstverständlich unter Mitwirkung des
gegenwärtig herrschenden Regimes, friedenspolitisch die einzig zielführende
Alternative, die auch am besten geeignet wäre, Massakern an Aleviten, die durch
einen Sturz des Assad-Regimes wahrscheinlich wären, vorzubeugen. Die positiven
Beispiele Südafrikas und Chiles sind historische Belege für die alternative
"Übergangsregierung" als friedenspolitisch beste Lösung des Konflikts, die auch in
Syrien hätten nachgeahmt werden können. Hier hätte so und unter der Aufsicht der
UNO ein Prozess eingeleitet werden können, an dessen Ende freie Wahlen und eine neue Verfassung möglich würden. Von dieser Alternative würde gerade die unbewaffnete syrische Opposition am meisten profitieren können, für die sich der Aufruf stark macht. Aber merkwürdigerweise wird im Aufruf ausgerechnet dieser russische Vorschlag, dem das Assad-Regime zugestimmt hatte, unterschlagen. Damit wird der scheinbar positive Ansatz des Aufrufs, der unbewaffneten Opposition eine Stimme geben zu wollen, unglaubwürdig.
3) Mit keinem Wort - und das ist für mich das Allerwichtigste bei diesem Aufruf - werden die offensichtlichen Bestrebungen einer koordinierten Intervention von Außen erwähnt, die ja zur Zeit zwischen den arabischen Ölstaaten (Saudi-Arabien und Katar) einerseits und der NATO durch die Aufstellung von Patriot-Raketen in der Türkei andererseits im Gange sind. Hinzu kommt die westliche Propaganda im Vorfeld einer möglichen militärischen Intervention, das Assad-Regime bereite sich auf den Einsatz von chemischen Waffen gegen das eigene Volk vor. Die täglichen Warnungen westlicher Politiker an das Assad-Regime, keine Chemiewaffen gegen das eigene Volk einzusetzen und die angeblichen Geheimdienstberichte, das Assad-Regime sei dabei, das Nervengift Sarin herzustellen, um sie in Syrien einzusetzen,
erinnern an die Lügenpropaganda vor dem Irakkrieg von Colin Powell, das Saddam Hossein-Regime verfüge nachweislich über Massenvernichtungswaffen. Die Unterstellung, das Assad-Regime wolle Chemiewaffen gegen das eigene Volk einsetzen, grenzt an eine Absurdität, die man sich nur in interessierten Geheimdienstkreisen ausdenken kann.
4) Der Aufruf hüllt sich über die spürbare psychologische Kriegsvorbereitung und die einseitige Berichterstattung im Westen völlig in Schweigen. Jegliche konkrete Forderung, wie der Konflikt ohne Krieg beendet werden kann, was ja eigentlich ein zentrales Anliegen eines friedenspolitischen Aufrufes sein müsste, fehlt im Aufruf. Er
enthält auch keine Hinweise, wie wir vom Ausland einen Beitrag für den Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft in Syrien leisten könnten. Die kritischen Hinweise auf Waffenlieferungen und Einmischung von Außen erscheint in diesem Kontext eher als Alibi, um das Wesentliche nicht beim Namen zu nennen.
5) Man fragt sich, was medico international mit diesem Aufruf erreichen will. Hat die Fokussierung auf das Assad-Regime mit dem verständlichen Wunsch der Kurden in Syrien zu tun, die nichts gegen eine militärische Intervention der NATO hätten, wenn dadurch dieses Regime fallen würde? Im Irak war es nämlich so! Und kann sich dann die Friedensbewegung bei einem so komplexen Konflikt im Mittleren Osten auf die Solidarität mit einer der Konfliktparteien einlassen und dabei die Möglichkeit eines Krieges, wie er im Falle des Irak mit allen seinen Folgen stattfand, gänzlich ausblenden? Es ist allerdings das gute Recht einer NGO, sich so zu positionieren. Es ist aber mehr als fraglich, diese Haltung nicht offen in einem Aufruf für jedermann erkenntlich zu formulieren. Alle diejenigen, die den Aufruf im guten Glauben unterschrieben haben, sie würden dadurch gegen Krieg als Lösung im Syrienkonflikt Position beziehen (viele mir bekannten Namen unter dem Aufruf deuten auf eben eine solche Antikriegshaltung hin), würden sich massiv hinters Licht geführt fühlen, wenn dieser Aufruf letztlich indirekt eine mögliche NATO-Intervention rechtfertigt.
17. Dezember 2012
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