Neuer Spitzelfall
Studentin in fremdem Dienst
Von Dinu Gautier *
Eine Frau, die für die Lieblings-PR-Firma der Schweizer Waffenindustrie arbeitet, nimmt an strategischen Sitzungen der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) teil, angeblich aus rein privatem Interesse.
Schickte die Rüstungslobby eine Spitzelin an ein Strategietreffen der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA)? Zunächst war da ein Verdacht, der sich allmählich erhärtete, dann gab es ein Dementi von der Verdächtigten. Dumm nur, dass ihr Partner gegenüber der WOZ bereits Klartext geredet hatte. Doch der Reihe nach:
Samstag, der 20. Juni 2009, fünf Monate vor der Volksabstimmung über die Initiative gegen Kriegsmaterialexporte (vgl. Text «Die Initiative» weiter unten): Am Bahnhof Wallisellen besammeln sich gut dreissig Mitglieder der GSoA. Sie wollen sich während zweier Tage in einem Pfadiheim «gegenseitig für den Abstimmungskampf motivieren» sowie «Aktionen und Kampagnen planen», wie es in der Einladung zu dieser «Fitamin» genannten Retraite heisst.
Auch die 31-jährige Corinne Schweizer (Name geändert) steht an jenem Vormittag am Walliseller Bahnhof. Sie ist das einzige neue Gesicht, die anderen kennen sich. Im Pfadiheim wird nach einer kurzen Begrüssung das Mittagessen aufgetischt. Beim Essen, so Tom Cassee von der GSoA, habe er die Frau dann gefragt, wieso sie an dieser Retraite teilnehme. Ihre Antwort laut Cassee: «Ich bin Politologiestudentin an der Uni Bern, mache im Sommer meinen Bachelor und überlege mir, eine Seminararbeit zu Abstimmungskämpfen zu schreiben.»
Kennerin der Materie
Noch während des Essens habe Schweizer angefangen, Fragen zu stellen: «Wie viele Mitglieder hat die GSoA? Wie hoch ist das Budget?» Dann begannen die Sitzungen, thematisiert wurde unter anderem der Gegner im Abstimmungskampf: die PR-Agentur Farner, traditionellerweise federführend, was Kampagnen gegen GSoA-Initiativen angeht. GSoA-Sekretärin Rahel Ruch: «Schweizer hat als Einzige wie wild auf einem Notizblock mitgeschrieben.» Dann seien Workshops zu Themen wie «Unsere Gegner und ihre Argumente» oder «Globale Auswirkungen von Waffenexporten» auf dem Programm gestanden. In den Workshops habe Schweizer sich alle verfügbaren Dokumente geschnappt und sei in den Diskussionen als sehr gute Kennerin der Materie aufgefallen, so Ruch. «Sie kannte den Initiativtext genau und hat treffsicher genau jene juristischen Formulierungen angesprochen, die die Waffenlobby im Abstimmungskampf kritisieren wird. Dabei waren diese in der Öffentlichkeit bisher kaum Thema.»
Während Corinne Schweizer die Nacht zu Hause verbrachte, schliefen die meisten GSoA-Mitglieder im Pfadiheim. Zu diesem Zeitpunkt seien einige GSoA-Mitglieder bereits misstrauisch geworden. Man habe angefangen, sich entsprechende Fragen zu stellen, sagt Ruch, «etwa wieso sie noch eine Seminararbeit schreiben muss, wenn doch ihr Bachelorabschluss unmittelbar bevorsteht».
Die «Freelancerin»
Am nächsten Morgen war Schweizer rechtzeitig für die anstehenden Gruppendiskussionen wieder zurück. Es sei an diesem Tag um Aktionen und Kampagnenideen gegangen, so Ruch. Eine volle Präsenzliste (auf der Schweizer sich übrigens am Vortag bereits mit echtem Namen und Adresse eingetragen hatte), habe Schweizer an diesem Tag intensiv studiert, bis eine GSoA-Aktivistin ihr die Blätter weggeschnappt habe.
Wieso hat die GSoA die Frau nicht konfrontiert, ihr nicht ins Gesicht gesagt, dass einige ein ungutes Gefühl hätten? «Wir waren uns zu unsicher, wollten nicht unfreundlich und paranoid erscheinen», so Rahel Ruch.
Dass Misstrauen angebracht war, zeigen WOZ-Recherchen. An der Uni Bern ist Corinne Schweizer nicht mehr eingeschrieben. Ihren Bachelor in Politikwissenschaften hat sie bereits im letzten Winter erhalten. Und: Corinne Schweizer hat dieses Jahr ein Praktikum bei Farner PR in Zürich absolviert. Heute wird Schweizer bei der PR-Agentur als freie Mitarbeiterin (Freelancerin) geführt. Farner ist nicht nur der älteste und grösste Public-Relations-Anbieter der Schweiz, sondern vertritt auch seit Jahren bei Volksabstimmungen die Interessen der Waffenindustrie (vgl. Text «Für Militär und Kartoffelsäcke» weiter unten).
Hat Corinne Schweizer die GSoA also im Auftrag des Waffenlobbyisten Farner bespitzelt? Oder handelt es sich nur um einen dummen Zufall? Und was hatte Schweizer zu verbergen, als sie der GSoA sagte, sie sei eine rein wissenschaftlich interessierte Studentin?
Corinne Schweizer äusserte sich telefonisch:
WOZ: Wieso haben Sie am GSoA-Wochenende in Wallisellen teilgenommen?
Corinne Schweizer: Als Politologin interessieren mich Volksinitiativen. Ich kann mir vorstellen, künftig auf dem Gebiet von Abstimmungskampagnen zu arbeiten, wollte also sehen, wie so was gemacht wird. Dass die Veranstaltung stattfindet, habe ich auf der GSoA-Website gesehen, worauf ich mich ganz normal, also per Mail, mit meinem Namen angemeldet habe. Auf der Website stand explizit: für alle Interessierten. Und interessiert war ich. Ohne Rückfragen zu meiner Person und Motivation erhielt ich danach die Details des Fitamins zugemailt.
Farner hat Sie damit beauftragt.
Nein, es gab keinen Farner-Auftrag. Es trifft zwar zu, dass ich noch einen Freelancevertrag mit Farner habe, wobei ich aber seit längerer Zeit keine Aufträge mehr erhalten habe. Mein Praktikum bei Farner war zum fraglichen Zeitpunkt übrigens bereits abgeschlossen.
Es ist also Zufall, dass Sie als Freelancerin derjenigen Agentur, die den Abstimmungskampf gegen die Waffenexport-Initiative führt, an dieser Versammlung teilgenommen haben?
Ja. Sehen Sie: Farner ist eine grosse Agentur mit zig Mitarbeitern. Ich habe nie an einem Mandat im Bereich Sicherheitspolitik gearbeitet. Und dass die Rüstungsindustrie PR-Dienste in Anspruch nimmt, ist auch nicht weiter erstaunlich. Das machen alle Industrien.
Wieso haben Sie nicht erwähnt, dass Sie bei Farner unter Vertrag sind?
Ich hatte zwar einen Freelancevertrag, habe jedoch in diesem Zeitraum kaum für Farner gearbeitet. Ich weiss ja auch nicht, wo die anderen Teilnehmer arbeiten, und das geht mich auch nichts an. Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurde Farner thematisiert. Ich realisierte, dass Farner stellvertretend für die Rüstungsindustrie ein Feindbild der GSoA ist. Wie wäre ich dagestanden, wenn ich erzählt hätte, ich sei dort Freelancerin? Da verstehen Sie doch sicher, dass ich lieber aufs Maul gesessen bin. Im Übrigen ging es an diesem Wochenende um Slogans, Argumente und die Ideenfindung für Aktionen. Dabei habe ich mitgearbeitet, zum Beispiel mitüberlegt, wie die Argumente der Gegner erwidert werden könnten. Aus meiner Sicht war da nichts Geheimes und Weltbewegendes, was ja auch nicht erstaunt: Die Veranstaltung war ja öffentlich.
Die GSoA sagt, sie sei nicht öffentlich gewesen ...
Weder bei der Anmeldung noch während der Veranstaltung wurde je erwähnt, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handle. Ich habe bereits beim Treffpunkt erwähnt, ich sei das erste Mal bei einem Fitamin dabei und sei auch nicht Mitglied der GSoA. Fragen Sie die GSoA mal, wieso sie auf ihrer Website auf eine Veranstaltung für alle Interessierten hinweist, die nicht öffentlich ist. Wie hätte ich mich dann anmelden können? Und fragen Sie sie, was denn Geheimes besprochen worden sei.
Nachfragen bei der GSoA:
Was wurde am Fitamin-Wochenende Geheimes besprochen, Rahel Ruch?
«Es liegt doch in der Natur der Sache, dass die Strategiefindung im Hinblick auf einen Abstimmungskampf geheim ist. Es gibt ja auch keine Partei, die ihre Strategie für die Bundesratswahl auf ihrer Website veröffentlicht.» Und wieso hiess es dann in der Einladung, alle Interessierten seien eingeladen? «Damit waren Leute gemeint, die interessiert daran sind, sich zu engagieren, mitzuhelfen. Wir gehen von einer gewissen Ehrlichkeit aus und rechnen nicht damit, bespitzelt zu werden.» Aber wieso war die Einladung auf der Website? Ruch: «Die GSoA ist eine soziale Bewegung, lebt vom Engagement vieler Leute und ist darauf angewiesen, dass auch neue Leute unkompliziert hinzustossen können. Offenbar müssen wir künftig unter jede Einladung schreiben, Spitzel seien nicht willkommen.»
Farner beobachtet «passiv»
Die WOZ wollte von Daniel Heller, Mitinhaber, Direktor und Verwaltungsrat von Farner wissen, ob er von Corinne Schweizers Teilnahme am GSoA-Wochenende gewusst habe.
«Der Vorfall ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Die Agentur nimmt generell zu ihrer Auftragstätigkeit nicht öffentlich Stellung», so Hellers Antwort. Es stehe den Farner-MitarbeiterInnen frei, öffentliche politische Veranstaltungen aller Art zu besuchen.
«Im Rahmen unserer Tätigkeiten werden selbstverständlich Medienberichte und öffentliche Meinungsäusserungen beobachtet und analysiert, Beobachtung und Analyse geschieht in der Regel passiv», so der auf politische PR spezialisierte Heller. Und kann Letzteres auch verdeckt erfolgen, also ohne dass Mitarbeitende gegenüber den Beobachteten offenlegen, für wen sie arbeiten?
«Wie erwähnt erfolgen Beobachtung und Analyse in der Regel passiv und nicht aktiv», so Heller.
Zeit für eine kurze Zwischenbilanz: Es steht Aussage gegen Aussage. Die Leute von der GSoA glauben nicht an Zufälle, Corinne Schweizer spricht genau davon. Und der Farner-Vertreter sagt «generell» wenig. Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte, denn es hat sich auch einer geäussert, der kein PR-Profi ist: Corinne Schweizers Freund.
Der Freund
Die WOZ war ihm drei Tage vor dem Telefoninterview mit Schweizer vor deren gemeinsamer Haustür im Grossraum Zürich begegnet, als sie Schweizer ein erstes Mal mit den GSoA-Vorwürfen zu konfrontieren versuchte, sie aber nicht antraf. Die Übergabe einer WOZ-Visitenkarte und das Stichwort «GSoA» genügten, und schon gab Schweizers Freund Auskunft: Er dürfe von der Sache eigentlich gar nicht wissen, dennoch habe ihm Corinne davon erzählt: Die Geschichte sei dumm gelaufen, Farner habe Corinne vor ihrem Einsatz schlecht «gebrieft». Sie habe geglaubt, es sei eine öffentliche Veranstaltung, sie habe nicht gewusst, auf was sie sich da einlasse. Selbstverständlich habe sie dort nicht erzählen können, für wen sie arbeite. Am zweiten Tag habe sie sich «schwer überlegt», ob sie sich das wirklich nochmals antun wolle, aber als Politologin in Zürich gebe es, anders als in Bern, nicht sonderlich viele Jobs. Da könne sie es sich mit der grossen und mächtigen Farner PR nicht verspielen.
Von diesen Aussagen gegenüber der WOZ will Corinnes Freund heute freilich nichts mehr wissen. Er habe sich da in etwas verrannt, sagt er. Bis kurz vor Redaktionsschluss bleibt die Nervosität Schweizers und ihres Freunds deutlich spürbar. Sie fragen mehrmals, ob man ihnen «Beweisdokumente» vorenthalten habe oder ob das Gespräch vor der Haustür aufgezeichnet worden sei.
Für Militär und Kartoffelsäcke
«Gebt mir eine Million, und ich mache aus jedem Kartoffelsack einen Bundesrat», soll Rudolf Farner einst gesagt haben. 1951 gründete er Farner PR.
Die Firma mit ihren rund fünfzig MitarbeiterInnen ist heute mit über vierzehn Millionen Franken Umsatz das grösste inländische PR-Unternehmen. Etwa ein Viertel der Geschäftstätigkeit entfalle auf politische Mandate, hiess es 2001 in der «Weltwoche».
Farner-Direktor Daniel Heller zur WOZ: «Farner war massgeblich an der Bekämpfung aller armeefeindlichen Volksinitiativen seit 1984 beteiligt.» 1997 setzte sich Farner gegen die letzte Kriegsmaterialexport-Initiative ein - und gewann die Abstimmung mit 77 Prozent Stimmenanteil. Auch die «wirtschafts- und armeefeindliche» Initiative in diesem Jahr werde Farner helfen zu bekämpfen, so Daniel Heller.
Freilich tut dies Farner diskret: Die Kampagnenarbeit wird im Namen von Organisationen geleistet, die das Wort Farner nicht im Namen tragen. Sie heissen etwa Verein Sicherheitspolitik und Wehrwirtschaft (VSWW), Arbeitskreis Sicherheit und Wehrtechnik (ASUW) oder Arbeitsgemeinschaft für eine wirksame und friedenssichernde Milizarmee (AWM). Die Geschäftsführung wird in allen drei Fällen von Farner PR besorgt.
Die rechtskonservative PR-Firma gibt grundsätzlich nicht bekannt, welche Auftraggeber sie im Mandat vertritt.
Die Initiative
Die von einem linken Komitee unter Federführung der Gruppe Schweiz ohne Armee (GsoA) eingereichte Volksinitiative sieht ein Verbot des Exports von «Kriegsmaterial» (beispielsweise Panzern) und «besonderen militärischen Gütern» (beispielsweise Pilatus-Trainingsflugzeugen) vor. Nicht betroffen von einem Verbot wären Dual-Use-Güter, also Produkte, die sowohl militärisch wie auch zivil genutzt werden können. Abgestimmt wird am 29. November.
www.kriegsmaterial.ch
* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 20. August 2009
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