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Der Spaß ist vorbei

Sanktionen wirken immer auch zurück. Moskau hatte viel Geduld mit dem Westen. Die beschlossenen Gegenmaßnahmen werden die Krise verschärfen

Von Rainer Rupp *

Die Scharfmacher im Westen hatten ihren Spaß: ­Solange jedenfalls, wie sie sich ungestraft mit dem Spiel »Putin ist böse« amüsieren und Rußland eine Strafmaßnahme nach der anderen aufbrummen konnten. Nach langem, geduldigem Werben um Fortführung der Zusammenarbeit, hat Moskau reagiert. Der Import fast aller Agrarprodukte aus der EU und den USA (die der Gefolgsstaaten Kanada und Australien gleich mit) wurde für zunächst zwölf Monate gestoppt. Jetzt rufen vor allem die »Europäer« laut: »unfair«, »politisch motiviert«, »unverantwortlich« sei das. Und sie entdecken, daß vor allem die »armen Russen« drunter leiden werden. Realsatire.

Nicht alle EU-Länder werden gleich hart von der russischen Reaktion getroffen. Besonders schmerzhaft sind die Folgen für die Staaten der Peripherie, angefangen beim Baltikum (die fast 90 Prozent ihrer Agrarexporte bisher über die Grenze ins Nachbarland geliefert haben), über Polen und Österreich bis hin zu Italien, Spanien und Griechenland. Gerade im letztgenannten Land, es steht ohnehin weiter am Rande des Ruins, leben ganze Landstriche vom jetzt unterbundenen Rußlandgeschäft. Zugleich kam am Mittwoch aus Italien die Nachricht, daß das Land erneut in die Rezession gerutscht ist – und auch den Rest EU-Europas mit sich ziehen könnte. Durch die Sanktionen wird das wahrscheinlicher. Für die trüben Aussichten insgesamt haben die Eurokraten in Brüssel den Schuldigen längst ausgemacht: Wladimir Putin muß jetzt als Sündenbock für das Ausbleiben der seit Jahren versprochenen, aber nie eingetretenen, wirtschaftlichen Erholung herhalten. Und die meisten Medien machen mit: »Putin bedroht Europas Aufschwung« titelte der US-Wirtschaftnachrichtendienst Bloomberg am Mittwoch.

Den EU-Regierungschefs war von Anfang an klar, daß eine Reaktion auf die von Washington angetriebene Eskalation der Sanktionen hauptsächlich die eigenen Länder und nicht die USA treffen würde. Daher waren sie vom ersten Tag der Ukraine-Krise an dagegen. Aber jedes Mal, wenn es darauf ankam, hatten sie nicht den Mut, Washington die Stirn zu bieten. Ein in Florida lebender bekannter Internetblogger und Rußlandkenner, er nennt sich »The Saker«, hat die aktuelle Situation derb kommentiert: »Die Europäer haben gehandelt wie rückgrat- und hirnlose Prostituierte«, die sich »Uncle Sam« angedient hätten. Rußlands Nachricht in Richtung EU sei einfach: »Dann zahlt den Preis dafür.«

Die EU-Herrlichkeit ist nun sehr empört. Putin wagt es, mit Sanktionen zu antworten – statt sich in einer russischen Höhle zu verkriechen. Zugleich stellt die Kommissionselite unter Beweis, daß sie absolut keine Ahnung davon hat, wie es weitergehen soll: In einer Presseerklärung gab Brüssel bekannt, daß sie die Welthandelsorganisation WTO anrufen werde, damit diese Rußland zwingt, seine Importverbote aufzuheben. Besonders besorgt ist man darüber, daß es angesichts der hohen Kosten des Moskauer Importstops bereits in etlichen Ländern, insbesondere in Griechenland und Österreich, Anzeichen für ein Ausscheren aus der Sanktionsfront gibt. Deshalb wird in Berlin und Brüssel bereits über einen milliardenschweren Kompensationsfonds nachgedacht, der mit Steuergeldern die EU-Agrarexporteure für ihre im Rußlandgeschäft entgangenen Gewinne entschädigen soll.

Die Kosten für den Westen beschränken sich nicht nur auf den Agrarsektor. Rußland hat auch ein Flugverbot für europäische und US-amerikanische Airlines erlassen, die über russisches Gebiet nach Ostasien und in die asiatisch-pazifische Region fliegen. Ersten Schätzungen zufolge wird das allein die Lufthansa 1,2 Milliarden Euro im Jahr kosten. Außerdem erwägt Moskau, die sogenannten Eintritts- und Austrittspunkte für Linien- und Charterflüge zu verändern, ebenso wie die Regeln zur Benutzung der transsibirischen Routen. Die EU-Fluggesellschaften werden also auf den lukrativen Routen nach Asien nicht nur unter sehr viel höheren Kosten leiden, sondern müssen ihren Kunden auch längere Flugzeiten zumuten. Die konkurrierenden asiatischen Fluglinien, die von den Strafmaßnahmen ausgenommen sind, freuen sich.

Auch ist Rußland seit geraumer Zeit dabei, für seine Agrarimporte andere Lieferanten zu finden. Entsprechende Abkommen u.a. mit Brasilien, Argentinien und etlichen der über 100 anderen Länder, die nicht der Sanktionspolitik des Westens gefolgt sind, wurden bereits geschlossen. Dabei soll unter Umgehung von US-Dollar und Euro der Handel in Rubel, Yuan oder der jeweiligen Landeswährung abgewickelt werden. Vor dem Hintergrund der währungs-, wirtschafts- und finanzpolitisch engeren Zusammenarbeit der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika) deutet sich hier ein Wechsel im globalen Machtgefüge an. Dieser könnte durchaus den Niedergang der finanziell und moralisch bankrotten alten Mächte USA und EU weiter beschleunigen.

* Aus: junge Welt, Samstag 9. August 2014


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