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Verwirrte Herrschaften

Sanktionen schaden der Kapitalverwertung. Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft verteidigt Teilnahme von Spitzenmanagern an Petersburger Gipfel

Von Dieter Schubert *

Deutschlands Unternehmer sind wegen der Entwicklung in der Ukraine und deren politischem Management verärgert. Verständlich: Statt ihrem Job nachgehen zu können und für Profite der Kapitaleigner zu sorgen, sehen sie sich in die Defensive gedrängt. Der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, verteidigte gar seine Teilnahme am St. Petersburger Wirtschaftsforum kommende Woche. »Der Ostausschuß nutzt das Forum seit Jahren für einen engen wirtschaftspolitischen Austausch mit deutschen und russischen Unternehmen«, sagte der ehemalige Spitzenmanager von Daimler und Metro/Haniel am Dienstag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. »Er wird auch in diesem Jahr durch mich entsprechend in Petersburg vertreten sein.«

Cordes ist nicht der einzige Spitzenkapitalfunktionär, der sich wie im falschen Film fühlen dürfte. Erinnert sei nur an Siemens-Chef Josef Kaeser. Der nahm im März einen Termin in Moskau wahr, bei dem er sich auch mit Rußlands Präsidenten Wladimir Putin traf. Ein Moderator beim Zweiten Deutschen Fernsehen nahm ihm das übel. Er kanzelte den Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands größtem Industriekonzern in einer »Live-Schalte« vor Millionen staunender Zuschauer gehörig ab. Der ZDF-Herr sollte kein Einzelfall bleiben.

Der vom Westen betriebene Machtwechsel in der Ukraine und seine politischen Folgen haben in Deutschland markante Kollateralschäden gezeitigt. Scheinbar über Nacht usurpierte ein ganzes Korps Kriegsberichterstatter weite Teile der Medienlandschaft. TV- und Zeitungskonzerne warfen ihre »zivilgesellschaftliche« Tarnung ab und begaben sich in den Bunker. Statt zu berichten, wurden sie Partei.

Die Berufspolitik schien überrascht – sowohl von der raschen Eskalation des Maidan-Putsches, der Reaktion Rußlands und eines Teils der Bevölkerung, als auch den knallenden Medienpeitschen, geschwungen von ZDF, Bild, Spiegel online, Zeit, Süddeutscher oder FAZ. Seitdem lavieren Regierung und Linke im Bundestag. Keiner will sich festlegen, manche rücken von zuvor geäußerter grundlegender Kritik ab, wie Oppositionsführer Gregor Gysi. Die Merkel-Steinmeier-Truppe wähnt sich in der Falle, propagiert »Bündnissolidarität« und startet gleichzeitig zaghafte Deeskalationsversuche. Lediglich die Grünen profilieren sich gewohnt nachhaltig als Scharfmacher.

Große Teile des deutschen Kapitals indes stemmen sich gegen Sanktionen und die Gefahr eines Wirtschaftskrieges. Aus gutem Grund: Es drohen Verluste von Marktanteilen, Image- und vor allem Umsatzeinbußen im Rußlandgeschäft. Investitionen dort geraten ebenso in Gefahr wie eine kontinuierliche Roh- und Brennstoffversorgung. Das hat Auswirkungen auf die Profite, die Sicherheit von Arbeitsplätzen und die Konjunktur – alles höchstrangige Werte im System der »sozialen Marktwirtschaft«. Und nun machen wir einen auf Napoleon, auf Moltke den Jüngeren oder Hitler?

Im Gegensatz zu 1914 oder 1941 scheint das deutsche Kapital kein Interesse an Kriegsabenteuern gegen Rußland zu haben. Zu Handel und wirtschaftlicher Zusammenarbeit sieht man keine vernünftige Alternative. Vermutlich stellvertretend für viele seines Standes warnte Cordes vor negativen Folgen von Wirtschaftssanktionen gegen Moskau. Er betonte, wie wichtig es sei, daß Firmen beider Länder weiter Kontakt hielten. Im »Ostausschuß« sind knapp 200 größere deutsche Unternehmen organisiert, die im östlichen Europa und Zentralasien Geschäfte machen. Sollten deren Aktivitäten eingeschränkt oder gar gestoppt werden, droht der Volkswirtschaft immenser Schaden. Dagegen stehen die Machtspiele Washingtons, diverser NATO-Würdenträger und einer als »zivilgesellschaftlich« getarnten Unterwanderungsbranche, deren ehrenwerter NRO-Status durch Geheimdienstmachenschaften konterkariert wird.

Die Russische Föderation ist knallhart monopolkapitalistisch orientiert. Das Land ist reich an Rohstoffen, seine Devisenkassen sind gut gefüllt. Die Industrie bemüht sich um Anschluß an westliche und chinesische Standards in der Breite. Es existiert ein beachtliches Know-how in der Raumfahrt- und IT-Branche. Die Rüstungsindustrie ist gut entwickelt. Zum Teil erheblicher Nachholbedarf besteht beim Ausbau der Infrastruktur, der Verzahnung von Forschung, Entwicklung und Produktion. Die dominierenden Staats- und Privatoligopole indes bremsen die volle Entfaltung der Produktivkräfte ebenso wie eine überdimensionierte Bürokratie und zum Teil kontraproduktive staatliche Planungs- und Lenkungsversuche.

Allerdings bietet diese Ausgangsposition auch glänzende Geschäftsperspektiven. Ein Termin für deren Pflege und Ausbau ist das alljährlich stattfindende St Petersburger Wirtschaftsforum. Das findet dieses Jahr vom 22. bis 24. Mai in der nördlichen Metropole statt. »Das ist die wichtigste branchenübergreifende Wirtschaftskonferenz Rußlands und wird auch als das ›russische Davos‹ bezeichnet«, charakterisiert Lobbyist Cordes die Zusammenkunft. »Vor allem in Krisenzeiten wie diesen ist ein internationaler Wirtschaftsdialog von großer Bedeutung«, fügte der Ostausschuß-Vorsitzende hinzu.

Dort wird auch Putin sprechen. Im Gegensatz zu früheren Jahren fehlen diesmal westliche Spitzenpolitiker. Die US-Regierung hat zudem heimische Firmen aufgefordert, ihre Teilnahme zu überdenken. In Berlin sieht man das wohl weniger streng: »Von der Bundesregierung gibt es keinerlei Druck auf die deutsche Wirtschaft, nicht nach St. Petersburg zu fahren«, betonte ein Sprecher des Ostausschusses am Dienstag gegenüber Reuters. Bereits Anfang Mai hatten Konzerne wie Metro, E.on und Siemens angekündigt, Spitzenvertreter nach Rußland zu schicken. Allerdings bekannte sich Cordes zur Staatsräson: »Sollte es dennoch zur Einführung von Wirtschaftssanktionen kommen, gilt der Primat der Politik. Die deutsche Wirtschaft muß und wird dies umsetzen.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. Mai 2014


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