"Die Sozialisten stehen an einem Scheideweg"
Soziale Kämpfe entstehen auf nationaler Ebene, politische Entscheidungen fallen verstärkt im Rahmen der EU. Ein Gespräch mit Miguel Portas *
Miguel Portas (53) ist Wirtschaftswissenschaftler, früherer Aktivist der portugiesischen KP und Mitbegründer des Linksblocks »Bloco d’Esquerda«, für den er seit 2004 im Europaparlament sitzt.
Portugal ist eines der auf den Finanzmärkten am stärksten angeschlagenen Euro-Länder in der aktuellen Schuldenkrise. Der Bloco d’Esquerda fordert eine Umschuldung. Reicht das aus?
Wir haben zwei Wege für die Umstrukturierung der Schulden aufgezeigt. Einer hat europäischen Charakter und beruht auf der Ausgabe von EU-Anleihen, den sogenannten Euro-Bonds; dieser Weg wird institutionell blockiert. Der andere hat eher nationalen Charakter. Er besteht darin, eine Neuverhandlung der Kreditkonditionen mit den Gläubigern zu verlangen. Die Umstrukturierung der Schulden ist notwendig, aber nicht ausreichend, um die Krise zu überwinden, in der die Länder der geschwächten Peripherie stecken.
Welche Folgen haben diese Rettungspläne?
Staaten, die gezwungen sind, um ausländische Hilfe zu bitten, werden nicht nur durch die Sparpolitik bestraft, die in den Hilfsmemoranden vorgesehen ist, sondern auch durch eine zu starke Gemeinschaftswährung, die zur Verschärfung der Rezession und zum Anstieg der Arbeitslosigkeit führt. Das Gravierendste an der Krise ist die zunehmende Kluft zwischen Zentrum und Peripherie der Euro-Zone, bei Verschärfung der sozialen Ungleichheit.
Warum fällt es dem Europaparlament so schwer, einen Plan auszuarbeiten, der die Ungleichgewichte in der EU beseitigt?
Im vergangenen Jahr haben wir unter dem Druck der Euro-Krise eine bemerkenswerte Entwicklung innerhalb des europäischen Establishments beobachtet. Im EU-Parlament existiert heute eine Mehrheit für eine Finanztransaktionssteuer, noch bevor eine solche international beschlossen wird. Dieselbe Mehrheit ist auch für Maßnahmen gegen den Kapitalexport in Steuerparadiese und für die Umsetzung einer Politik der Beschäftigungsförderung. All diese Projekte werden aber durch den Zwang zur fiskalischen Einmütigkeit im Europäischen Rat der Finanzminister blockiert.
Wie verhalten sich die Linken im Europaparlament?
Die Sozialisten stehen an einem Scheideweg: Einerseits haben sie wirtschaftspolitisch mit ihrer Tradition des Kompromisses gebrochen und stimmen mit den Grünen sowie der vereinigten Linksfraktion ab. Andererseits setzen sie in Südeuropa die Spar- und Neuverschuldungspolitik zugunsten der Banken um, die Konservative im Norden festgelegt haben. Die radikalen Linken sind in ihren eigenen Vorstellungen von Europa tief gespalten; das kostet sie Glaubwürdigkeit. So ist zwar punktuell gemeinsames Handeln möglich, aber keine gemeinsame, europaweite Strategie gegen die Kürzungspolitik.
Und die Gewerkschaften?
Auch die sind unfähig, sich auf eine gemeinsame Handlungsstrategie der Werktätigen im Norden, im Süden oder im Osten Europas zu verständigen. Wir brauchen eine europäische Linke, die als Plattform zur Verständigung fungiert – und gemeinsame Massenkampagnen, zum Beispiel mit Hilfe einer europäischen Petition, die ein Minimum von einer Million Unterschriften erfordert.
Was verhindert eine engere Zusammenarbeit der Linken?
Wir müssen uns darüber klar werden, auf welchen Vorschlag oder welchem Katalog von Vorschlägen wir uns am ehesten einigen können. Aus meiner Sicht müssen wir die Prekarität in den Mittelpunkt des politischen und sozialen Kampfes in Europa stellen.
Die Rechten scheinen weniger Probleme zu haben, sich auf supranationaler Ebene zu verständigen und ihre Politik durchzusetzen. Kann man heute überhaupt noch ein wesentliches Problem auf nationaler Ebene lösen?
Vieles wird weiter auf nationaler Ebene entschieden. Der Widerspruch, daß sich soziale Kämpfe auf nationaler Ebene entwickeln und politische Entscheidungen verstärkt auf EU-Ebene fallen, verschärft sich. Die Rechte beherrscht die Entscheidungsfindung in Europa, sie erzwingt den Konsens und die Mehrheiten auf nationaler Ebene. Die Linke konzentriert ihre Energien auf die Orte, wo der Kampf mit den Menschen geführt wird. Es ist die Schwäche und nicht die Stärke, die zur »Nationalisierung« der linken Politik führt.
Interview: Raoul Rigault
* Aus: junge Welt, 20. August 2011
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