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Ende der Kraftsprüche?

Neue polnische Regierung vorgestellt. Poroschenko fordert in Washington vergeblich US-Waffen

Von Reinhard Lauterbach *

Die neue polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz hat am Freitag in Warschau ihr Kabinett vorgestellt. Wichtigste Neuerung ist die Ersetzung von Außenminister Radoslaw Sikorski durch den Politiker Grzegorz Schetyna von der Partei Bürgerplattform (PO). Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak rückt in den Rang eines Vizepremiers auf, im Innenministerium mußte der durch die Abhöraffäre des vergangenen Sommers kompromittierte Bartlomiej Sienkiewicz seinen Platz zugunsten von Teresa Piotrowska räumen, der ersten Frau, die dieses Amt jemals bekleidet hat.

Die Umbesetzungen sind offenbar vorwiegend innenpolitisch bedingt und dienen dazu, die zuletzt in den Umfragen abstürzende PO zusammenzuhalten. Grzegorz Schetyna ist ein langjähriger innerparteilicher Rivale von Expremierminister Donald Tusk und war von diesem aus der Parteiführung verdrängt worden. Der als versierter Strippenzieher geltende Politiker soll, wie es die der PO nahestehende Gazeta Wyborcza formulierte, in seinem Jahr als Außenminister »viel reisen, damit er keine Zeit hat, in der Partei zu konspirieren«. Außenpolitische Erfahrung hat Schetyna nicht, doch gilt er als Mann der diskreten Übereinkünfte – notfalls auch mit Rußland – nicht als Fan von medienwirksamen Kraftsprüchen wie sein Vorgänger Sikorski, der auf den prestigeträchtigen, aber weitgehend machtlosen Posten des Sejmmarschalls – das Amt entspricht dem des Bundestagspräsidenten – abgeschoben wurde.

Der Aufstieg des Verteidigungsministers zum stellvertretenden Regierungschef zeigt, daß Kopacz – die eine Legislaturperiode lang Gesundheitsministerin und dann Parlamentsvorsitzende war – sich ihrer außenpolitischen Defizite bewußt ist. Seine Beförderung drückt auch den Grad der Sorgen Warschaus angesichts der – von Polen freilich mit angeheizten – Ukraine-Krise aus. Die jüngsten, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zugeschriebenen Invasionsdrohungen gegen die östlichen NATO-Staaten (siehe junge Welt vom 19.9.) wurden in Warschau allerdings eher psychologisch interpretiert denn für bare Münze genommen.

Nicht nur psychologisch war die Unterstützung, die der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bei seinem Besuch in Washington in dieser Woche vonseiten der USA erfuhr. Zwar wurden seine Rufe nach Angriffswaffen nicht erhört, doch ein am Donnerstag verabschiedeter Gesetzentwurf des US-Senats sieht vor, daß die Ukraine 2015 aus den USA »Defensivsysteme« wie Panzerabwehrraketen, Feuerleitradars und Nachtsichtgeräte im Wert von 350 Millionen Dollar bekommen soll. US-Präsident Barack Obama will offenbar keine direkten Waffenlieferungen; nach US-Einschätzung könnte Rußland sich anderenfalls »provoziert fühlen« und dies zum Anlaß nehmen, im Handstreich weitere ukrainische Gebiete zu erobern.

Diese Sichtweise vertrat auch der einflußreiche CDU-Europapolitiker Elmar Brok in einem langen Interview mit dem ukrainischen Nachrichtenportal evropejskaja pravda. In dem am Donnerstag veröffentlichten Gespräch sagte er, er befürchte, daß sich Putin auch von den westlichen Sanktionen nicht von solchen Schritten abhalten ließe, wenn er sie für geboten hielte. Putin interessiere sich nicht für die Wirtschaft, so Broks Diagnose. Eine militärische Antwort des Westens auf einen russischen Vorstoß »bis nach Odessa und zum Donaudelta« werde es aber nicht geben können. Deshalb müsse die Ukraine mit Moskau verhandeln, dämpfte er die von der Reconquista des Donbass träumenden Heißsporne in Kiew. Brok startete gleichzeitig einen Versuchsballon: wenn sich Rußland aus der Festlandsukraine zurückziehe, dann könnte das ein Szenario sein, um die Sanktionen zu lockern. Die Krimfrage könnte man dann außen vor lassen, mit anderen Worten: ihren Übergang an Rußland stillschweigend akzeptieren.

* Aus: junge Welt, Samstag 20. September 2014

Das Buch zum Thema:

"Ein Spiel mit dem Feuer"
Im Papyrossa-Verlag ist Ende August 2014 ein Ukraine-Buch erschienen
Mit Beiträgen von Erhard Crome, Daniela Dahn, Kai Ehlers, Willi Gerns, Ulli Gellermann, Lühr Henken, Arno Klönne, Jörg Kronauer, Reinhard Lauterbach, Norman Paech, Ulrich Schneider, Eckart Spoo, Peter Strutynski, Jürgen Wagner, Susann Witt-Stahl
Informationen zum Buch (Inhalt und Einführung)




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