Segeln gegen die Blockade
Friedensaktivisten starten Hilfsaktion für Menschen im Gazastreifen
Von Karin Leukefeld *
60 Friedensaktivisten aus aller Welt starten am heutigen Dienstag mit
zwei Booten von der Mittelmeerinsel Zypern in Richtung Gaza, um die
israelische Belagerung des Gazastreifens zu durchbrechen. Unter ihnen
ist die 83-jährige Hedy Epstein, die ihre Familie im Vernichtungslager
Auschwitz verlor.
»Die Welt ist klein geworden. Auch wenn ich heute in den USA wohne, sind
die Leute in Gaza meine Nachbarn«, sagt Hedy Epstein. »Ich kann nicht
wegschauen, ich bin verantwortlich das zu tun, was ich kann, um die
Leute aus Gaza zu unterstützen, damit sie ein menschenwürdiges Leben
führen können.« Hedy Epstein ist mit ihren 83 Jahren die älteste
Teilnehmerin einer Gruppe von 60 Friedensaktivisten aus aller Welt, die
heute von Zypern aus in Richtung Gaza aufbrechen werden.
»Free Gaza«, »Befreit Gaza« ist das Motto der Gruppe, der Männer und
Frauen aus 15 Staaten angehören. Ziel ist es, die Belagerung des
Gazastreifens auf dem Wasserweg zu durchbrechen und die Seegrenze nach
Gaza zu öffnen. Unter den Passagieren sind Geistliche, Professoren,
Anwälte, Ärzte, Ingenieure und Menschenrechtsaktivisten. Viele von ihnen
sind Palästinenser mit doppelter Staatsangehörigkeit, die ihre
Verwandten und Familien in Gaza seit Jahren nicht gesehen haben, weil
sie keine Einreisegenehmigung erhalten und ihre Angehörigen nicht
ausreisen dürfen. Die Teilnehmer tragen ihre Kosten, soweit sie können,
selbst. Darüber hinaus wird das Projekt vom »Carter Center« und von
Erzbischof Desmond Tutu unterstützt sowie von mehr als 70 weiteren
Organisationen und Einzelpersonen.
Unter den Friedensaktivisten sind zwei Deutsche: Hedy Epstein und Edith
Lutz (59) von der interreligiösen Organisation Abrahams Töchter. Während
Edith Lutz mit ihrer Familie in der Nähe von Köln lebt, verließ Hedy
Epstein Deutschland 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien,
von wo sie schließlich in die USA gelangte. Ihre Familie starb im
Vernichtungslager Auschwitz. Am 15. August wird sie 84 Jahre alt. Sollte
der Geburtstag in diesem Jahr in Gaza gefeiert werden, »wird das für
mich eine besondere Ehre sein.«
Man werde ausschließlich in internationalen Gewässern und dann in
palästinensischen Gewässern segeln, erklärt Hedy Epstein. Israel solle
sich nicht einmischen. Den Palästinensern in Gaza möchte sie zeigen,
dass diese nicht allein sind: »Wir wollen in den geschlossenen Hafen
(von Gaza) einlaufen, wollen mit den Fischern auf Fischfang gehen, in
Krankenhäusern und Schulen helfen. Wir wollen aber auch die Welt daran
erinnern, dass wir nicht tatenlos zusehen werden, wie 1,5 Millionen
Menschen durch Hunger und Krankheit allmählich sterben«, sagt sie. Die
US-Administration will Hedy Epstein auffordern »Israel nicht mehr blind
zu unterstützen, denn damit unterstützen sie auch die Zerstörung der
Palästinenser.«
Ihr Engagement für Menschenrechte sei es, was sie aus dem Holocaust
gelernt hat: »Ich kann nicht stumm zuschauen, wenn Menschen leiden«,
sagt Hedy Epstein und verweist auf die Stelle im Alten Testament, wo
Leviticus die Juden aufforderte, »nicht stumm zu bleiben, wenn andere
ermordet oder vertrieben werden. Das ist mein Bekenntnis. Das ist es,
warum ich mich an dieser Aktion beteilige.«
Auch für Edith Lutz ist das »jüdische Solidaritätsgesetz des Leviticus«
das Gebot der Stunde. »Es verpflichtet uns zur Solidarität mit den
Leidenden, es bedeutet: Liebe deinen Nächsten.« Seit langem habe sie
versucht, für ihren Verein Abrahams Töchter, in dem Juden, Christen und
Muslime gemeinsam den Kindern in Gaza helfen, eine Einreisegenehmigung
nach Gaza zu erhalten. Ohne Erfolg. Die Fahrt mit dem Schiff nach Gaza
sei für sie die letzte Möglichkeit, humanitäre Hilfsgüter in das Gebiet
zu bringen: Knapp 200 Hörgeräte und Musikinstrumente, die bei der
Musiktherapie in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden sollen.
»Sollten uns die Israelis nicht durchlassen, werden wir 5000 weiße
Luftballons steigen lassen. Doch wir werden lange ausharren. Unser
Proviant reicht für zehn Tage.«
In Deutschland habe man »Angst, Israel zu kritisieren«, sagt Edith Lutz.
»Doch wenn wir Israel helfen wollen, müssen wir dazu beitragen, dass es
seine Politik ändert. Die führt in einen Abgrund.« Die Bevölkerung
verstehe das, doch es sei schwer, die Presse in Deutschland zu
erreichen, so Edith Lutz weiter. Wer noch nicht dort gewesen sei, wer
nicht mit eigenen Augen die unwürdige Situation gesehen habe, in der die
Palästinenser leben müssen, der könne nicht vorurteilsfrei berichten.
Ihre Botschaft an die Deutschen sei, sich von Schuldgefühlen frei zu
machen, »die sie hindern, das Richtige zu tun«, sagt Edith Lutz. »Wir
alle können gegen das Unrecht sprechen, schreiben und aktiv werden. Wenn
wir es aber weiter tolerieren, dann stecken wir in der Tat in Schuld.«
* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008
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