Annäherung in Nordirland signalisiert
Von Blair und Ahern präsentierter Vertragsentwurf stößt in beiden Lagern auf Zustimmung
Von Mattes Standke, London *
Nordirlands verfeindete Parteien reagieren positiv auf einen britisch-irischen Entwurf zur
schrittweisen Wiederherstellung nordirischer Selbstverwaltung bis 2007.
Nach vielen Monaten schleppender Verhandlungen hinter geschlossenen Türen verkündete
Großbritanniens Nordirlandminister Peter Hain am Wochenende einen »erstaunlichen Durchbruch
im Friedensprozess«. Zuvor hatten die führenden Vertreter pro-britischer und pro-irischer Parteien
Nordirlands überraschend einhellig einen Vorschlag zur Wiedereinsetzung der nordirischen
Autonomieregierung angenommen.
Großbritanniens Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern hatten den
Vertragsentwurf am Freitag den Parteichefs im Anschluss an einen dreitägigen Krisengipfel im
schottischen St. Andrews vorgestellt. Darin vorgesehen ist unter anderem die schrittweise
Wiedereinführung der nordirischen Selbstverwaltung, die London vor vier Jahren aufgehoben hatte.
So sollen sich die Vertreter der führenden Parteien von pro-britischen Protestanten und pro-irischen
Katholiken zunächst bis zum 10. November auf einen Regierungschef und dessen Stellvertreter
einigen.
Im Falle einer Übereinkunft müssten die Koalitionsgespräche dann bis März 2007 abgeschlossen
und per Volksentscheid bestätigt werden. Anderenfalls droht Blair mit der dauerhaften britischen
Direktverwaltung Nordirlands.
Sollten sich die Parteien innerhalb der kommenden vier Wochen nicht auf ein Führungs-Duo geeinigt
haben, käme dies einer Ablehnung des gesamten Vertragsentwurfs gleich. Außerdem soll die größte
pro-irische Partei Sinn Féin, die der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) nahe steht, bis Ende des
Jahres die Aufhebung ihres traditionellen Boykotts der nordirischen Polizei in die Wege leiten.
Großbritannien würde im Gegenzug die Verantwortung für Polizei- und Justizwesen künftig an die
Autonomieregierung übergeben, heißt es in dem Vertragsentwurf. Sinn Féins Chefunterhändler
Martin McGuinness, einst IRA-Kommandant in Londonderry, stünde die Position des
Vizeregierungschefs zu. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams rief seine Partei nun auf, das Angebot
»ernsthaft zu durchdenken«.
Der Posten des Regierungschefs dagegen wäre für den radikal-protestantischen Prediger Ian
Paisley vorgesehen, den Anführer der größten nordirischen Partei Democratic Unionist Party (DUP).
Im Gegensatz zu den Vertretern der moderaten pro-britischen Ulster Unionist Party (UUP) und der
gemäßigten pro-irischen Sozialdemokraten der Social Democratic and Labour Party (SDLP), die
beide ebenfalls an einer künftigen Autonomieregierung beteiligt wären, hat es zwischen Paisley und
Sinn Féin seit über drei Jahrzehnten keine direkten Gespräche gegeben.
Während Sinn Féin sich für einen offenen Dialog einsetzt, blockierte die DUP den Friedensprozess
stets unter Verweis auf Sinn Féins Verbindungen zur IRA. »Wir verhandeln nicht mit Terroristen«,
galt bis zuletzt als DUP-Devise im Friedensprozess. Doch auch Paisley signalisiert nun
Entgegenkommen. Sollte Sinn Féin in der Polizeifrage kooperieren, würde auch er sich an die
vorgesehenen Abmachungen halten, um »einen korrekten Frieden« herbeizuführen, zitierte die
»Irish Times« den DUP-Chef am Wochenende.
Bereits 1998 hatten sich führende pro-britische und pro-irische Parteien unter Vermittlung Londons
und Dublins im so genannten Karfreitag-Friedensabkommen auf eine gemeinsame, gewaltfreie
Verwaltung der britischen Unruheprovinz im Norden Irlands geeinigt. Das daraus hervorgegangene
Regionalparlament aus Vertretern beider Lager war vor vier Jahren auf Druck der Unionisten
suspendiert worden.
Seit die IRA sich im vorigen Jahr unter internationaler Aufsicht von ihrem umfangreichen
Waffenarsenal getrennt hatte und auch Nordirlands Polizeichef letzte Woche einräumte, von der
einst mächtigsten Terrororganisation im Nordirland-Konflikt gehe keine Gefahr mehr aus, glauben
Beobachter nun, dass die DUP kurz vor einer Einigung mit Sinn Féin stehe.
»Nur eine Zusammenarbeit beider Parteien kann Nordirland in eine demokratische Zukunft führen«,
kommentierte der Londoner »Sunday Telegraph«.
* Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2006
Zurück zur Nordirland-Seite
Zurück zur Homepage